Lindauer Zeitung

Seine Leidenscha­ft war der Verkehr

Thomas Steur, Chef der Polizeiins­pektion Lindau, geht nach 40 Jahren Polizeidie­nst in Rente

- Von Julia Baumann

- Er war nicht einer dieser kleinen Buben, die unbedingt Polizist oder Feuerwehrm­ann werden wollen. Zur Polizei ist Thomas Steur gekommen, weil zwei Tage schulfrei lockten. Geblieben ist er fast 43 Jahre, knapp 40 davon in Lindau. Bereut hat er es nie. Auch wenn er manchmal kämpfen musste.

Das meiste ist längst verpackt. An seinem vorletzten Tag im Dienst räumt Thomas Steur nur noch ein paar Kleinigkei­ten zusammen. „Es ist einfach ein saukomisch­es Gefühl“, sagt der 61-Jährige. Ein bisschen Bammel habe er schon davor, was das mit ihm machen wird, wenn die Tür zum letzten Mal hinter ihm zufällt. Es wird ihn mitnehmen, keine Frage. „Das hier war mein Leben.“

Ende der 1970er-Jahre war nicht absehbar, dass Steur sein Leben der Polizei widmen würde. Dass er nach München zur Polizeiprü­fung fuhr, hatte einen banalen Grund: „Ein Freund hat mir erzählt, dass es dafür zwei Tage schulfrei gibt.“Er bestand auf Anhieb, auch die anspruchsv­olle Sportprüfu­ng. „Das war Schicksal“, sagt er heute. „Der liebe Herrgott wollte das.“

Am 1. März 1979 begann seine Ausbildung in Königsbrun­n, danach ging es sofort zurück nach Lindau, wo Steur geboren und aufgewachs­en ist. Fast 40 Jahre lang war er Teil der Inspektion, in den vergangene­n zweieinhal­b Jahren leitete er sie. Nur einmal war er noch kurz weg: Als er zwischen 1995 und 1997 für die Ausbildung zum gehobenen Dienst auf die Fachhochsc­hule nach Fürstenfel­dbruck ging. Polizist in Lindau zu sein, das sei ihm immer wichtiger gewesen als die große Karriere.

Seine Leidenscha­ft war der Verkehr, elf Jahre lang war Thomas Steur

Sachbearbe­iter in diesem Bereich. Gut erinnert er sich noch an die Zeit der Kreisverke­hre, wie er sie nennt. Eine große Herausford­erung seien die beiden Kreisel am Aeschacher Markt gewesen. Damals führte dort noch die B 31 entlang, die Straße war vierspurig. „Wir haben es geschafft, dass der Verkehr während der gesamten Bauzeit weiterlauf­en konnte“, sagt Steur.

Nicht nur einmal hat er in den vergangene­n 40 Jahren mit Straßenver­kehrsbehör­de und Straßenbau­amt diskutiert. Nur deswegen gibt es jetzt an der Lindauer Autobahnab­fahrt eine Einfädelsp­ur – „und seitdem keinen einzigen Unfall mehr“, wie Steur stolz erzählt. Vor Jahren hat er mal zwischen der Reutiner Straße und der Köchlinstr­aße mit Kreide einen Kreisverke­hr auf den Boden gezeichnet, den er dann von einem LKWFahrsch­üler umrunden ließ. Berechnung­en der Behörden hatten damals ergeben, dass ein Kreisverke­hr dort nicht möglich sei. Steur bewies das Gegenteil. „Grad im Verkehr muss man die Dinge pragmatisc­h angehen“, sagt er. Geholfen habe ihm dabei immer, dass er kein „Bürohengst“gewesen sei. „Ich war immer gern draußen unterwegs.“Und wenn er ein Problem erkannt hat, dann hat ihm das keine Ruhe gelassen, bis es gelöst war.

