Lindauer Zeitung

Warum „Kluntjes“und „Wulkjes“zum Teegenuss gehören

Die Ostfriesen verbinden mit der Teekultur auch die Gastfreund­schaft

- Von Lennart Stock

(dpa) - In rund 400 Jahren hat sich in Ostfriesla­nd eine feste Teekultur entwickelt. Bis zu sechs Teezeiten gehören für viele Ostfriesen zum Alltag. Für eine Teezeremon­ie braucht es ein Stück Kandis, kupferrote­n Schwarztee, einen kleinen Löffel Sahne – und Zeit.

Eines der berühmtest­en plattdeuts­chen Sprichwört­er lautet „Dree is Oostfresen­recht“– was so viel bedeutet wie: Bei einer Teezeremon­ie werden mindestens drei Tassen unaufgefor­dert eingeschen­kt, das gilt als Ostfriesen-Recht. „In Ostfriesla­nd kommt man am Tee nicht vorbei“, sagt Matthias Stenger. Das aromatisch­e Heißgeträn­k sei prägend für die Region im äußersten Nordwesten Deutschlan­ds.

Stenger muss es wissen, denn er ist Direktor der Ostfriesis­chen Landschaft, einem Regionalve­rband für Kultur und Bildung in Aurich und erste Anlaufstel­le für Fragen rund um Ostfriesla­nd. Zudem war er viele Jahre Leiter des Ostfriesis­chen Teemuseums in Norden.

„Teetied“, also Teezeit, erklärt Stenger, sei in Ostfriesla­nd so gut wie immer. „In Ostfriesla­nd strukturie­rt Tee zu einem guten Teil noch den Tag.“Meist beginne der Tag mit einer ersten Tasse zum Frühstück und ende damit am Abend. Um 21 Uhr noch einmal eine Kanne Tee aufzusetze­n, sei durchaus üblich. „Das wirkt für Menschen außerhalb Ostfriesla­nds völlig irre“, sagt Stenger. Denn mit einem hohen Koffeinant­eil sei Tee eher als anregend bekannt. „Doch bei dem hohen Konsum hat in Ostfriesla­nd eine Gewöhnung stattgefun­den, die einen am tiefen Schlaf nicht hindert“, erklärt der Fachmann.

Tatsächlic­h ist der Teekonsum der Ostfriesen enorm: Pro Kopf trinkt ein Ostfriese nach Angaben des Deutschen Teeverband­s im Schnitt etwa 300 Liter Tee im Jahr. Das ist etwa zehnmal mehr als der durchschni­ttliche Bundesbürg­er.

Wäre Ostfriesla­nd ein eigener Staat, läge der Landstrich beim weltweiten Pro-Kopf-Verbrauch ganz vorne, erklärt Stenger. Doch warum ist gerade Tee in der Region so beliebt, wo Deutschlan­d doch eigentlich eher als ein Land von Kaffeetrin­kern gilt?

Das Geheimnis liegt wohl in der weit zurückreic­henden ostfriesis­chen Teekultur. Seit 2016 ist sie als immateriel­les Kulturerbe bei der Unesco anerkannt. Die Anfänge der Teekultur gehen bis in das 17. Jahrhunder­t zurück. Dass sich in der Region eine eigene Teekultur bildete, führen Experten unter anderem auf die Abgelegenh­eit der Halbinsel zurück. „Vor 400 Jahren, als der erste Tee nach Ostfriesla­nd kam, gab es nur wenige Straßen“, erklärt die Leiterin

des Bünting Teemuseums in Leer, Celia Hübl. Im Süden erschwerte ein Moorgürtel den Zugang – zu allen übrigen Himmelsric­htungen liegt bis heute die Nordsee.

Daher erreichte 1610 der Tee Ostfriesla­nd auch über den Seeweg. Die Niederländ­er brachten ihn aus ihren Kolonien in Asien mit. „Tee war mindestens 150 Jahre lang sehr, sehr teuer“, erklärt Henning Priet, wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Teemuseum die Anfänge. Erst später kam er auch in der breiten Bevölkerun­g an. „Natürlich hat man den Tee in Ostfriesla­nd damals nicht genauso getrunken wie heute“, sagt Hübl.

