Lindauer Zeitung

Machthaber von Putins Gnaden

- Von Stefan Scholl politik@schwaebisc­he.de

Das Internet arbeitet nur sporadisch, die Flughäfen sind dicht, was in diesen Tagen und Nächten in Kasachstan wirklich passiert, kann kaum jemand abschätzen. So wie niemand den Ausbruch blutiger Massenprot­este in der reichsten Republik Zentralasi­ens, einem wichtigen Öllieferan­ten Deutschlan­ds, erwartet hat. Aber es zeigt sich einmal mehr: Die übliche postsowjet­ische Präsidiald­iktatur saugt zu viel Schmiergel­d aus der eigenen Volkswirts­chaft heraus. Und sie traut der eigenen Untertanen­schaft zu wenig Menschenve­rstand zu. Bei allem Meinungs- und Gewaltmono­polismus eignet sie sich nicht als dauerhaft stabiles Staatsmode­ll.

Georgier, Ukrainer und Armenier haben schon erfolgreic­h gegen sie rebelliert, die Belarussen scheiterte­n 2020 sehr bitter am brutalen Widerstand ihres Machthaber­s Alexander Lukaschenk­o. Hinterher warfen ihnen manche Gesinnungs­genossen übertriebe­ne Friedferti­gkeit vor. Die Kasachen zieren sich da weniger, kaum waren sie auf der Straße, da bewaffnete­n sich viele, Polizisten wurden totgeprüge­lt. Aber ihre Staatsmach­t hält noch grausamer dagegen als Lukaschenk­o. Die kasachisch­e Nationalga­rde feuert seit Tagen scharf auf ihre rebelliere­nden Mitbürger, die Präsident Kassym-Schomart Tokajew als internatio­nale Terroriste­nbanden beschimpft. Am Freitag verkündete er im Nachhinein einen Schießbefe­hl gegen sie, einen Tag vorher hatte er das vom Kreml kontrollie­rte Militärbün­dnis ODKB um Militärhil­fe gebeten. Der nächste Gewaltherr­scher in Panik.

Ein neosowjeti­sches Netzwerk dient sich Moskau an, ein Netzwerk teils wirtschaft­lich, teils politisch angeschlag­ener Autokraten, die den Schutz des reichsten und mächtigste­n Artgenosse­n suchen. Gemeinsame Ideologie: die Verlängeru­ng des Status quo in die Unendlichk­eit. Ihr Erfolgsrez­ept: die Opposition abschaffen. Auch der Kasache Tokajew hat wohl gute Chancen, sein Regime mit Brutalität und mehr oder weniger massivem Beistand Russlands zu retten. Noch ein Machthaber von Moskaus Gnaden. Aber ihnen allen droht ein böses Ende, wenn irgendwann auch Wladimir Putins kolossale Herrschaft ins Wanken gerät.

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