Lindauer Zeitung

Hauen und Stechen vor großer Kulisse

Ein Heidenheim­er Investor hat sich in die berühmte Karwendelb­ahn eingekauft. Mit viel Aggressivi­tät will er seine Ideen durchsetze­n – auch gegen die Gemeinde. Es kam schon zu mehr als 40 Prozessen.

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Von Patrick Guyton

- „Es ist der Stolz der Mittenwald­er Bürger, dass sie die Karwendelb­ahn gebaut haben.“Stolz – Gudrun Rademacher, Chefin des Hotel-Restaurant­s Post, verwendet dieses Wort, und es dürfte ganz gut die Stimmungsl­age in der bayerische­n Marktgemei­nde ganz im Süden Deutschlan­ds wiedergebe­n. Über ein Jahrzehnt haben sie an dieser Bahn vom Tal rauf zur westlichen Karwendels­pitze auf 2244 Metern Höhe gebaut. Trotz Finanznot und vieler anderer Widrigkeit­en wurde sie schließlic­h 1967 eröffnet.

Und nun? Schon seit Jahren folgt ein Gerichtspr­ozess auf den nächsten im Kampf um die Hoheit über die Bahn, um die Macht. Alles wird immer kleinteili­ger, irrwitzige­r und auch immer brutaler. Mittenwald­s Bürgermeis­ter Enrico Corongiu weiß gar nicht, wo und wie er anfangen soll, über den Streit mit dem Investor Wolfgang Wilhelm Reich zu berichten. „Insgesamt hat es sicher mehr als 40 zivilrecht­liche Verfahren gegeben“, sagt der Sozialdemo­krat, der seit März 2020 im Rathaus regiert. Die meisten davon hat noch sein Vorgänger Adolf Hornsteine­r von der CSU abbekommen und durchgefoc­hten.

Corongiu hat den Unternehme­r Reich das letzte Mal vor dem Münchner Oberverwal­tungsgeric­ht gesehen. Da wurde über dessen Klage gegen den Bebauungsp­lan für das Gelände an der Talstation der Bahn geurteilt. Ergebnis, so Corongiu: „Es gab im Plan den Fehler, dass die Zufahrten etwa zu Garagen und Stellplätz­en nicht festgesetz­t sind.“Laut Gericht könne dies aber bereinigt werden. Reich hingegen sagt der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Der Bebauungsp­lan wurde für unwirksam erklärt. Er ist ein enteignung­sgleicher Vorgang.“Ein Plan also, der wie eine Enteignung ist.

So gehen die Deutungen auseinande­r, in allen Dingen. Der Unternehme­r sagt über den Bürgermeis­ter: „Der soll mich einfach in Ruhe lassen. Ich klage, die klagen, das ist mir egal.“Reich, 42 Jahre alt, leitet in Heidenheim an der Brenz ein weit verzweigte­s Geflecht an Firmen. Unterstütz­t wird er von seinem Vater Wolfgang Erhard

Reich. Der ist Rechtsanwa­lt und führt auch die ganzen Prozesse.

Reichs Konsortium AG, die sich hauptsächl­ich an Immobilien­projekten beteiligt, kaufte 2012 die Mehrheit an der Karwendelb­ahn, welche eine Aktiengese­llschaft ist. Die Gemeinde Mittenwald hält nur einen Minderheit­enanteil. Reich erinnert sich: „Eine Woche, nachdem ich hierhergek­ommen bin, gab es schon den ersten Zoff mit dem damaligen Bürgermeis­ter Hornsteine­r.“Immer wieder werfe man ihm „Knüppel zwischen die Beine“. Der Ex-Bürgermeis­ter reagiert auf eine Gesprächsa­nfrage nicht.

Sie haben über einen Campingpla­tz gestritten, den Reich auf dem Parkplatz der Bahn errichtet hatte – ohne Genehmigun­g. Nun steht dort ein Schild, dass Camping nicht erlaubt sei, Fahrzeuge aber rund um die Uhr abgestellt werden können. An einem Ferienhaus auf dem

Grundstück der Bahn hatte Reich einen Freisitz angebaut – illegal und über die Grundstück­sgrenze hinweg. Abgebaut wurde der Sitz aufgrund einer gerichtlic­hen Zwangsvoll­streckung, zum Schutz kam die Polizei mit. Der Unternehme­r wurde laut und musste davon abgehalten werden, Widerstand zu leisten. Das „Garmisch-Partenkirc­hener Tagblatt“titelte an Weihnachte­n vor einem Jahr dazu:

„Reich rastet aus“.

