Blau, blau, blau sind alle diese Häuser ...
Eine Reise durch Marokkos Norden führt zu Handelszentren, Welterbestätten und Festungen
Verwinkelte Altstadtgässchen, geschäftiges Treiben und kulinarische Köstlichkeiten – das sind Assoziationen, die Reisende mit Marokko in Verbindung bringen. Der Norden des Königreichs gestaltet sich dabei sehr vielfältig. Auf der Route liegen Casablanca, die größte Stadt des Staates im Nordwesten Afrikas; Chefchaouen, das als Motiv auf Postkarten genauso beliebt ist wie auf Instagram; das zum UnescoWeltkulturerbe erhobene El Jadida.
Wir starten am südlichsten Punkt, in El Jadida an der Atlantikküste. Der Spaziergang beginnt außerhalb dicker Festungsmauern, durch ein Tor geht es hinein. „Früher musste man über eine Brücke gehen, um einen Wassergraben zu überqueren“, erklärt Archäologe Aboulkacem Chebri. Einen protektiven Eindruck macht die Befestigungsanlage des heutigen El Jadida allemal. Die Stadt hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Ende des 15. Jahrhunderts gründeten die Portugiesen hier am Atlantik einen Stützpunkt, um die Wasserund Proviantversorgung ihrer Schiffe auf dem Weg nach Indien zu sichern. Anfang des 16. Jahrhunderts wurde er zu einer befestigten Stadt ausgebaut, die in Europa unter dem Namen Mazagan bekannt war. Lange konnten die Portugiesen sich gegen Piraten, Berberstämme und arabische Sultane verteidigen. 1769 waren die Portugiesen den Angriffen jedoch nicht mehr gewachsen und gaben die Stadt zur Zerstörung frei. 1821 siedelten Juden hier an, die aus der nahe gelegene Stadt Azzmmour vertrieben worden waren. In den Folgejahren hat Sultan Mulai Abd ar-Rahman die verfallene Festung restaurieren lassen und der Stadt den Namen El Jadida (die neue Stadt) gegeben.
Gut nachvollziehbar also, dass hier in der Architektur, der Technologie und der Stadtplanung europäische und marokkanische Einflüsse verschmelzen. Die portugiesische Altstadt (Cité Portugaise) ist seit 2004 Unesco-Weltkulturerbe. Um sich noch eine bessere Vorstellung der Festungsanlage und ihrer Bastionen zu verschaffen, geht es in die Zisterne. Dort gibt ein Modell im Maßstab 1:500 einen Überblick über die Anlage. Ein paar Stufen führen dann in einen unterirdischen Raum hinab. Spärlich einfallendes Licht, der nasse Boden und 25 Säulen, die das spätgotische Kreuzrippengewölbe tragen, sorgen für eine mystische Atmosphäre. Knapp 34 auf gut 34 Meter misst die Zisterne. Kein Wunder, dass dieser Ort, der als Lagerhalle, vielleicht auch als Waffenkammer gedient hat, schon als Filmkulisse herhalten durfte.
Beim Schlendern durch die kompakte Altstadt gibt es fast an jeder Ecke Interessantes zu entdecken: Die Himmelfahrtskirche, die ehemalige Hauptkirche unter den vier Gotteshäusern der Portugiesen, fungiert heute als Kulturzentrum, in dem Poesie wie Musik vorgetragen, aber auch Konferenzen abgehalten werden. Eine weitere ehemalige Kirche hat ein anderes Schicksal ereilt. Die spanische Kirche aus dem 19. Jahrhundert ist heute ein Hotel mit dem Namen L’Iglesia. Die acht Zimmer sind individuell mit Antiquitäten im Stil der 1930er-Jahre eingerichtet.
Rund 100 Kilometer nördlich von El Jadida liegt die größte Stadt Marokkos: Casablanca. Sie ist das wichtigste Handels- und Industriezentrum des Landes. Mehr als die Hälfte der marokkanischen Arbeitnehmer sind in dieser Stadt und ihrer Umgebung
tätig. Bei Besuchern punktet sie mit der Kombination aus Tradition und Moderne, die sich auch im größten Sakralbau des Landes wiederfindet.
„Wie die Haifische sind wir hier früher geschwommen“, erinnert sich Tourguide Abdellatif Hadfane. Früher befand sich hier an Casablancas Atlantikküste ein Meeresschwimmbad. Heute steht dort die imposante Moschee Hassan II. Mit 220 Metern Länge und 115 Metern Breite zählt sie zu den größten weltweit. Ihr fast 210 Meter hohes Minarett wird nur von dem in Algier überragt. „Von der Kuppel des Minaretts scheint nachts ein Laserstrahl Richtung Mekka“, berichtet Hadfane.
König Hassan II., der inzwischen gestorbene Vater des heutigen Staatsoberhaupts König Mohammed VI., hat anlässlich seines 60. Geburtstags den Bau der Moschee in Auftrag gegeben. Der französische Architekt Michel Pinseau sollte die Vision einer Moschee, die teilweise über dem Meer schwebt, umsetzen. „Normalerweise sind Moscheen quadratisch“, berichtet Hadfane. Diese jedoch hat eine basilikale, langgestreckte Form. Maurische Elemente finden sich unter anderem im Minarett.
Außerhalb der Gebetszeiten ist eine Besichtigung möglich. Hadfane führt durch den großen Gebetsraum, zeigt auf, wo Männer und wo Frauen beten, und liefert Erklärungen zur verwendeten Symbolik – ob nun Brunnen in Lotusform oder Muster in geometrischen Formen, die an
Spinnengewebe erinnern. „Als der Prophet Mohammed vor seinen Feinden geflüchtet ist, hat er sich in einer Grotte versteckt. Eine Spinne hat am Eingang ein Netz gesponnen. So dachten die Feinde, dass niemand in der Höhle sein könne“, erzählt er.
Auch in Chefchaouen spielt Symbolik eine Rolle: Eine der Erklärungen, warum die Häuser der Medina so schön blau sind, ist, dass die Farbe vor dem bösen Blick schützen soll. Die Stadt liegt im nordwestlichen Rif-Gebirge. Sie ist bereits seit den 1970er-Jahren eine Touristenattraktion. Die Stadt schmiegt sich an einen Berghang unterhalb zweier Gipfel. Weil sie Ende des 15. Jahrhunderts andalusischen Mauren als Zufluchtsort diente, ist das Aussehen entsprechend geprägt. Noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts war Christen der Zutritt verboten. In der Medina, der gut erhaltenen Altstadt, spaziert man durch viele enge und verwinkelte Gassen. Und obwohl die blau in blau gehaltenen Häuschen oberflächlich identisch aussehen, fallen bei genauem Betrachten jede Menge unterschiedliche Details auf. Die Kulisse eignet sich also bestens für eine Fotosafari. Geschäftstüchtige Händler bringen Kleidung, Taschen, Hüte, Keramik und Geschenke an den Mann oder an die Frau. Und wer den Trubel lieber beobachtet, als mittendrin dabei zu sein, hat in den vielen Cafés und Restaurants Gelegenheit, sich etwas zurückzuziehen.
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