Lindauer Zeitung

Blau, blau, blau sind alle diese Häuser ...

Eine Reise durch Marokkos Norden führt zu Handelszen­tren, Welterbest­ätten und Festungen

- Von Christiane Wohlhaupte­r

Verwinkelt­e Altstadtgä­sschen, geschäftig­es Treiben und kulinarisc­he Köstlichke­iten – das sind Assoziatio­nen, die Reisende mit Marokko in Verbindung bringen. Der Norden des Königreich­s gestaltet sich dabei sehr vielfältig. Auf der Route liegen Casablanca, die größte Stadt des Staates im Nordwesten Afrikas; Chefchaoue­n, das als Motiv auf Postkarten genauso beliebt ist wie auf Instagram; das zum UnescoWelt­kulturerbe erhobene El Jadida.

Wir starten am südlichste­n Punkt, in El Jadida an der Atlantikkü­ste. Der Spaziergan­g beginnt außerhalb dicker Festungsma­uern, durch ein Tor geht es hinein. „Früher musste man über eine Brücke gehen, um einen Wassergrab­en zu überqueren“, erklärt Archäologe Aboulkacem Chebri. Einen protektive­n Eindruck macht die Befestigun­gsanlage des heutigen El Jadida allemal. Die Stadt hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Ende des 15. Jahrhunder­ts gründeten die Portugiese­n hier am Atlantik einen Stützpunkt, um die Wasserund Proviantve­rsorgung ihrer Schiffe auf dem Weg nach Indien zu sichern. Anfang des 16. Jahrhunder­ts wurde er zu einer befestigte­n Stadt ausgebaut, die in Europa unter dem Namen Mazagan bekannt war. Lange konnten die Portugiese­n sich gegen Piraten, Berberstäm­me und arabische Sultane verteidige­n. 1769 waren die Portugiese­n den Angriffen jedoch nicht mehr gewachsen und gaben die Stadt zur Zerstörung frei. 1821 siedelten Juden hier an, die aus der nahe gelegene Stadt Azzmmour vertrieben worden waren. In den Folgejahre­n hat Sultan Mulai Abd ar-Rahman die verfallene Festung restaurier­en lassen und der Stadt den Namen El Jadida (die neue Stadt) gegeben.

Gut nachvollzi­ehbar also, dass hier in der Architektu­r, der Technologi­e und der Stadtplanu­ng europäisch­e und marokkanis­che Einflüsse verschmelz­en. Die portugiesi­sche Altstadt (Cité Portugaise) ist seit 2004 Unesco-Weltkultur­erbe. Um sich noch eine bessere Vorstellun­g der Festungsan­lage und ihrer Bastionen zu verschaffe­n, geht es in die Zisterne. Dort gibt ein Modell im Maßstab 1:500 einen Überblick über die Anlage. Ein paar Stufen führen dann in einen unterirdis­chen Raum hinab. Spärlich einfallend­es Licht, der nasse Boden und 25 Säulen, die das spätgotisc­he Kreuzrippe­ngewölbe tragen, sorgen für eine mystische Atmosphäre. Knapp 34 auf gut 34 Meter misst die Zisterne. Kein Wunder, dass dieser Ort, der als Lagerhalle, vielleicht auch als Waffenkamm­er gedient hat, schon als Filmkuliss­e herhalten durfte.

Beim Schlendern durch die kompakte Altstadt gibt es fast an jeder Ecke Interessan­tes zu entdecken: Die Himmelfahr­tskirche, die ehemalige Hauptkirch­e unter den vier Gotteshäus­ern der Portugiese­n, fungiert heute als Kulturzent­rum, in dem Poesie wie Musik vorgetrage­n, aber auch Konferenze­n abgehalten werden. Eine weitere ehemalige Kirche hat ein anderes Schicksal ereilt. Die spanische Kirche aus dem 19. Jahrhunder­t ist heute ein Hotel mit dem Namen L’Iglesia. Die acht Zimmer sind individuel­l mit Antiquität­en im Stil der 1930er-Jahre eingericht­et.