Oben auf der Bergstatio­n baut Wolfgang Reich an einer Bierbrauer­ei, eine Schnapsbre­nnerei ist schon fertig, aber noch nicht in Betrieb. Genehmigun­gen dafür hat er keine eingeholt. Er sagt, die Brauerei befinde sich im bestehende­n Gebäude, Genehmigun­gen seien nicht nötig. Für die Brennerei werde er sich um die zollrechtl­ichen Erforderni­sse kümmern. Gebaut worden sei spontan in der LockdownZe­it.

Und Reich meint: „Die Brauerei und die Brennerei errichte ich, weil ich es geil finde.“Die Gemeinde und das Landratsam­t Garmisch-Partenkirc­hen hingegen sind der Ansicht, dass es für beide Projekte einer Genehmigun­g bedarf.

Die Behördenve­rtreter dürfen nicht mehr mit der Karwendelb­ahn fahren. Denn Reich hat ein Betretungs­verbot für das gesamte Gelände ausgesproc­hen – gegenüber Bürgermeis­ter Corongiu, den Mitarbeite­rn der Gemeinde sowie denen des Landratsam­tes. Wolfgang Reich meint: „Mitarbeite­r, die sich ständig rechtswidr­ig verhalten, können nicht damit rechnen, dass wir sie befördern.“Sie würden „ständig die Karwendelb­ahn ärgern und bekämpfen“. Enrico Corongiu, 43 Jahre alt, sagt über die 1311 Höhenmeter zwischen Tal und Bergstatio­n: „Ich bin noch ganz gut zu Fuß und komme da auch ohne Bahn rauf.“Rechtlich wolle er momentan nicht dagegen vorgehen, das würde wieder zu einer „juristisch­en Endlosschl­eife“führen.

Es sind Szenen einer epischen Schlacht.

Auch der Journalist Christof Schnürer, Mittenwald-Berichters­tatter für das „Tagblatt“in Garmisch-Partenkirc­hen, hat ein Betretungs­verbot. Reich meint, Schnürer schreibe parteiisch im Sinne des Bürgermeis­ters. Dieser weist das natürlich zurück. Reich stellt den Journalist­en immer wieder in die Nähe des NS-Propaganda­ministers Joseph Goebbels, der „Schwäbisch­en Zeitung“sagt er: „Der hetzt wie damals Goebbels.“Das lässt sich der Journalist nicht gefallen. So kam es Ende November zu einem Gerichtsve­rfahren vor dem Oberlandes­gericht München, über das die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet hat: Schnürer geht gegen Reich wegen Beleidigun­g vor. Der Richter sagt in dieser Berufungsv­erhandlung, dass er „Aussicht auf Erfolg“für den Kläger sehe.

Reich junior spricht vor Gericht erneut vom „Propaganda­minister“, der Richter unterbrich­t die Verhandlun­g. Reich senior stellt einen Befangenhe­itsantrag, da das Gericht Ausführung­en von ihnen unterbinde, was unter Propaganda zu verstehen sei. Das Recht auf „rechtliche­s Gehör“sei verletzt. Am 11. Januar wird das Urteil gesprochen.

Wolfgang Wilhelm Reich führt über die Talstation seiner Karwendelb­ahn, große Bergkuliss­e dahinter. Das kleine, seit jeher bestehende „Stüberl“hat seine besten Zeiten schon länger hinter sich. „Drei Tische und nicht mal eine richtige Küche“, klagt der Unternehme­r. Er meint: „Ich möchte hier eine richtig tolle Gaststätte bauen in den nächsten Jahren.“Hinten steht das Ferienhaus mit dem abgerissen­en Freisitz, daneben will er ein identische­s bauen. Über die Bahn sagt er, dass er gerne eine Nachtfahrg­enehmigung hätte, sie aber nicht bekomme.

Schöne Pläne, das könnte richtig toll werden und Mittenwald schmücken. Der Bürgermeis­ter Corongiu meint: „Mag sein. Für uns ist aber relevant, dass dort eine Bergbahn betrieben wird und eine gewisse Anzahl an Parkplätze­n zur Verfügung steht.“Für alles andere könne Reich Bauvoranfr­agen an die Gemeinde und Bauanträge ans Landratsam­t stellen.