Was ihm mindestens so wichtig war: Dass die Kolleginne­n und Kollegen in der PI eine gute Ausrüstung haben. „Und das geht schon los beim Einsteigen ins Dienstauto“, sagt er. Sein Abschiedsg­eschenk: Ein 5erBMW, der sich auch für die Arbeit auf der Autobahn eignet. „Dafür habe ich lange gekämpft“, sagt Steur. Selbst fahren wird er das neue Auto nie.

Vor gut 40 Jahren, da war sein Dienstauto ein VW-Käfer. „Da war

Thomas Steur hatte sehr banale Gründe, Ende der 1970er-Jahre zur Polizeiprü­fung nach München zu

fahren.

Neuer Dienststel­lenleiter der Lindauer Polizeiins­pektion wird zum 1. Januar 2022 der Erste Polizeihau­ptkommissa­r Michael Jeschke.

Der 51-Jährige war zuletzt stellvertr­etender Leiter des Präsidialb­üros beim Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West und ist in Lindau kein Unbekannte­r, wie es vonseiten der Polizei heißt.

Er trat 1987 in den Dienst der Bayerische­n Polizei. 1991 ging er zur Polizeiins­pektion Lindenberg, es folgten Stationen bei der Wasserschu­tzpolizei und der Polizeiins­pektion Lindau.

Nach seinem Aufstieg in die 3. Qualifikat­ionsebene (früher gehobener Dienst) arbeitete Michael Jeschke in verschiede­nen Führungsau­ch noch nichts mit Computern, wir haben mit Fernschrei­bern kommunizie­rt“, erzählt er. Hätte ihm damals jemand gesagt, dass er mal ein klitzeklei­nes Gerät besitzen würde, mit dem er telefonier­en und sogar Fotos machen kann – er hätte es nicht geglaubt. Noch gut erinnert er sich an die „Terroriste­nzeit“, die Jahre nach den Anschlägen der RAF. Beim Ausmisten seines Büros hat er einen alten Kartenbloc­k zum Ausklappen gefunden. Darauf abgebildet sind alle damals gesuchten RAF-Mitglieder – inklusive Code für jeden Einzelnen. „Die haben ja teilweise über Funk mitgehört, das musste alles verschlüss­elt sein.“Einer seiner ersten großen Einsätze war das Oktoberfes­tattentat 1980, wo er zur Unterstütz­ung nach München gerufen wurde.

Doch auch in Lindau gibt es einige Einsätze, die ihm für immer im Gedächtnis bleiben werden. Der Amokalarm vor knapp zwei Jahren an der Schule in Reutin zum Beispiel. „Das war ein höchst interessan­ter Einsatz“, sagt Steur. Nach den Attentaten auf den Berliner Weihnachts­markt und in Nizza habe die Polizei „sehr viel Theorie betrieben“. Er habe zwar nie damit gerechnet, dass er diese Theorie mal in die Praxis übertragen werden müsse. „Aber wir waren sehr gut vorbereite­t“, sagt er. Schon auf der Fahrt zur Schule sei er in seinem Kopf alle wichtigen Punkte durchgegan­gen. Kurz darauf hat er dann den Einsatz mit 300 Beamtinnen und Beamten geleitet. Dass es sich um einen Fehlalarm handelte, war erst zweieinhal­b Stunden später klar. „Aber wenn es echt gewesen wäre, dann hätten wir das gut gemacht“, sagt er. „Auch die Schule hat vorbildlic­h reagiert.“

Ebenfalls nie vergessen wird er das Zugunglück in Enzisweile­r im September 2001: Als frühmorgen­s über Funk die Nachricht kam, dass dort zwei voll besetzte Regionalzü­ge funktionen und Stabsberei­chen des Polizeiprä­sidiums Schwaben Süd/ West.

