„Die nächsten 50 Jahre sind entscheidend“
Die tropischen Wälder sind weltweit bedroht durch Raubbau und Vernichtung – Wissenschaftler Patrick Roberts über die Entwicklung der Urwälder und ihre Rettung
Brasilien, Sri Lanka oder die Philippinen: Auf seinen Forschungsreisen hat der britische Archäologe und Anthropologe Patrick Roberts viele Teile der tropischen Welt bereist. Im Gespräch mit Joachim Heinz (KNA) spricht er unter anderem über die Bedeutung der Tropenwälder für die Menschheit.
Herr Roberts, was hat Sie in den Dschungel geführt?
Während meiner Promotion kam ich zum ersten Mal mit tropischen Wäldern in Berührung. Damals untersuchte ich in Sri Lanka, wie dort der frühe Homo Sapiens im Dschungel lebte. Bis dahin ging man davon aus, dass Menschen solche schwierigen Umgebungen gemieden haben. Aber die Arbeit von Kollegen aus Sri Lanka und mir zeigte, dass dies eindeutig nicht der Fall war. Seitdem fasziniert mich die Anpassungsfähigkeit des Menschen und die Frage, warum wir in Europa und Nordamerika die Lebensbedingungen in tropischen Wäldern als so feindlich ansehen.
Welche Spuren hinterließen die ersten Menschen, die vor 45 000 Jahren nach Sri Lanka kamen?
In Höhlen haben wir menschliche Knochen und Zähne gefunden, aber auch Stein- und Knochenwerkzeuge. Wir konnten nachweisen, dass sich die Menschen von Pflanzen und Tieren aus dem Regenwald ernährt haben. Die frühen Bewohner der Insel im Indischen Ozean haben mit Pfeil und Bogen gejagt und wussten, wie man sich mit Kleidung gegen lästige Insekten und Blutegel schützt.
Trotzdem beschwört das Wort Dschungel bei vielen Menschen Assoziationen von einer lebensfeindlichen Wildnis, einer grünen Hölle, hervor. Warum?
Das Wort „Dschungel“kommt vom indischen „jangal“und bedeutet „Wildnis“oder „jenseits der Siedlung“. Im Englischen hat es vor allem durch die Geschichten von Tarzan oder Mogli eine eigene Bedeutung bekommen. Das Wort lässt uns glauben, dass alle tropischen Wälder gleich und dass sie alle gefährlich, wild und frei von allen menschlichen Aktivitäten sind. Aber das stimmt so nicht. Es gibt viele Arten von tropischen Wäldern und viele Gesellschaften in der Vergangenheit, die davon profitiert haben: vom Jäger bis zum Stadtbewohner.
In der Bibel werden Adam und Eva aus dem Garten Eden vertrieben und landen in der rauen Wirklichkeit. In der Wissenschaft vertraten Forscher lange die Meinung, der Mensch habe erst in der Savanne zu sich selbst und dem aufrechten Gang gefunden. Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte zum Dschungel als Wurzel menschlichen Lebens?
Patrick Roberts (30, Foto: privat), ist Anthropologe und Archäologe und Gruppenleiter am Max-PlanckInstitut für Menschheitsgeschichte in Jena. In seinem Buch „Die Wurzeln des Menschen“(dtv, 2021) geht es um die Bedeutung von Tropenwäldern.
Die biblische Erzählung vom Paradies versucht, die ja tatsächlich wundersame Entstehung der Natur zu erklären. Wissenschaftlich betrachtet entwickelten sich vor 300 Millionen Jahren auf der Erde die Kohlewälder mit vierbeinigem Leben an Land, den Vorfahren von Säugetieren und Reptilien. Das waren die ersten komplexen Ökosysteme, auf denen letztlich alles weitere aufbaute. Für den Menschen wurden die Savannen später wichtiger. Aber ich behaupte, dass die Tropenwälder für die Entwicklung des aufrechten Ganges, die Nutzung von Werkzeugen oder die Ausbreitung unserer Spezies von großer Bedeutung waren. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass wir durch das Verfeuern von fossilen Brennstoffen, die die Wälder der Urzeit hinterlassen haben, jetzt den Klimawandel vorantreiben, der unsere Existenz inzwischen ernsthaft bedroht.
