„Kochen ist entspannender als jede Yogastunde“
Der Ravensburger Stevan Paul über die Kunst, mit Kochbüchern den Zeitgeist zu treffen, und warum er froh ist, nicht Tim Mälzer zu sein
- Die Begeisterung für das Kochen hat den Ravensburger Stevan Paul von der Kochlehre zum Kochbuchautor geführt. Inzwischen lebt er in Hamburg und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Im Interview mit Redakteurin Miriam Heidecker erzählt er, warum er fast den Job von Tim Mälzer bekommen hätte, warum er für seine norddeutschen Freunde immer zwei Sorten Kartoffelsalat auftischt und wie einfach Kochen sein kann.
Herr Paul, anstatt Tim Mälzer wären fast Sie Deutschlands erster TV-Koch geworden. Dann hätten die Fernsehzuschauer gelernt, wie man Spätzle, Maultaschen und Linsen kocht – statt Labskaus. Warum sind Sie es denn nicht geworden? Eine Produktionsfirma in Hamburg suchte damals den deutschen Jamie Oliver. Bei einem Casting sind Tim Mälzer und ich übriggeblieben. Wir haben Probesendungen aufgenommen. Diese Bänder bekamen die privaten Fernsehsender in Deutschland. Und alle Sender haben sich für Tim entschieden. Heute muss ich so darüber lachen.
Warum? Sie hätten es in die Wohnzimmer von Millionen von Fernsehzuschauern geschafft.
Ich bin heilfroh, dass ich den Job damals nicht bekommen habe. Durch die spätere Mitarbeit an Tims Kochbüchern hatte ich auch einen Einblick in sein Leben und wie sich alles entwickelt hat. Ich bin froh, dass dieser Kelch an mir vorübergegangen ist. Ich wäre nicht der richtige Mann für diesen Job gewesen. Ich habe sehr viel Vergnügen an der zweiten Reihe und ich habe letztendlich auch meine Erfüllung als Kochbuchautor und Foodjournalist gefunden, der die Menschen zum Kochen ermutigt. Das finde ich die schönere Aufgabe. Was für mich aber damals abfiel, war, dass Tim und ich uns sehr früh kennengelernt haben und ich zwei Jahre bei RTL im Mittagsmagazin gekocht habe.
Inzwischen gibt es fast keinen TVSender, der ohne Kochshow auskommt. Es wird fast mehr gekocht als getalkt im deutschen Fernsehen. Wettkampf und Show stehen im Vordergrund. Können Sie damit noch was anfangen?
Früher habe ich mir alles angesehen, heute erspare ich mir eine Menge.
Fester Termin ist für mich „Das perfekte Dinner“. Dort erfahre ich viel für meine Arbeit als Kochbuchautor. Für mich ist das quasi Schulaufgabe. Ich schaue mir an, was kochen die Leute, was mögen sie, was liegt gerade im Trend. Das sind alles Anhaltspunkte, wie weit ich in meinen Büchern gehen kann oder was sich die Menschen wünschen. „Kitchen Impossible“mit Tim Mälzer schaue ich auch sehr gerne. An diesem Format begeistert mich, zu sehen, wie große Köchinnen und Köche mit Problemen umgehen, wie sie Lösungen finden.
Sie sind gebürtiger Ravensburger und hier aufgewachsen. Wie sind Sie denn zum Kochen gekommen? Ich habe eine Kochlehre im Restaurant „Waldhorn“bei Albert Bouley in Ravensburg gemacht. Das hat mich wirklich über Jahrzehnte geprägt und hallt bis heute in mir nach. Seine Art das Kochen zu sehen, nämlich auch als eine Art des Stils und der eigenen Haltung, begleitet mich bis heute. Und Albert Bouley spukt auch immer ganz erfreulich durch viele meiner Bücher. Nach der Lehre habe ich drei Jahre lang als Jungkoch in sämtlichen Küchen gearbeitet. Damals Ende der 80er-Jahre, Anfang der 90er-Jahre war der Ton gerade in der Sterneküche extrem rau. Da war auch noch Gewalt an der Tagesordnung. Bei Albert Bouley hat man so was natürlich nicht erlebt. Ich war sehr erstaunt, als ich dann weitergezogen bin, dass überall anderswo ein wesentlich rauerer Ton herrschte. Ich habe mich da irgendwann nicht mehr wohl gefühlt. Und ich wusste, Kochen und die Kulinarik sind meins, aber ich bin nicht der Koch in der Küche eines Restaurants.
