Die heimliche Macht der Sekte OCG
Kaum jemand kennt Ivo Sasek und seine Anhänger, doch die OCG verbirgt sich hinter alternativen Medien wie kla.tv. Aussteiger berichten von Repressionen, Misshandlung und Antisemitismus.
- „Blutige Striemen schützen vor der Hölle“. Dieser Satz stammt nicht etwa aus einer mittelalterlichen Anleitung für Selbstkasteiung – nein, er ist von Ivo
Sasek und beschreibt die Erziehung, die der Schweizer Laienprediger und Sektenanführer empfiehlt. Mit seiner Sekte „Organische ChristusGeneration“(OCG) nimmt er nicht nur Einfluss auf Leben und Erziehung von Anhängern in Deutschland, der Schweiz und Österreich, sondern über alternative Medienkanäle auf Hunderttausende Zuschauer, die kaum wissen können, wer dahinter steckt. Aussteigerinnen und Aussteiger warnen: Die Sekte wolle die Demokratie zerstören.
Ivo Sasek residiert im schweizerischen Walzenhausen, einem 2000Seelen-Dorf im Kanton Appenzell Ausserrhoden, nur wenige Kilometer von Sankt Margrethen und der deutschen Grenze entfernt, in einem eindrucksvollen Landhaus. Über der Pforte prangt ein Plakat mit der Aufschrift „Medienmüde? kla.tv“. Am Balkongeländer hängt ein weiteres Plakat mit der Aufschrift „Stopp 5G“. Der 65-Jährige gelernte Automechaniker behauptet von sich, 1977 durch eine Vision zum christlichen Glauben gefunden zu haben. Nach verschiedenen Stationen, unter anderem in der freikirchlichen Newlife-Bewegung, rief er 1999 die OCG ins Leben. Wer Teil der Gruppierung werden will, muss sich dem sogenannten „Bemessungsdienst“unterziehen lassen, einem Befragungsritual, mit dem Sasek angeblich den geistlichen Zustand eines Menschen prüfen möchte, das Aussteiger aber als Demütigung beschreiben.
Zum Leitbild der OCG gehört offenkundig eine autoritäre Erziehung voller Gewalt. Dokumentiert wird das durch ein Buch, das drei der elf Kinder Saseks nach seinen Angaben im minderjährigen Alter selbst verfasst haben sollen. Darin beschreiben sie körperliche Züchtigungen durch ihre Eltern als notwendig. Der Titel: „Mama, bitte züchtige mich.“Darin fällt auch der Satz mit den blutigen Striemen, die vor der Hölle schützen sollen. Herausgeber ist Ivo Sasek. Einer der Autoren, dessen ältester Sohn Simon, ist mittlerweile ausgestiegen. In einer Dokumentation des NDRMagazins „Panorama“schildert er Misshandlungen, zwei Ermittlungsverfahren gegen seinen Vater wurden allerdings eingestellt. Simon Sasek berichtet auch, wie der Kontakt zur Familie abgebrochen ist, dass er heute als Feind gesehen wird.
Dieses Gefühl kennt Claudia Müller. Sie war von 2002 bis 2015 in der OCG aktiv. „Anfangs hatte ich Angst, dass sie mir etwas antun, weil ich nicht ,kapituliert’ hatte und ihnen die Herrschaft über mein Leben entzogen hatte“, sagt sie über die Zeit nach ihrem Ausstieg. Mittlerweile gehe sie offen mit ihrer Geschichte um, auch um Menschen vor Sasek zu warnen: „Ich halte die OCG für hoch gefährlich!“Der Sektenführer, so sagt sie, denke tatsächlich, er müsse Gericht halten über Politiker, Ärztinnen und Medienschaffende, die seine Ideologie nicht teilen.