Wenn die tropischen Wälder schon so lange existieren – können sie auch den menschengemachten Klimawandel überstehen?
Der Entstehung der modernen Kontinente oder Klimaveränderungen in der Vergangenheit haben die Wälder getrotzt. Während der Trias-Zeit, vor 250 Millionen Jahren, verschwanden sie fast, und auch das große Artensterben vor etwa 66 Millionen Jahren stellte sie vor große Probleme. Trotzdem konnten sie sich immer wieder anpassen. Doch das Tempo des Klimawandels und die weit verbreiteten Veränderungen in der Landnutzung durch den Menschen drohen, sie zu überfordern. Seit 300 Millionen Jahren haben die Wälder dazu beigetragen, Kohlenstoff im Boden zu binden. Nun beginnen sie, ihn freizusetzen. Die nächsten 50 Jahre werden für ihr Fortbestehen auf unserer Erde entscheidend sein. Das macht schon Angst.
Legen wir gerade die Axt an unsere eigenen Wurzeln?
Wenn wir die tropischen Wälder weiter eliminieren, wird die Klimakrise sich verschärfen. Die Folgen haben wir gerade erst bei der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands erlebt. So etwas passiert in Bangladesch, Indien oder in der Karibik inzwischen dauernd. Wir denken immer: Das ist wirklich schlimm. Aber wir verdrängen, dass diese Phänomene langsam auch bei uns spürbar werden. Auch Epidemien wie Ebola resultieren möglicherweise daraus, dass der Mensch immer mehr in die Regenwälder eingreift, was ihn mehr und mehr in die Nähe von Wildtieren bringt. Corona könnte ebenfalls über Tiere auf den Menschen übergesprungen sein. Ich würde sagen: 2020 und 2021 sind vielleicht die Jahre, in denen wir erstmals sehen können, dass wir ein globales Problem haben, welches auch mit unserem Umgang mit den Regenwäldern zu tun hat.
Was wäre zu tun?
Meine Hoffnung ist, dass die junge Generation Druck macht auf Politik und Gesellschaft, damit sich etwas ändert. Wichtig wird auch sein, dass umweltfreundliche Energie preiswerter wird als fossile Brennstoffe. Wir müssen jetzt die Weichen stellen.
Aber Ihre Forschungen zeigen doch auch, dass der Mensch früher schon in die Tropenwälder eingegriffen hat.
Ja, aber früher haben die Menschen mit den Wäldern gelebt, sie nicht in ihrem Bestand bedroht. Ein Beispiel: Als Kolumbus nach Amerika kam, gab es in den dortigen Tropen eine Bevölkerung, die von ihrem Lebensstandard mit dem Niveau in Europa mithalten konnte. Sie lebten in einigen der größten und wohlhabendsten Städte der damaligen Zeit. Die Europäer schleppten Krankheiten ein, versklavten und misshandelten die Indigenen.
Das Ergebnis …
… war eine Marginalisierung von jahrtausendealtem Wissen in der Erhaltung und Bewirtschaftung tropischer Wälder. Viele dieser Völker kämpfen noch heute um ihre Anerkennung als traditionelle Landbesitzer – übrigens auch in anderen Gegenden der Welt, in denen die Europäer sich festsetzten. Die Vernichtung indigenen Lebens veranlasste die Invasoren dann zu der Auffassung, dass in den Regenwäldern nur sehr kleine Gemeinschaften lebten und die Ruinen Zeugnisse der Lebensfeindlichkeit dieser Gegend seien.
Wie würden Sie die Entwicklung der vergangenen 500 Jahre seit Kolumbus umschreiben?
Sogenannte Entdecker wie Kolumbus haben ein System von globaler Ungleichheit auf den Weg gebracht, zu der nur die Europäer den Schlüssel hatten. Es begann der Raubbau an der Natur. Die indigenen Völker dagegen wissen, wie sie mit den Wäldern zu leben haben. Sie haben den Schlüssel für die Zukunft. Ihnen müssen wir den Zugriff auf die Wälder zurückgeben. Ein großer Fehler wäre es, jetzt hinzugehen, alle Menschen aus den Dschungeln dieser Erde zu verbannen und zu sagen: So schützen wir jetzt die Wälder. Das wäre eine neue Form von Kolonialismus.