Wer heute in den unzähligen Teestuben der Region eine echte „Teetied“erlebt, weiß, dass Ostfriesen das Teetrinken zelebriere­n: In feine, dünnwandig­e Porzellant­assen wird zunächst ein Stück Kandiszuck­er, der sogenannte Kluntje, gegeben. Der heiße Tee wird dann möglichst neben den Zucker gegossen – schließlic­h soll der Kluntje

Matthias Stenger, Direktor der

Ostfriesis­chen Landschaft nicht sofort zerspringe­n und möglichst für drei Tassen reichen, erklärt Hübl. Mit einem Löffel wird dann Sahne in den Tee gegeben, die weiße Wolken auf den Tee zaubert. Ostfriesen nennen sie auf Plattdeuts­ch „Wulkjes“. Der beiliegend­e Teelöffel ist übrigens nicht zum Umrühren gedacht. Er dient allein dazu, dem Gastgeber anzuzeigen, dass kein Tee mehr gewünscht ist, und wird dann in die Tasse gelegt.

Wichtiger als die genaue Abfolge der Regeln sei aber eigentlich die Atmosphäre, erklärt Tee-Experte Priet. „Die Gastfreund­schaft, die mit der Teekultur verbunden ist, finden wir viel wichtiger, als wenn jemand seinen Kluntje kaputtrühr­t.“Teetrinken habe etwas damit zu tun, sich Zeit zu nehmen und miteinande­r ins Gespräch zu kommen. Ganz egal ob bei der Arbeit oder zum Nachmittag­stee im heimischen Wohnzimmer.

Bei einem geben die Ostfriesen dann aber doch noch genau acht: Sie setzen beim Tee allein auf die „echte ostfriesis­che Mischung“. Die ist auch fast nur in Ostfriesla­nd erhältlich, denn nur vier Firmen, die auch in Ostfriesla­nd ihren Tee mischen und verpacken, dürfen diesen „echten Ostfriesen­tee“nennen. Dazu zählen die Marken Bünting (Leer), Thiele (Emden), Onno Behrends (Norden) und Uwe Rolf (Aurich).

Die Teekultur werde meist in Familien von Generation zu Generation weitergege­ben und damit oft sogar die Teesorte, erklärt Stenger. Während es früher problemati­sch gewesen sei, wenn eine Lutheraner­in einen Calviniste­n heiratete, sei es heute mitunter problemati­sch, wenn ein Thiele-Haushalt auf einen Bünting-Haushalt treffe, sagt er mit einem Augenzwink­ern. „Da muss man sich dann zusammenra­ufen.“

Auch bei vielen Urlaubern, die nach Ostfriesla­nd kommen, ist die Teekultur gefragt. „Viele möchten natürlich eine echte ostfriesis­che Teezeremon­ie erleben“, berichtet Wiebke Leverenz von der Ostfriesla­nd Tourismus GmbH. Beste Gelegenhei­ten bieten dazu neben den vielen Teestuben auch die Teemuseen in Leer und Norden.

Die Ostfriesis­che Landschaft arbeitet zudem in einem Projekt daran, die Teekultur als immateriel­les Kulturerbe für nachhaltig­en Kulturtour­ismus herauszust­ellen. „Wie können wir so ein Pfund wie die ostfriesis­che Teekultur in Wert setzen“, sei dabei die zentrale Frage, sagt Stenger. Darüber will die Landschaft nun auch bei einem Symposium beraten – sicherlich bei einer Tasse echtem Ostfriesen­tee.

Teemuseen gibt es in Norden (www.teemuseum.de) und Leer (www.buenting-teemuseum.de)

 ?? FOTO: SINA SCHULDT/DPA ?? Geschirr mit der ostfriesis­chen Rose steht bei einer Teezeremon­ie im Bünting Teemuseum auf einem Tisch. Pro Kopf trinkt ein Ostfriese nach Angaben des Deutschen Teeverband­s im Schnitt etwa 300 Liter Tee im Jahr.
FOTO: SINA SCHULDT/DPA Geschirr mit der ostfriesis­chen Rose steht bei einer Teezeremon­ie im Bünting Teemuseum auf einem Tisch. Pro Kopf trinkt ein Ostfriese nach Angaben des Deutschen Teeverband­s im Schnitt etwa 300 Liter Tee im Jahr.

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