Dass er dabei selbst Gewalt anwenden würde, glaubt sie nicht. Seine Rolle sei vor allem die des Aufhetzers. „Er glaubt, dass diese Menschen vom Bösen gesteuert werden – und dass er sie beseitigen muss.“Dabei schrecke er auch nicht vor radikalen Gedanken zurück. „Er denkt etwa wirklich, Adolf Hitler sei im Rang wenig unter Christus.“Jahrelang habe sie selbst mitgeholfen, Strukturen aufzubauen, sei in den internen Hierarchien aufgestiegen. „Ich bin über eine freikirchliche Gemeinde da hineingeraten. Zu der Zeit war ich sehr spirituell unterwegs. Die Vereinnahmung passierte dann schleichend durch immer neue Aufgaben und immer mehr Verantwortung“, sagt sie.
Zu ihrer Arbeit habe etwa gehört, „massenweise Leserbriefe an Zeitungen zu verfassen“. In denen habe sie darlegen sollen, wie „böse und kaputt“die Gesellschaft sei.
Das Ziel: Gedankengut der OCG zu transportieren. Doch Sasek beließ es nicht dabei, Meinungen in etablierten Medien zu verbreiten. Seit 2012 betreibt er neben anderen Medienangeboten das Verschwörungsportal klagemauer.tv (kla.tv). Beim Aufbau hat Claudia Müller entscheidend mitgeholfen, erzählt sie. Auf Youtube wurden die Videos des privaten Senders zeitweise gesperrt, auf der eigenen Plattform sind sie noch zu sehen. Die Aufrufzahlen, die allerdings nicht verifiziert werden können, gehen in die Hunderttausende.
In Clips präsentiert sich Sasek als honoriger Medienmacher, der eine Alternative zum „Mainstream“anbieten will. In einem Video singen Frauen und Männer der OCG einen Song in Musical-Manier über Banken, Pharmaindustrie, „Kriegstreiber“und Massenmedien. „Schalt doch endlich den Fernseher aus. Schalt dich ein bei Klagemauer.tv“, trällert der Chor. Der Clip wirkt unfreiwillig komisch, der Comedian Oliver Kalkofe machte sich in einer Videomontage darüber lustig.
Andere, neuere Videos – besonders zur Corona-Pandemie – sind teils professionell aufgemacht, häufig im Stil angloamerikanischer Nachrichtenmagazine. „Man hat sich da Dinge von echten Profis abgeschaut und gegenseitig in Workshops beigebracht“, erzählt Claudia Müller. „Doch was oft aussieht, wie im Studio gedreht, ist in Wirklichkeit bei Mitgliedern zuhause entstanden. Die arbeiten für Sasek – und zwar wie ich damals auch – ohne jegliche Bezahlung.“Laut Eigendarstellung betreibt die Sekte 165 Studios mit 220 Moderatorinnen und Moderatoren.
Zweifel habe sie bekommen, als ihr der Antisemitismus Saseks klar geworden sei, sagt Claudia Müller. „Ich habe selbst vor meiner Zeit bei der OCG in Israel in einer Einrichtung gearbeitet, in der ich Holocaustüberlebende betreut habe. Ich wusste also ganz genau: Das, was Sasek erzählte, waren Lügen.“Angefangen habe es mit scheinbar harmlosen Aussprüchen, wie etwa dass die „Sieger die Geschichte schreiben“würden. Er habe von „Schuldkult“gesprochen oder von den armen Deutschen, die durch Eliten unterdrückt würden. Später habe er den Holocaust in Zweifel gezogen und die „Protokolle der Weisen Zions“gelobt. Dabei handelt es sich um eine antisemitische Falscherzählung vom Anfang des 20. Jahrhunderts, in der angeblich das Streben nach der Weltherrschaft durch das Judentum dokumentiert wird. Der „Schwäbischen Zeitung“liegen Audio-Aufnahmen Saseks vor, in denen er vor Anhängern darüber spricht. „Wir müssen uns nicht darüber streiten, haben es die Juden geschrieben oder setzen es die
Juden um? Wir müssen feststellen: Es wurde geschrieben und es wird umgesetzt“, sagt er. Später fordert er die Zuhörer auf, zu überprüfen, welche Abstammung die Familien Rothschild und Rockefeller (beide jüdisch, Anm. d. R.) hätten – und welche „ideologischen und religiösen“Hintergründe Chefredakteure der „Mainstream“-Medien hätten. „Und da meine ich jetzt mal richtig, buchstäblich: Ist der wirklich nur Schweizer oder Deutscher oder hat der noch eine andere Bezeichnung?“
2012 lud Sasek Sylvia Stolz zu einer Konferenz ein. In ihrer Rede sagte sie über die Shoah: „Es fehlen die Feststellungen über Tatorte, Tötungsmethoden, Anzahl der Toten, Tatzeiträume, Täter, Leichen oder Spuren.“Scholz wurde später wegen Holocaustleugnung zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt. Sasek selbst wurde in der Schweiz einem Verfahren wegen Rassendiskriminierung in zweiter Instanz freigesprochen. „Für mich war das ein klarer Stopp. Dass der Holocaust stattfand, stand und steht außer Frage, mich konnte er nicht umdrehen“, sagt Müller.
