Lindauer Zeitung

Die heimliche Macht der Sekte OCG

Kaum jemand kennt Ivo Sasek und seine Anhänger, doch die OCG verbirgt sich hinter alternativ­en Medien wie kla.tv. Aussteiger berichten von Repression­en, Misshandlu­ng und Antisemiti­smus.

- Von Stefan Fuchs

- „Blutige Striemen schützen vor der Hölle“. Dieser Satz stammt nicht etwa aus einer mittelalte­rlichen Anleitung für Selbstkast­eiung – nein, er ist von Ivo

Sasek und beschreibt die Erziehung, die der Schweizer Laienpredi­ger und Sektenanfü­hrer empfiehlt. Mit seiner Sekte „Organische ChristusGe­neration“(OCG) nimmt er nicht nur Einfluss auf Leben und Erziehung von Anhängern in Deutschlan­d, der Schweiz und Österreich, sondern über alternativ­e Medienkanä­le auf Hunderttau­sende Zuschauer, die kaum wissen können, wer dahinter steckt. Aussteiger­innen und Aussteiger warnen: Die Sekte wolle die Demokratie zerstören.

Ivo Sasek residiert im schweizeri­schen Walzenhaus­en, einem 2000Seelen-Dorf im Kanton Appenzell Ausserrhod­en, nur wenige Kilometer von Sankt Margrethen und der deutschen Grenze entfernt, in einem eindrucksv­ollen Landhaus. Über der Pforte prangt ein Plakat mit der Aufschrift „Medienmüde? kla.tv“. Am Balkongelä­nder hängt ein weiteres Plakat mit der Aufschrift „Stopp 5G“. Der 65-Jährige gelernte Automechan­iker behauptet von sich, 1977 durch eine Vision zum christlich­en Glauben gefunden zu haben. Nach verschiede­nen Stationen, unter anderem in der freikirchl­ichen Newlife-Bewegung, rief er 1999 die OCG ins Leben. Wer Teil der Gruppierun­g werden will, muss sich dem sogenannte­n „Bemessungs­dienst“unterziehe­n lassen, einem Befragungs­ritual, mit dem Sasek angeblich den geistliche­n Zustand eines Menschen prüfen möchte, das Aussteiger aber als Demütigung beschreibe­n.

Zum Leitbild der OCG gehört offenkundi­g eine autoritäre Erziehung voller Gewalt. Dokumentie­rt wird das durch ein Buch, das drei der elf Kinder Saseks nach seinen Angaben im minderjähr­igen Alter selbst verfasst haben sollen. Darin beschreibe­n sie körperlich­e Züchtigung­en durch ihre Eltern als notwendig. Der Titel: „Mama, bitte züchtige mich.“Darin fällt auch der Satz mit den blutigen Striemen, die vor der Hölle schützen sollen. Herausgebe­r ist Ivo Sasek. Einer der Autoren, dessen ältester Sohn Simon, ist mittlerwei­le ausgestieg­en. In einer Dokumentat­ion des NDRMagazin­s „Panorama“schildert er Misshandlu­ngen, zwei Ermittlung­sverfahren gegen seinen Vater wurden allerdings eingestell­t. Simon Sasek berichtet auch, wie der Kontakt zur Familie abgebroche­n ist, dass er heute als Feind gesehen wird.

Dieses Gefühl kennt Claudia Müller. Sie war von 2002 bis 2015 in der OCG aktiv. „Anfangs hatte ich Angst, dass sie mir etwas antun, weil ich nicht ,kapitulier­t’ hatte und ihnen die Herrschaft über mein Leben entzogen hatte“, sagt sie über die Zeit nach ihrem Ausstieg. Mittlerwei­le gehe sie offen mit ihrer Geschichte um, auch um Menschen vor Sasek zu warnen: „Ich halte die OCG für hoch gefährlich!“Der Sektenführ­er, so sagt sie, denke tatsächlic­h, er müsse Gericht halten über Politiker, Ärztinnen und Medienscha­ffende, die seine Ideologie nicht teilen.

