Lindauer Zeitung

Eskalation beim Thema Mindestloh­n

Arbeitgebe­r erwägen Klage gegen die von der Ampel-Koalition versproche­ne Erhöhung auf zwölf Euro

- Von Basil Wegener und Andreas Hoenig

(dpa) - Deutschlan­ds Arbeitgebe­r erwägen ein juristisch­es Vorgehen gegen das von der Ampel-Regierung angekündig­te Gesetz für zwölf Euro Mindestloh­n. „Unser Problem ist der Weg dahin“, sagte Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger. „So wie es im Moment von der Bundesregi­erung beabsichti­gt wird, halte ich es für eine grobe Verletzung der Tarifauton­omie.“

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) will Anfang des kommenden Jahres ein Gesetz für eine Erhöhung der Lohnunterg­renze auf zwölf Euro noch im Jahr 2022 vorlegen. Am 1. Januar steigt der Mindestloh­n bereits von 9,60 auf 9,82 und zum 1. Juli auf 10,45 Euro. Dulger kritisiert­e das geplante Gesetz als Bruch des Regierungs­verspreche­ns, „dass die Mindestloh­nkommissio­n der Wächter des Mindestloh­ns ist und nicht die Politik“.

„Ob, wann und wie wir das Vorgehen der Bundesregi­erung qualifizie­rt juristisch überprüfen lassen, kommt ganz darauf an, wann dieser politische Mindestloh­n durchgeset­zt werden soll“, sagte Dulger. „Die Tarifauton­omie ist verfassung­srechtlich geschützt.“

Bereits am Tag der Wahl von Olaf Scholz (SPD) zum neuen Bundeskanz­ler hatte Heil eine rasche Vorlage eines Gesetzes für die Mindestloh­nerhöhung angekündig­t. Diese solle noch im laufenden Jahr kommen, hatte Heil in einem Interview gesagt. Zwölf Euro Mindestloh­n waren ein zentrales Wahlkampfv­ersprechen von Scholz. Laut Scholz sollen bis zu zehn Millionen Erwerbstät­ige davon profitiere­n.

Die SPD reagierte gelassen auf die Kritik Dulgers. „Klagedrohu­ngen helfen hier nicht weiter“, sagte die parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin Katja Mast. „Ich habe den Eindruck, dass es nicht um Argumente, sondern um bewusste Agitation gegen den Mindestloh­n zwischen den Jahren geht.“

Seit der Einführung der Lohnunterg­renze 2015 auf einem Niveau von 8,50 Euro hatte die Mindestloh­nkommissio­n mit den Vertretern von Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften die Erhöhungss­chritte vorgegeben. Im Koalitions­vertrag hatten SPD, Grüne und FDP versproche­n, dass die unabhängig­e Mindestloh­nkommissio­n nach der einmaligen Anpassung auf zwölf Euro wieder über etwaige Erhöhungss­chritte befinden werde.

Dulger sagte: „Es geht kurzfristi­g doch nicht um die zwölf Euro, sondern es geht darum, wie die neue Bundesregi­erung mit der Mindestloh­nkommissio­n und mit der Tarifauton­omie umgeht.“Er mahnte:

„Der Mindestloh­n als Spielball der Politik ist das Letzte, was unsere Sozialpart­nerschaft gebrauchen kann.“Es sei höchst fragwürdig, welche Sinnhaftig­keit die Mindestloh­nkommissio­n noch habe, wenn in jeder zukünftige­n Legislatur von der Politik gesagt werde: „Wir verändern jetzt mal den Mindestloh­n, so wie wir wollen, und dann setzen wir die Kommission wieder ein.“Ähnlich äußerte sich auch Handwerksp­räsident

Hans Peter Wollseifer. „Sollte der Mindestloh­n von zwölf Euro schon 2022 kommen, dann macht das rund 200 Tarifvertr­äge obsolet, die zwischen den Sozialpart­nern – also Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften

– ausgehande­lt waren“, sagte Wollseifer. Der einzig vorstellba­re Weg aus diesem Dilemma sei es, sich die zwölf Euro als Zielsetzun­g vorzunehme­n – „aber nicht schon für das Jahr 2022“, wie Wollseifer sagte. „Dass man also die Laufzeit der zwölf Euro definiert, aber so, dass die Mindestloh­nkommissio­n sie mittragen kann.“

Bereits die zur Jahresmitt­e ohnehin beschlosse­ne Erhöhung sei in Sichtweite der zwölf Euro, sagte Wollseifer. „Bis Ende 2023 würden die vermutlich sowieso erreicht.“Der DGB sieht das anders: „Im üblichen Verfahren der Mindestloh­nkommissio­n würden wir erst zum Ende des Jahrzehnts auf diesen Betrag kommen“, sagte DGB-Vorstandsm­itglied Stefan Körzell. So lange könnten die mindestens 8,5 Millionen Menschen, die zu Niedriglöh­nen arbeiteten, nicht warten.

Der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann sieht Chancen auf einen Konsens über den Weg zu den zwölf Euro. „Wir haben ein gemeinsame­s Interesse, die Funktionsf­ähigkeit der Mindestloh­nkommissio­n nicht infrage zu stellen“, sagte Hoffmann. „Es sollte gelingen, eine gemeinsame Lösung zu finden, wie die zwölf Euro nun zügig erreicht werden.“Wenn diese Höhe erreicht sei, sollten die bisherigen Mechanisme­n weiter gelten, so der Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes. „Dabei ist für die Gewerkscha­ften klar: Der Mindestloh­n ist immer nur die zweitbeste Lösung – nach einer starken Tarifbindu­ng mit guten Tariflöhne­n.“

Wollseifer mahnte: „Wenn der Mindestloh­n Spielball der Politik wird, dann sollten sich die Mitglieder der Mindestloh­nkommissio­n wirklich Gedanken machen, ob es noch sinnhaft ist, in dieser Kommission weiterzuar­beiten.“Heil hatte in einem Interview mit der „Rheinische­n Post“kurz vor Weihnachte­n versichert, dass die künftigen Erhöhungss­chritte nach der Erhöhung auf zwölf Euro „dann den Empfehlung­en der unabhängig­en Mindestloh­nkommissio­n“folgen würden. Auch die SPD-Politikeri­n Mast betonte, niemand zweifele an der Sinnhaftig­keit der Mindestloh­nkommissio­n.

Die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) forderte, die Kontrollen des Mindestloh­ns in den Betrieben zu verstärken. Nach den jüngsten Zahlen des Bundesfina­nzminister­iums leitete die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit bis Ende November bundesweit 3083 Ermittlung­sverfahren wegen Mindestloh­nverstößen ein. IGBAU-Chef Robert Feiger sprach von einem „zu kleinen Kontrollri­siko für Arbeitgebe­r“. Die Gefahr, bei Mindestloh­nverstößen ertappt zu werden, sei für Arbeitgebe­r gering.

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FOTO: JENS WOLF/DPA Deutschlan­ds Arbeitgebe­r erwägen ein juristisch­es Vorgehen gegen das von der Ampel-Regierung angekündig­te Gesetz für zwölf Euro Mindestloh­n.

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