Welchen Weg haben Sie dann eingeschlagen?
Nach den Wanderjahren als Jungkoch bin ich als Praktikant zur Zeitschrift „Essen und Trinken“nach Hamburg gegangen. Dort habe ich in fünf Jahren das Rüstzeug für all das bekommen, was ich heute tue. Vom Rezepteentwickeln über Foodstyling bis zum ordentlichen Rezepteschreiben. Das war ein schleichender Wechsel als Seiteneinsteiger zum Foodjournalisten.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre alte Heimat Ravensburg, an Oberschwaben, an den Bodensee? Ich habe meine Jugend dort verbracht. Das war eine schöne Zeit. Mir kommt es so vor, als wäre immer gutes Wetter gewesen. Ich denke an den Bodensee, an die Berge. Wir waren unglaublich oft in den Bergen. Ich hatte eine wahnsinnig schöne Kindheit. Sehr behütet. Die schwäbische Küche habe ich auch immer geliebt und liebe sie bis heute. Das ist das Schöne überhaupt am Essen. Man kann sich Kindheitserinnerungen wieder holen. Wenn ich mir hier in Hamburg Käsespätzle mache, da wird auch die Seele gewärmt und nicht nur der Bauch. Ich mache auch sehr gerne Maultaschen. Die muss ich selber machen, die kann ich nicht kaufen. Alles was es da gibt, taugt nichts. Also mache ich mir manchmal die schöne Mühe, Maultaschen herzustellen.
Seit rund 25 Jahren leben Sie nun in Hamburg. Gibt es denn etwas, das Sie im hohen Norden vermissen? Maultaschen und einen guten Leberkäse. Das wäre schön.
Laden Sie manchmal auch Freunde zum schwäbischen Abend ein?
Alle Menschen hier oben lieben Käsespätzle und Maultaschen. Damit kann ich immer punkten. Ein Diskussionsstoff bietet natürlich der Kartoffelsalat, der bei uns schön schlonzig und mit Brühe gemacht wird und hier oben mit Mayonnaise-Schmand. Da läuft schon ein Graben durch die Gäste. Weihnachten muss ich immer beide machen. Aber es wird auch brav von beiden immer gegessen.
Ich hoffe, nicht nur des Anstands wegen.
Ich glaube nicht.
Wenn man sich anschaut, was Sie alles machen, könnte man meinen, Sie sind nicht eine Person, sondern mindestens fünf. Sie schreiben nicht nur Kochbücher, sie sind auch Journalist, Blogger, Texter, Rezepteentwickler, waren Fernsehkoch,
schreiben Romane, haben einen Food-Blog. Kurz gesagt, Sie sind ein echtes Multitalent.
Die Klammer, die alles zusammenhält, ist die Begeisterung für die Kulinarik. Alle diese Unternehmungen haben immer was mit Kochen, Essen und Genuss zu tun. Ich liebe meine Arbeit, die Grenzen zur Freizeit sind durchlässig. Außerdem bin ich sehr fleißig. Das sind wir Schwaben ja gern mal. Wir lieben das Schaffen. Dafür stehe ich einfach und es macht mir immense Freude. Ich habe in den letzten zehn Jahren zwölf Kochbücher geschrieben. Es ist eine wahnsinnig schöne Aufgabe, Menschen für das Kochen zu begeistern.
Wie kam es zu ihrem ersten Kochbuch?
Das war 2013 und eine glückliche Fügung. Der Brandstätter Verlag aus Wien suchte einen Autoren der „Deutschland vegetarisch“schreibt. Das war mein erstes Kochbuch. Das war absolutes Neuland, aber da habe ich Lunte gerochen. Zudem mache ich Auftragsarbeiten unter anderem als Autor für Tim Mälzers Bücher „Heimat“und „Greenbox“. Da hatte ich mir schon einen Namen gemacht. Man wusste, dass ich ein sehr akribischer Rezepteautor bin, dass ich aber auch die Reportage beherrsche.
Und das war natürlich interessant für Tim Mälzer.