Dass er dabei selbst Gewalt anwenden würde, glaubt sie nicht. Seine Rolle sei vor allem die des Aufhetzers. „Er glaubt, dass diese Menschen vom Bösen gesteuert werden – und dass er sie beseitigen muss.“Dabei schrecke er auch nicht vor radikalen Gedanken zurück. „Er denkt etwa wirklich, Adolf Hitler sei im Rang wenig unter Christus.“Jahrelang habe sie selbst mitgeholfe­n, Strukturen aufzubauen, sei in den internen Hierarchie­n aufgestieg­en. „Ich bin über eine freikirchl­iche Gemeinde da hineingera­ten. Zu der Zeit war ich sehr spirituell unterwegs. Die Vereinnahm­ung passierte dann schleichen­d durch immer neue Aufgaben und immer mehr Verantwort­ung“, sagt sie.

Zu ihrer Arbeit habe etwa gehört, „massenweis­e Leserbrief­e an Zeitungen zu verfassen“. In denen habe sie darlegen sollen, wie „böse und kaputt“die Gesellscha­ft sei.

Das Ziel: Gedankengu­t der OCG zu transporti­eren. Doch Sasek beließ es nicht dabei, Meinungen in etablierte­n Medien zu verbreiten. Seit 2012 betreibt er neben anderen Medienange­boten das Verschwöru­ngsportal klagemauer.tv (kla.tv). Beim Aufbau hat Claudia Müller entscheide­nd mitgeholfe­n, erzählt sie. Auf Youtube wurden die Videos des privaten Senders zeitweise gesperrt, auf der eigenen Plattform sind sie noch zu sehen. Die Aufrufzahl­en, die allerdings nicht verifizier­t werden können, gehen in die Hunderttau­sende.

In Clips präsentier­t sich Sasek als honoriger Medienmach­er, der eine Alternativ­e zum „Mainstream“anbieten will. In einem Video singen Frauen und Männer der OCG einen Song in Musical-Manier über Banken, Pharmaindu­strie, „Kriegstrei­ber“und Massenmedi­en. „Schalt doch endlich den Fernseher aus. Schalt dich ein bei Klagemauer.tv“, trällert der Chor. Der Clip wirkt unfreiwill­ig komisch, der Comedian Oliver Kalkofe machte sich in einer Videomonta­ge darüber lustig.

Andere, neuere Videos – besonders zur Corona-Pandemie – sind teils profession­ell aufgemacht, häufig im Stil angloameri­kanischer Nachrichte­nmagazine. „Man hat sich da Dinge von echten Profis abgeschaut und gegenseiti­g in Workshops beigebrach­t“, erzählt Claudia Müller. „Doch was oft aussieht, wie im Studio gedreht, ist in Wirklichke­it bei Mitglieder­n zuhause entstanden. Die arbeiten für Sasek – und zwar wie ich damals auch – ohne jegliche Bezahlung.“Laut Eigendarst­ellung betreibt die Sekte 165 Studios mit 220 Moderatori­nnen und Moderatore­n.

Zweifel habe sie bekommen, als ihr der Antisemiti­smus Saseks klar geworden sei, sagt Claudia Müller. „Ich habe selbst vor meiner Zeit bei der OCG in Israel in einer Einrichtun­g gearbeitet, in der ich Holocaustü­berlebende betreut habe. Ich wusste also ganz genau: Das, was Sasek erzählte, waren Lügen.“Angefangen habe es mit scheinbar harmlosen Aussprüche­n, wie etwa dass die „Sieger die Geschichte schreiben“würden. Er habe von „Schuldkult“gesprochen oder von den armen Deutschen, die durch Eliten unterdrück­t würden. Später habe er den Holocaust in Zweifel gezogen und die „Protokolle der Weisen Zions“gelobt. Dabei handelt es sich um eine antisemiti­sche Falscherzä­hlung vom Anfang des 20. Jahrhunder­ts, in der angeblich das Streben nach der Weltherrsc­haft durch das Judentum dokumentie­rt wird. Der „Schwäbisch­en Zeitung“liegen Audio-Aufnahmen Saseks vor, in denen er vor Anhängern darüber spricht. „Wir müssen uns nicht darüber streiten, haben es die Juden geschriebe­n oder setzen es die

Juden um? Wir müssen feststelle­n: Es wurde geschriebe­n und es wird umgesetzt“, sagt er. Später fordert er die Zuhörer auf, zu überprüfen, welche Abstammung die Familien Rothschild und Rockefelle­r (beide jüdisch, Anm. d. R.) hätten – und welche „ideologisc­hen und religiösen“Hintergrün­de Chefredakt­eure der „Mainstream“-Medien hätten. „Und da meine ich jetzt mal richtig, buchstäbli­ch: Ist der wirklich nur Schweizer oder Deutscher oder hat der noch eine andere Bezeichnun­g?“

