Überfällige Anpassung
Ein Single mit 3700 Euro Nettoeinkommen gehört zu den zehn Prozent mit den höchsten Einkommen in Deutschland. Davon kön- nen Geringverdiener nur träumen. Wer 2021 den Mindestlohn von 9,60 Euro bekam, müsste mit nur 1024 Euro bei 160 Monatsarbeitsstunden auskommen. Viel anschaulicher lässt sich die Spreizung bei Löhnen und Gehältern kaum beschreiben. Unten reicht das Einkommen kaum zum Leben. Die geplante Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, den die Koalition vereinbart hat, macht aus Niedriglöhnern keine reichen Leute. Sie bekämen dann netto 1280 Euro heraus. Es geht dann ein wenig gerechter zu in Deutschland.
Die Arbeitgeber wollen gegen diese Erhöhung klagen. Da drängt sich sofort der Verdacht auf, die Wirtschaft will sich wieder mal gegen berechtigte Anliegen der Arbeitnehmer stemmen. Das haben sie schon mit der Drohkulisse massenhafter Arbeitsplatzverluste bei der Einführung der Untergrenze getan. Die Warnungen waren unberechtigt. Der Mindestlohn hat unter dem Strich keine Arbeitsplätze vernichtet.
Diesmal geht es den Arbeitgebern aber wohl eher darum, den Staat aus der Lohnfindung herauszuhalten. Denn Bundeskanzler Olaf Scholz, mit der SPD treibende Kraft in dieser Frage, hebelt die Tarifautonomie aus. Eigentlich ist die Festsetzung der Untergrenze Sache einer Findungskommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften. Sie wird nun einmalig umgangen. Doch so autonom, wie die Kommission sein sollte, war sie eigentlich nie. Denn die Gewerkschaften haben keine echte Verhandlungsmacht wie in ordentlichen Tarifverhandlungen.
Die Kritik der Arbeitgeber an einer ruckartigen Anhebung des Mindestlohns ist eher verständlich. Schließlich können viele Firmen ihre Kostenstrukturen nicht über Nacht anpassen. Das lässt sich aber leicht lösen, wenn die Vorbereitungen darauf jetzt beginnen.