„Ich freue mich sehr, die Leitung der Polizeiins­pektion Lindau an Michael Jeschke übertragen zu können“, schreibt Polizeiprä­sidentin Claudia Strößner in einer Pressemitt­eilung. Die Dienststel­le erhalte mit ihm einen sehr engagierte­n, kompetente­n und kollegiale­n Chef. „Ich wünsche ihm bei seinen Entscheidu­ngen stets eine glückliche Hand.“

In der Pressemitt­eilung dankt sie auch Thomas Steur für seine Arbeit in Lindau. „Mit viel Herzblut hat Thomas Steur seine Schaffensk­raft in den Dienst der PI Lindau gestellt.“(jule) frontal zusammenge­stoßen sind, war das ein Schock. „Ich wusste, dass mein Sohn in einem dieser Züge sitzt“, erinnert er sich. Rund 80 Menschen wurden damals verletzt, zum Glück keiner lebensgefä­hrlich. Lindau war aber auch ohne große Unglücke immer eine besondere Herausford­erung. Wo sonst gibt es Tagungen wie die der Nobelpreis­träger, die von Angela Merkel persönlich eröffnet werden? Oder Tagungen, bei denen sich Vertreter aller Weltreligi­onen versammeln – und die der Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier eröffnet?

Die Demonstrat­ion gegen Ministerpr­äsident Markus Söder bei der Einweihung der Inselhalle sei größer gewesen, als die Polizei im Vorfeld dachte. Ein Problem war das nicht, denn die Demonstran­ten hätten sich gut benommen. „Dass man seine Meinung kundtun kann, das ist ein wahnsinnig wichtiges Grundrecht.“Demonstran­ten sind bei ihm immer auf Verständni­s gestoßen. Ebenso, wie Jugendlich­e, die sich zum Feiern treffen. „Irgendwo müssen sie ja hin“, sagt Steur auch mit Blick auf die Pandemie. „Es müssen eben nur die Regeln eingehalte­n werden.“

Im Sommer hatte es immer wieder größere Partys gegeben, auf denen auch ein paar gewaltbere­ite Jugendlich­e waren. Was ihn in diesem Zusammenha­ng schockiert hat: Die Respektlos­igkeit, mit denen so mancher Jugendlich­er seinen Kollegen und ihm begegnet ist. „Da haben ein paar Jugendlich­e das Image aller kaputt gemacht“, sagt er. Ebenso wenig nachvollzi­ehen kann er es, wenn Demonstran­ten die Grundrecht­e anderer verletzten. So, wie vor ein paar Wochen, als Gegner der CoronaMaßn­ahmen den Berliner Platz lahmlegten und dabei ein Rettungsfa­hrzeug blockierte­n. „Da geht es um das Grundrecht auf Gesundheit und körperlich­e Unversehrt­heit.“Kaum fassen konnte er die Begründung einiger Demonstran­ten im Nachgang. „Sie dachten, das Rettungsfa­hrzeug sei von der Polizei fingiert gewesen.“

Entwicklun­gen wie diese betrachtet der scheidende erste Polizeihau­ptkommissa­r mit Sorge. Doch zumindest beruflich müssen sich darum nun andere kümmern. Langweilig wird Thomas Steur im Ruhestand nicht werden. Denn wie damals, als er ohne Probleme die Sportprüfu­ng schaffte, ist er auch heute noch passionier­ter Sportler. Die Saisonkart­e ist schon gekauft, von Montag bis Freitag wird er jetzt auf der Skipiste sein. Im Frühjahr startet für ihn dann die Motorradsa­ison, und mit dem EBike ist er eh immer gern unterwegs. Und dann steht eigentlich noch eine Feier mit den Kolleginne­n und Kollegen aus, die wegen der Pandemie jetzt nur im ganz kleinen Kreis stattfinde­t. „Wenn die mich dann noch kennen“, scherzt Steur. Ganz bestimmt.

Thomas Steur war kein „Bürohengst“

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FOTO: JULIA BAUMANN Nach knapp 43 Jahren Polizeidie­nst geht Thomas Steur in den Ruhestand.

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