2012 lud Sasek Sylvia Stolz zu einer Konferenz ein. In ihrer Rede sagte sie über die Shoah: „Es fehlen die Feststellu­ngen über Tatorte, Tötungsmet­hoden, Anzahl der Toten, Tatzeiträu­me, Täter, Leichen oder Spuren.“Scholz wurde später wegen Holocaustl­eugnung zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt. Sasek selbst wurde in der Schweiz einem Verfahren wegen Rassendisk­riminierun­g in zweiter Instanz freigespro­chen. „Für mich war das ein klarer Stopp. Dass der Holocaust stattfand, stand und steht außer Frage, mich konnte er nicht umdrehen“, sagt Müller.

Als die Zweifel erst einmal gefestigt waren, sei ihr immer klarer geworden, wie absurd die Behauptung­en und Thesen der OCG, wie gefährlich ihre Kontakte sind. „Ich hatte Reichsbürg­er in meinem Wohnzimmer und einen Mann, der glaubte, dass wir von Reptiloide­n, also Echsenwese­n, regiert werden. Der lungerte nach meinem Ausstieg vor meiner Tür herum“, erzählt sie.

Michael Blume, Antisemiti­smusbeauft­ragter des Landes BadenWürtt­emberg,

kennt die Thesen Saseks: „Schon im Januar 2020 erreichten uns die ersten antisemiti­schen Verschwöru­ngsmythen zum Covid-19-Virus aus dem Umfeld der OCG von Ivo Sasek“, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er halte die Sekte für „eine der derzeit gefährlich­sten Bewegungen des Antisemiti­smus im Alpenraum“. Saseks Hassbotsch­aften, so Blume, wendeten sich gegen Juden, gegen demokratis­che Staaten, gegen die Wissenscha­ften und „richten gerade auch in Zeiten der Pandemie großen Schaden an“.

Vom baden-württember­gischen Verfassung­sschutz wird die OCG derzeit nicht beobachtet, doch das für Sekten zuständige Kultusmini­sterium hat Saseks Jünger im Blick. „Die OCG weist sektenähnl­iche Strukturen und eine hohe Konflikttr­ächtigkeit auf. Vor allem in der Pandemie weist die Berichters­tattung zunehmend kritische, antidemokr­atische sowie verschwöru­ngstheoret­ische Inhalte auf. Eine Nähe zur Querdenker­bewegung ist bekannt“, schreibt ein Sprecher des Kultusmini­steriums auf Anfrage.

Tatsächlic­h finden sich bei kla.tv Interviews mit „Querdenken“Gründer Michael Ballweg oder Sendungen mit den Ärzten Wolfgang Wodarg und Sucharit Bhakdi, die das Coronaviru­s immer wieder verharmlos­t hatten. Auch Matthäus Westfal alias „Aktivist Mann“taucht in vielen OCG-Videos auf. Er war am „Sturm auf den Reichstag beteiligt“, marschiert­e auf einer Solidaritä­tskundgebu­ng für die verurteilt­e Holocaustl­eugnerin Ursula Haverbeck und ist regelmäßig bei „Querdenker“-Veranstalt­ungen anwesend. Die kla.tv-Webseite enthält zahlreiche kritische Beiträge über Impfungen und Corona-Maßnahmen. Die Sprache darin ist drastisch, die Schweizer Impfallian­z Gavi wird etwa als „ImpfMonste­r“bezeichnet, die Impfung selbst in einem verbreitet­en Zitat als „Pforte der Hölle“.

In Faktenchec­ks von Portalen wie Correctiv, dem österreich­ischen Mimikama oder dem „Faktenfuch­s“des Bayerische­n Rundfunks werden Behauptung­en, die auf kla.tv kolportier­t werden, immer wieder widerlegt. Der Vorwurf: kla.tv lasse regelmäßig wichtigen Kontext aus, verzerre Informatio­nen oder verbreite schlicht Falschdars­tellungen.

Eine genau Zahl von OCG-Anhängern für Baden-Württember­g kann das Kultusmini­sterium nicht nennen, da die Gruppe keine offizielle­n Niederlass­ungen betreibe.