Als die Zweifel erst einmal gefestigt waren, sei ihr immer klarer geworden, wie absurd die Behauptungen und Thesen der OCG, wie gefährlich ihre Kontakte sind. „Ich hatte Reichsbürger in meinem Wohnzimmer und einen Mann, der glaubte, dass wir von Reptiloiden, also Echsenwesen, regiert werden. Der lungerte nach meinem Ausstieg vor meiner Tür herum“, erzählt sie.
Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter des Landes BadenWürttemberg,
kennt die Thesen Saseks: „Schon im Januar 2020 erreichten uns die ersten antisemitischen Verschwörungsmythen zum Covid-19-Virus aus dem Umfeld der OCG von Ivo Sasek“, sagt er der „Schwäbischen Zeitung“. Er halte die Sekte für „eine der derzeit gefährlichsten Bewegungen des Antisemitismus im Alpenraum“. Saseks Hassbotschaften, so Blume, wendeten sich gegen Juden, gegen demokratische Staaten, gegen die Wissenschaften und „richten gerade auch in Zeiten der Pandemie großen Schaden an“.
Vom baden-württembergischen Verfassungsschutz wird die OCG derzeit nicht beobachtet, doch das für Sekten zuständige Kultusministerium hat Saseks Jünger im Blick. „Die OCG weist sektenähnliche Strukturen und eine hohe Konfliktträchtigkeit auf. Vor allem in der Pandemie weist die Berichterstattung zunehmend kritische, antidemokratische sowie verschwörungstheoretische Inhalte auf. Eine Nähe zur Querdenkerbewegung ist bekannt“, schreibt ein Sprecher des Kultusministeriums auf Anfrage.
Tatsächlich finden sich bei kla.tv Interviews mit „Querdenken“Gründer Michael Ballweg oder Sendungen mit den Ärzten Wolfgang Wodarg und Sucharit Bhakdi, die das Coronavirus immer wieder verharmlost hatten. Auch Matthäus Westfal alias „Aktivist Mann“taucht in vielen OCG-Videos auf. Er war am „Sturm auf den Reichstag beteiligt“, marschierte auf einer Solidaritätskundgebung für die verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck und ist regelmäßig bei „Querdenker“-Veranstaltungen anwesend. Die kla.tv-Webseite enthält zahlreiche kritische Beiträge über Impfungen und Corona-Maßnahmen. Die Sprache darin ist drastisch, die Schweizer Impfallianz Gavi wird etwa als „ImpfMonster“bezeichnet, die Impfung selbst in einem verbreiteten Zitat als „Pforte der Hölle“.
In Faktenchecks von Portalen wie Correctiv, dem österreichischen Mimikama oder dem „Faktenfuchs“des Bayerischen Rundfunks werden Behauptungen, die auf kla.tv kolportiert werden, immer wieder widerlegt. Der Vorwurf: kla.tv lasse regelmäßig wichtigen Kontext aus, verzerre Informationen oder verbreite schlicht Falschdarstellungen.