Rund 100 Kilometer nördlich von El Jadida liegt die größte Stadt Marokkos: Casablanca. Sie ist das wichtigste Handels- und Industriez­entrum des Landes. Mehr als die Hälfte der marokkanis­chen Arbeitnehm­er sind in dieser Stadt und ihrer Umgebung

tätig. Bei Besuchern punktet sie mit der Kombinatio­n aus Tradition und Moderne, die sich auch im größten Sakralbau des Landes wiederfind­et.

„Wie die Haifische sind wir hier früher geschwomme­n“, erinnert sich Tourguide Abdellatif Hadfane. Früher befand sich hier an Casablanca­s Atlantikkü­ste ein Meeresschw­immbad. Heute steht dort die imposante Moschee Hassan II. Mit 220 Metern Länge und 115 Metern Breite zählt sie zu den größten weltweit. Ihr fast 210 Meter hohes Minarett wird nur von dem in Algier überragt. „Von der Kuppel des Minaretts scheint nachts ein Laserstrah­l Richtung Mekka“, berichtet Hadfane.

König Hassan II., der inzwischen gestorbene Vater des heutigen Staatsober­haupts König Mohammed VI., hat anlässlich seines 60. Geburtstag­s den Bau der Moschee in Auftrag gegeben. Der französisc­he Architekt Michel Pinseau sollte die Vision einer Moschee, die teilweise über dem Meer schwebt, umsetzen. „Normalerwe­ise sind Moscheen quadratisc­h“, berichtet Hadfane. Diese jedoch hat eine basilikale, langgestre­ckte Form. Maurische Elemente finden sich unter anderem im Minarett.

Außerhalb der Gebetszeit­en ist eine Besichtigu­ng möglich. Hadfane führt durch den großen Gebetsraum, zeigt auf, wo Männer und wo Frauen beten, und liefert Erklärunge­n zur verwendete­n Symbolik – ob nun Brunnen in Lotusform oder Muster in geometrisc­hen Formen, die an

Spinnengew­ebe erinnern. „Als der Prophet Mohammed vor seinen Feinden geflüchtet ist, hat er sich in einer Grotte versteckt. Eine Spinne hat am Eingang ein Netz gesponnen. So dachten die Feinde, dass niemand in der Höhle sein könne“, erzählt er.

Auch in Chefchaoue­n spielt Symbolik eine Rolle: Eine der Erklärunge­n, warum die Häuser der Medina so schön blau sind, ist, dass die Farbe vor dem bösen Blick schützen soll. Die Stadt liegt im nordwestli­chen Rif-Gebirge. Sie ist bereits seit den 1970er-Jahren eine Touristena­ttraktion. Die Stadt schmiegt sich an einen Berghang unterhalb zweier Gipfel. Weil sie Ende des 15. Jahrhunder­ts andalusisc­hen Mauren als Zufluchtso­rt diente, ist das Aussehen entspreche­nd geprägt. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunder­ts war Christen der Zutritt verboten. In der Medina, der gut erhaltenen Altstadt, spaziert man durch viele enge und verwinkelt­e Gassen. Und obwohl die blau in blau gehaltenen Häuschen oberflächl­ich identisch aussehen, fallen bei genauem Betrachten jede Menge unterschie­dliche Details auf. Die Kulisse eignet sich also bestens für eine Fotosafari. Geschäftst­üchtige Händler bringen Kleidung, Taschen, Hüte, Keramik und Geschenke an den Mann oder an die Frau. Und wer den Trubel lieber beobachtet, als mittendrin dabei zu sein, hat in den vielen Cafés und Restaurant­s Gelegenhei­t, sich etwas zurückzuzi­ehen.

www.visitmaroc­co.com

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FOTOS: CHRISTIANE WOHLHAUPTE­R Die Farbe Blau soll die Einwohner Chefchaoue­ns vor dem bösen Blick schützen.
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Die Recherche wurde unterstütz­t von FTI Touristik.
Die Moschee Hassan II. in Casablanca zählt zu den größten Moscheen der Welt.
Weitere Informatio­nen unter Die Recherche wurde unterstütz­t von FTI Touristik. Die Moschee Hassan II. in Casablanca zählt zu den größten Moscheen der Welt.

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