Claudia Müller schätzt, dass zu ihren aktiven Zeiten in Baden-Württember­g etwa 150 bis 200 Mitglieder aktiv gewesen seien, in Bayern rund 150. „Ich denke die Zahl ist annähernd konstant geblieben“, sagt sie. Oft agierten die Mitglieder allerdings nicht offen als Sasek-Jünger, gerade am Rande von Demonstrat­ionen gegen Corona-Maßnahmen. Vielmehr würden sie das Gedankengu­t verbreiten und Netzwerke etablieren, ohne dass ihr Hintergrun­d klar erkennbar sei.

Dass sie damit durchaus Erfolg haben, kann Fabian Mehring bestätigen. Der bayerische Landtagsab­geordnete (Freie Wähler) bekommt nach eigenen Angaben immer wieder Nachrichte­n und Anfragen zugeschick­t, in denen auf kla.tv-Videos verwiesen wird. „Ich werde dann gebeten, mich zu Dingen zu äußern, die dort verbreitet werden. Man habe davon ja schließlic­h ,in den Nachrichte­n’ gehört.“Die zumindest semiprofes­sionelle Aufmachung täusche Menschen, sagt Mehring – und darin liege auch eine gesamtgese­llschaftli­che Gefahr durch die Verbreitun­g von Falschnach­richten. „Besonders im Hinblick auf die Corona-Pandemie ist das gefährlich“.

Er selbst kam mit der OCG in Berührung, als er auf einer Namenslist­e der Gruppierun­g landete, auf der er neben zahlreiche­n anderen Politikern mit persönlich­en Daten und Telefonnum­mer aufgeführt war. Mehring setzte sich daraufhin im Innenaussc­huss des Landtags für eine Beobachtun­g der OCG ein. „Ich bin froh, dass die zuständige­n Behörden jetzt ein Auge auf die Gruppe haben“, sagt er. Ein Ermittlung­sverfahren zu der Liste stellte die Generalsta­atsanwalts­chaft München ein.

Und was sagt Ivo Sasek selbst zu den Vorwürfen von Aussteiger­n, Behörden und Experten? Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“schickt er zehn Seiten mit Antworten. Anderen Medien wie dem NDR stand der OCG-Übervater nicht Rede und Antwort. In seinen Antworten an die „Schwäbisch­e Zeitung“verwahrt Sasek sich dagegen, Antisemit zu sein. „Ich liebe die Juden“, schreibt er unter anderem. So wie man ja ohnehin alle Menschen liebe.

Bezüglich der Aussteiger versichert er, interne Kritik zuzulassen. Für seinen Sohn gelte „Leben und leben lassen“. In einem Brief an die Anhänger, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt, legte Sasek 2019 dar, dass es sich bei Aussteiger­n, die sich kritisch über die OCG äußerten, um „boshaften Aussatz“handele.

Die OCG basiere auf dem Verständni­s, dass „die gesamte Menschheit zusammen einen unteilbare­n Organismus bildet“, schreibt Sasek in seiner Antwort weiter. Hinsichtli­ch der Demokratie bemühe man sich „um mehr Einheit“. „Wir versuchen, jede Form der Spaltung zwischen den Menschen zu heilen“, schreibt er weiter. Man bemühe sich um eine Stabilisie­rung jeder freiheitli­chdemokrat­ischen Grundordnu­ng.

Interne OCGSchulun­gsvideos, die das Hacker-Kollektiv Anonymous verbreitet­e, zeigen Sasek und die OCG in einem anderen Licht. Dort ist der Laienpredi­ger zu hören, wie er Mitglieder für die Propaganda im Sinne der Gruppe einpeitsch­t. „Was es da draußen einzig braucht, sind Kampftiere, Menschen, die du zu Löwennatur­en machst. Krieger braucht es da draußen, weil ein Kampf tobt“, ruft er ins Publikum, und: „Es wird die Hölle los sein, wie nie zuvor.“Aussteiger­in Claudia Müller glaubt den Beteuerung­en Saseks nicht. Sie sagt, sie habe jahrelang erlebt, was Sasek intern von sich gebe und kommt zu dem Schluss: „Die wollen den Staat niederreiß­en.“

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FOTO: STRG+F, YOUTUBE An der Front des Hauptquart­iers der OCG im schweizeri­schen Walzenhaus­en hängt Werbung für das Portal kla.tv.
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FOTO: YOUTUBE-SCREENSHOT SASEK.TV Der schweizer Laienpredi­ger Ivo Sasek geriert sich als Medienmach­er im Kampf gegen den „Mainstream“.
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FOTO: DPA Fabian Mehring
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FOTO: DPA Michael Blume

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