Eine genau Zahl von OCG-Anhängern für Baden-Württemberg kann das Kultusministerium nicht nennen, da die Gruppe keine offiziellen Niederlassungen betreibe.
Claudia Müller schätzt, dass zu ihren aktiven Zeiten in Baden-Württemberg etwa 150 bis 200 Mitglieder aktiv gewesen seien, in Bayern rund 150. „Ich denke die Zahl ist annähernd konstant geblieben“, sagt sie. Oft agierten die Mitglieder allerdings nicht offen als Sasek-Jünger, gerade am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. Vielmehr würden sie das Gedankengut verbreiten und Netzwerke etablieren, ohne dass ihr Hintergrund klar erkennbar sei.
Dass sie damit durchaus Erfolg haben, kann Fabian Mehring bestätigen. Der bayerische Landtagsabgeordnete (Freie Wähler) bekommt nach eigenen Angaben immer wieder Nachrichten und Anfragen zugeschickt, in denen auf kla.tv-Videos verwiesen wird. „Ich werde dann gebeten, mich zu Dingen zu äußern, die dort verbreitet werden. Man habe davon ja schließlich ,in den Nachrichten’ gehört.“Die zumindest semiprofessionelle Aufmachung täusche Menschen, sagt Mehring – und darin liege auch eine gesamtgesellschaftliche Gefahr durch die Verbreitung von Falschnachrichten. „Besonders im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist das gefährlich“.
Er selbst kam mit der OCG in Berührung, als er auf einer Namensliste der Gruppierung landete, auf der er neben zahlreichen anderen Politikern mit persönlichen Daten und Telefonnummer aufgeführt war. Mehring setzte sich daraufhin im Innenausschuss des Landtags für eine Beobachtung der OCG ein. „Ich bin froh, dass die zuständigen Behörden jetzt ein Auge auf die Gruppe haben“, sagt er. Ein Ermittlungsverfahren zu der Liste stellte die Generalstaatsanwaltschaft München ein.
Und was sagt Ivo Sasek selbst zu den Vorwürfen von Aussteigern, Behörden und Experten? Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“schickt er zehn Seiten mit Antworten. Anderen Medien wie dem NDR stand der OCG-Übervater nicht Rede und Antwort. In seinen Antworten an die „Schwäbische Zeitung“verwahrt Sasek sich dagegen, Antisemit zu sein. „Ich liebe die Juden“, schreibt er unter anderem. So wie man ja ohnehin alle Menschen liebe.
Bezüglich der Aussteiger versichert er, interne Kritik zuzulassen. Für seinen Sohn gelte „Leben und leben lassen“. In einem Brief an die Anhänger, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, legte Sasek 2019 dar, dass es sich bei Aussteigern, die sich kritisch über die OCG äußerten, um „boshaften Aussatz“handele.
Die OCG basiere auf dem Verständnis, dass „die gesamte Menschheit zusammen einen unteilbaren Organismus bildet“, schreibt Sasek in seiner Antwort weiter. Hinsichtlich der Demokratie bemühe man sich „um mehr Einheit“. „Wir versuchen, jede Form der Spaltung zwischen den Menschen zu heilen“, schreibt er weiter. Man bemühe sich um eine Stabilisierung jeder freiheitlichdemokratischen Grundordnung.
Interne OCGSchulungsvideos, die das Hacker-Kollektiv Anonymous verbreitete, zeigen Sasek und die OCG in einem anderen Licht. Dort ist der Laienprediger zu hören, wie er Mitglieder für die Propaganda im Sinne der Gruppe einpeitscht. „Was es da draußen einzig braucht, sind Kampftiere, Menschen, die du zu Löwennaturen machst. Krieger braucht es da draußen, weil ein Kampf tobt“, ruft er ins Publikum, und: „Es wird die Hölle los sein, wie nie zuvor.“Aussteigerin Claudia Müller glaubt den Beteuerungen Saseks nicht. Sie sagt, sie habe jahrelang erlebt, was Sasek intern von sich gebe und kommt zu dem Schluss: „Die wollen den Staat niederreißen.“