Ihre Kochbücher sind sehr vielfältig: Es geht um Grundlagen, vegetarische und japanische Küche, Sie greifen auch immer wieder Trends auf. Wie würden Sie Ihren Stil bezeichnen?
Das ist stetig im Wandel. Aber alle Bücher haben mit mir zu tun. Meine Liebe zur japanischen Küche basiert tatsächlich auf Albert Bouley, der ein Pionier der euro-asiatischen Küche war. Ich liebe campen. Und daraus ist dann „Open air“geworden, ein Camping-Kochbuch. „Auf die Hand“ist meiner Begeisterung für die aufkommende Streetfood-Bewegung in Deutschland geschuldet. Und so haben doch alle Bücher mit mir zu tun und sie sind immer auch einem Zeitgeist verpflichtet.
Wie finden Sie heraus, was die Leute momentan kochen möchten, für welche Kochbücher sie sich interessieren?
Man schaut als Kochbuchautor natürlich in die Welt. Was könnte die Menschen als nächstes interessieren. Geändert hat sich das erst mit meinem Standardwerk „Kochen“. Da habe ich gemerkt, ich habe Lust den Menschen ein bisschen Rüstzeug und Basiswissen über die Küche zu geben, also kochen zu erklären. Statt eines Themas einfach zu sagen, was ist denn Kochen als Handwerk. Wie einfach oder wie schwierig ist das.
Der Titel Ihres neuen Buches „Simple & Clever Cooking: Weniger ist mehr“könnte auch der Titel eines Lebensratgebers sein.
Exakt, es ist ein Ratgeber. Wie räume ich eine Küche ein, wie halte ich Ordnung, wie wirtschafte ich nachhaltig, wie gelingt eine Leftover-Küche, wie gelingt es weniger wegzuwerfen. Das alles steckt in diesem Buch drin. Entstanden ist das Buch schon während des ersten Lockdowns Anfang 2020. Weil ich in den sozialen Medien ganz genau geschaut habe, was bewegt die Menschen, die sonst wenig oder gar nicht kochen und jetzt plötzlich gezwungen sind, ihre Küche neu zu entdecken und zu beleben. Da habe ich schnell herausgefunden, dass es darum geht, mit wenig Wissen und vielleicht auch wenig Zutaten maximalen Geschmack zu erzeugen. Die Menschen interessieren sich für Vorratshaltung. Sie sind aber auch bewusst sehr ökologisch und ökonomisch. Sie denken wirklich wirtschaftlich, sie denken ans Geld. Das alles waren für mich Hinweise, aus denen dann das Buch entstanden ist.
Glauben Sie denn, dass diese Veränderungen nachhaltig sind?
Ich habe mich sehr gefreut, dass die Menschen sich – vielleicht auch notgedrungen – in die Küche begeben haben. Die Leute haben Kochbücher gekauft und Rat gesucht. Ich hoffe, dass man davon etwas in den Alltag hinüberretten kann, indem die Menschen trotz aller Nöte und Sorgen, die diese schwierige Zeit mit sich bringt, gemerkt haben, wie schön kochen und essen sein kann, auch für die Seele. Ein gutes Essen, ein Gespräch, eine Pause, bisschen was schnibbeln mit einem Glas Wein. Kochen nicht nur als Aufgabe verstehen, sondern als tolle Auszeit für sich selbst. Ich sage immer, macht euch Musik an, schenkt euch was Gutes ins Glas und versucht, das Schnibbeln als Meditation zu sehen. Das ist entspannender als jede Yogastunde.
Klingt in der Theorie super, in der Realität zwischen Arbeit, Haushalt und Kindern stelle ich mir das eher schwierig vor.
Da muss ich widersprechen. Ich koche täglich und ich sehe das als etwas sehr Angenehmes an. Tatsächlich braucht es ein bisschen Mut gerade am Anfang. Es kann gar nicht viel schiefgehen. Das möchte ich mit meinem neuen Buch zeigen. Daher kommt auch dieser Anglizismus. Denn „simple“ist das Rezept, das ich ganz an den Anfang stelle, und unter „clever“gebe ich den Lesern und Leserinnen Tipps, wie sie variieren können, was sie noch zusätzlich machen können. All das ist verbunden mit der Hoffnung, dass die Leser mit der Zeit in Übung kommen und ihren eigenen Geschmack entdecken.