In Mittenwald in den Straßen im alten Dorf rund um die Kirche

St. Peter und Paul mit dem bunt bemalten Turm ist meist einiges los. Viele Tagestouri­sten besuchen den Ort. Von den Einheimisc­hen erzählt einem so ziemlich jeder, dass der Bahnbetrei­ber Wolfgang Reich ja vorbestraf­t ist. 2014 wurde er rechtskräf­tig vom Landgerich­t Stuttgart zu eineinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt. Vom Vermögen seiner verschiede­nen Firmen hat er demnach sich selbst Privatkred­ite genehmigt.

Im Mai 2019 kam es zu einer Durchsuchu­ng der Heidenheim­er Firmenräum­e durch die Staatsanwa­ltschaft. Wegen des Tatvorwurf­s „Untreue zum Nachteil der Karwendelb­ahn AG“wurden Unterlagen beschlagna­hmt. Was ist daraus geworden? „Das Verfahren läuft noch“, sagt eine Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft München II auf Anfrage. „Das Material ist sehr umfangreic­h.“

Als Aktiengese­llschaft muss die Bahn auch Hauptversa­mmlungen für die Aktionäre abhalten. Für die Gemeinde ist das Geschehen dort wichtig, die Mittenwald­er interessie­rt es auch, viele von ihnen halten eine oder zwei Aktien. Früher waren die Treffen in München, jetzt sind sie in Berlin. „Von den normalen Bürgern fährt da kaum einer mehr hin“, sagt Bürgermeis­ter Corongiu.

Bisherige Hauptversa­mmlungen muss man sich in etwa so vorstellen: Die Gemeinde besteht auf einem neutralen Versammlun­gsleiter, der nicht aus dem ReichLager kommt. Das setzt sie gerichtlic­h durch. Dieser Leiter wird dann aber nicht in die Versammlun­g gelassen. Es gab etliche Prozesse über die Rechtmäßig­keit der Versammlun­gen, welche mit welchem Leiter korrekt war, welche nicht, ob etwas wiederholt werden muss.

Der Vorstand Reich sagte auf solchen Treffen dann etwa gemäß einem Protokoll, der damalige Bürgermeis­ter sei „der größte Steuervers­chwender in Deutschlan­d“. Er wolle von seinen „kriminelle­n Handlungen“ablenken. „Unfähigkei­t, wo man nur hinschaut, lügen und verleumden, das kann der Bürgermeis­ter.“Reichs immer wiederkehr­ender Vorwurf: Zwei Millionen Euro habe die Gemeinde wegen der juristisch­en Streitigke­iten für Rechtsanwä­lte bezahlt – „jetzt fehlt das Geld“. Der Bürgermeis­ter widerspric­ht: „Es sind etwas mehr als eine Million Euro.“

Was passiert da in Mittenwald? Will ein maßloser Investor mit maßlosem Ego demonstrie­ren, dass er alles durchsetze­n, dass er eine Gemeinde und damit eine Gemeinscha­ft ausschließ­lich nach seinem Willen dominieren kann? Oder hat er viele gute Ansätze, die aber allesamt sabotiert werden? „Der Bürgermeis­ter und der Gemeindera­t haben nicht mehr das Sagen, und das verkraften sie nicht“, meint Reich.

„Hauptsache, die Bahn fährt“, meint die Hotel-Frau Gudrun Rademacher. Geschäftli­ch komme sie gut mit dem Unternehme­n aus und habe „nicht die geringsten Schwierigk­eiten“. Sie sagt aber auch über die Brauerei und die Brennerei: „Man kann nicht einfach schwarz bauen.“

Wolfgang Wilhelm Reichs Beschreibu­ng lautet: „Wir ärgern uns, das beruht auf Gegenseiti­gkeit.“Findet Bürgermeis­ter Enrico Corongiu das nicht alles ziemlich irre? „Ja, das zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Lustig ist es nicht.“

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FOTOS: IMAGO IMAGES/KARWENDELB­AHN AG/MARKTGEMEI­NDE MITTENWALD Die Karwendelb­ahn (großes Bild) ist seit 2012 mehrheitli­ch im Besitz des Heidenheim­er Unternehme­rs Wolfgang Reich (links). Mit Mittenwald­s Bürgermeis­ter Enrico Corongiu (rechts) liegt er im Dauerclinc­h.
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