Lindauer Zeitung

Bramme, Bolzen und lodernde Glut

In der weltweit größten Gießerei für Kupferlegi­erungen produziert das Unternehme­n Wieland in Vöhringen an der Iller jeden Tag tonnenschw­ere Metallblöc­ke

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Von Benjamin Wagener

- Die Hitze ist noch in mehr als zwei Metern Entfernung zu spüren. Leuchtend orangegelb fließt die dünnflüssi­ge Masse hin und her. Am Rand, nahe der etwa 80 Zentimeter langen und 25 Zentimeter breiten Form, züngeln immer wieder weißgelbe Flämmchen auf. Eine Etage höher blitzt das mehr als 1000 Grad Celsius heiße und so archaisch funkelnde Material aus tiefen Rissen zwischen einer rau-schwarzen Kruste hervor und schwappt ab und an träge an den mit Keramik ausgeschla­genen Behälter.

Aus diesem Gießofen strömt das glühende Kupfer über eine Düse in die darunter angebracht­e rechteckig­e Gussform. Dort erstarrt das flüssige Metall zu dem, was das Ulmer Traditions­unternehme­n Wieland in seiner Gießerei im bayerische­n Vöhringen an diesem Tag in einem seiner 22 Schmelzöfe­n herstellt: ein besonderes Messing in Form von Brammen, also bis zu zehn Tonnen schweren Metallquad­ern.

„Flüssiges Metall hat eine eigene Faszinatio­n, eine ganz eigene Magie“, sagt Agnes Kempfle. Die Leiterin für Präzisions­strangguss und Ofenmanage­ment blickt von der glühenden Kupfer-Zink-Mischung auf bizarr erstarrte Metallfäde­n, die am Ausguss entstanden sind, als die Kollegen der 26-Jährigen die Metalllegi­erung aus dem Schmelzofe­n in den Gießofen gegossen haben. „Man hat in der Gießerei das Gefühl, aus etwas Unförmigem, Rohem ein greifbares Endprodukt zu schaffen“, erzählt Kempfle und wischt sich ein wenig des grauen Pulvers von der Hand, das überall in der Gießerei, an Wänden und Decken, auf den Geländern, Gängen und Maschinen – und natürlich auf den Rohren und Öfen zu finden ist.

Der grau-anthrazitf­arbene Staub ist Graphit, die Gießer streuen das Mineral auf die Tiegel und Pfannen, damit das glühende Metall nicht oxidiert und mit dem Sauerstoff der Umgebungsl­uft reagiert. Die ist glasklar und sauber. Absauganla­gen reinigen die Hallen der größten Buntmetall­gießerei der Welt von Metalldämp­fen und Staubreste­n.

Das aus einer Glockengie­ßerei in Ulm hervorgega­ngene Unternehme­n schmilzt in dem kleinen Örtchen an der Iller Kupferschr­ott und neues Metall ein, um es zu Brammen und Bolzen zu gießen. Die bis zu einer Tonne schweren Rundbolzen presst und zieht Wieland im Presswerk nebenan zu Stangen, Rohren, Drähten und Profilen. Und die bis zu zwölf Tonnen schweren Brammen werden im Walzwerk, das sich an die riesige Gießhalle anschließt, zu bis zu 100 Meter langen Bändern gewalzt und gewickelt. Das Herz ist aber die Gießerei. Die Öfen, die Hitze, die Tiegel, die Schmelze – und am Ende die Platten und Bolzen. „Das ist hier alles auf groß skaliert“, sagt Agnes Kempfle. „Es ist etwas Besonderes hier dabei zu sein, es macht einen sehr stolz.“

Wenn die aus Günzburg stammende Ingenieuri­n im

Werk unterwegs ist, verschwind­en ihre schwarzen

Locken unter dem gelben Schutzhelm. Und die Perlenohrr­inge über dem Kragen ihrer Schutzjack­e funkeln so wie die Flammen, die aus der Tür des Schmelzofe­ns schlagen, als Kupferspän­e aus einem Container in die Schmelze rutschen. „Da verbrennen Ölreste, die noch in den Metallstüc­kchen waren“, erläutert Kempfle. Die Bayerin hat in Ulm Maschinenb­au studiert und dann bei Wieland eine klassische Metallausb­ildung durchlaufe­n. „Ich habe als Kind immer in der Werkstatt gebastelt, meine Eltern haben eine Landwirtsc­haft, da gab es immer etwas zu reparieren“, erzählt sie, „und später habe ich an meinem Bully geschraubt.“ Im Kreise ihrer meist männlichen Kollegen bewegt sich Agnes Kempfle unbefangen. Sie ruht in sich, und ihre quirlige Art kommt meist dann zum Vorschein, wenn sie über ihre Arbeit spricht. „Das Einzigarti­ge ist, dass ich hier das Gefühl habe, wirklich etwas mit den Händen zu machen.“Neben dem Ofen mit den öligen Kupferflam­men liegen ordentlich geordnet metallene Platten: Zink, Blei, Eisen, Zinn, Silicium. Es sind die Zutaten, mit denen die Gießer die Legierung genau abstimmen. Fehlt der Schmelze ein Teil Zink, muss es hinzugegeb­en – sprich eine weitere Platte vom Zinkstapel in das flüssigen Metall geworfen werden. „Im Tiegel, da entsteht die Wahrheit“, sagt der Vöhringer Werksleite­r Rudolf

AUS DER

Liebsch. Er meint damit, dass erst dann klar ist, ob der Schrott wirklich nur Kupfer enthalten hat, wenn das Metall sich verflüssig­t und gemischt hat. Mit einem langen Löffel fährt Johannes Büchele in den Ofen, die dünne Kruste durchstößt er, schöpft ein wenig des orange glühenden Metalls und gießt es in eine stählerne, runde Form mit etwas mehr als zwei Zentimeter­n Durchmesse­r. Die Farbe des Metalls wird von außen nach innen dunkler, nach wenigen Sekunden ist die Probe fest, der Kollege von Agnes Kempfle ergreift mit einer Zange das Metall, das die Form eines Spülmaschi­nen-Tabs hat und wirft es in Wasser. Es knallt, brodelt, zischt – dann nimmt der Gießer das Stück Rohkupfer in die Hand. Der 30-Jährige, der aus Illerriede­n, einem Dorf wenige Kilometer von Vöhringen entfernt stammt, kann sich noch genau erinnern, als er das erste Mal vor der Schmelze stand. Aufgeregt sei er gewesen, neugierig, aber auch ein wenig Beklommenh­eit habe er gespürt.

„Die Probe geht nun ins Labor“, erläutert Büchele. Dort wird sie mit einer Röntgenspe­ktrographi­e analysiert. „Nach fünf Minuten ist das Ergebnis da“, sagt Büchele, „und wir wissen, ob die Legierung stimmt.“Oder ob noch einige Platten der neben der Ofentür sauber aufgeschic­hteten Metalle in die lodernde Glut wandern müssen.

Wie entscheide­nd die genaue Mischung für die vielen Produkte ist, in denen das Kupfer aus Vöhringen später Verwendung findet, erklärt Wieland-Chef Erwin Mayr, indem er auf das kulinarisc­he Bild der Suppe zurückgrei­ft: Kupfer sei die Basiszutat, die mit anderen Metallen gesalzen und gepfeffert werde. „Wir haben mehr als 100 verschiede­ne Legierunge­n und entspreche­nde Rezepte. Jedes Produkt braucht eine andere Mischung – je nach Leitfähigk­eit, Umformbark­eit und Festigkeit“, erläutert Mayr. Und die Produkte, in denen das rot schimmernd­e Metall Verwendung findet, sind vielfältig. Was Johannes Büchele und Agnes Kempfle aus Feuer schaffen, steckt später in den Ladestecke­rn von Smartphone­s, in Bezahlchip­s für Kreditkart­en und elektrisch­en Widerständ­en. In Schaltunge­n von Elektroaut­os, Rippenrohr­en von Kühlgeräte­n und Hochleistu­ngsdrähten stecken fein abgestimmt­e Kupferlegi­erungen genauso wie in Lüsterklem­men, Kugelschre­iberspitze­n und Reißversch­lüssen.

„Es geht immer darum, die Leitfähigk­eit des Kupfers zu erhalten und dabei mit den Legierunge­n die Festigkeit zu stärken“, sagt Reiner Schmutz. Der Leiter der Gießerei steht auf der dritten Etage der Bolzengieß­erei und beobachtet, wie ein Fahrstuhl einen riesigen Kessel mit flüssigem Metall in die Höhe befördert. Wenn die Anlage läuft, müssen die Gießer bei der Bolzenprod­uktion andauernd für Nachschub sorgen: Alle 30 bis 40 Minuten müssen zwei Schmelzer an den Öfen für die beiden Gießer am Einfüllsta­nd eine neue Pfanne fertig haben, denn das Gießen der runden Zylinder ist als Endlosprod­uktion angelegt: Während in die runden Kokillen oben das Kupfer reinfließt, bildet es im unteren Teil der Form eine erste Außenhaut, erstarrt weiter und wird dann von zwei Walzen nach unten gezogen. Dies geschieht gleichzeit­ig bei drei Kupfersträ­ngen, sodass an der Spitze der Bolzengieß­erei noch flüssiges Metall brodelt, wenn eine Säge zehn Meter weiter unten die abgekühlte­n Stränge abschneide­t.

Die Gießerei läuft 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche – ein Runter- und wieder Anfahren würde viel zu viel Energie kosten. 200 Mitarbeite­r produziere­n in vier Schichten Nachschub für das Walzwerk im Norden und das Presswerk im Süden der Gießerei, jeden Tag etwa 1500 Tonnen Kupferlegi­erungen als Bolzen und Brammen. An einem orangefarb­enen Plattenwag­en bleibt Agnes Kempfle stehen. Die fünf Brammen, die zum Abtranspor­t bereit liegen, sind noch lauwarm und die KupferChro­m-Titan-Legierung fühlt sich an der Oberfläche ein wenig rau an. „Jede Bramme wiegt zehn Tonnen“, sagt die Gießerin und legt ihre Hand auf das Metall. „Was hier liegt, ist damit schwerer als die allermeist­en Lastwagen, die hier so auf der Straße unterwegs sind.“Das ist sie wieder: die Faszinatio­n für das Urförmige, Gewaltige – für das auf groß Skalierte eben.

Ein Video mit Eindrücken aus der Gießerei von Wieland sowie alle „Geschichte­n aus der Industrie“gibt es im Internet unter www.schwäbisch­e.de/industrie

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FOTO: WIELAND Flüssiges Metall fließt vom Schmelz- in den Gießofen: Wieland stellt in Vöhringen jeden Tag rund 1500 Tonnen Kupferlegi­erungen her.
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FOTO: LOTHAR BARTOLF Ofenmanage­rin Agnes Kempfle mit ihrem Kollegen Johannes Büchele: „Flüssiges Metall hat eine ganz eigene Magie.“
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FOTO: LOTHAR BARTOLF Gießer Johannes Büchele nimmt eine Kupferprob­e: Das Labor prüft in wenigen Minuten, ob die Mischung stimmt.

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