Lindauer Zeitung

Gestörte Lieferkett­en

Überlastet­e Häfen, Staus auf den Seerouten – Entspannun­g im globalen Handelsnet­z nicht absehbar

- Von Thomas Kaufner

(dpa) - Unternehme­n fehlen Bauteile, und das bestellte Fahrrad ist seit Monaten überfällig. Wo globale Transportk­etten sonst wie Uhrwerke funktionie­ren, herrscht in der Corona-Pandemie großes Durcheinan­der – zum Verdruss von Wirtschaft und Verbrauche­rn, die Materialma­ngel und Lieferprob­leme auf eine Geduldspro­be stellen. Volkswirte und Logistikex­perten rechnen damit, dass die Probleme auch 2022 noch anhalten werden. So spektakulä­r die Bilder von der tagelangen Havarie des Megamax-Frachters „Ever Given“im März im Suezkanal waren: Das Problem ist viel hartnäckig­er, als dass es sich nur mit diesem einen Schiffsung­lück erklären ließe.

„Es ist leider offen, wann sich die Situation bei den Lieferkett­en nachhaltig verbessern wird. Ich bin aber sicher, dass wenn wir die Pandemie besiegt haben, wann immer das sein wird, dann wird das auch alles wieder besser fließen“, sagt die neue Präsidenti­n des Verbandes Deutscher Reeder, Gaby Bornheim, der Deutschen Presse-Agentur. „Die angespannt­en Lieferkett­en sind ganz klar Folge der Corona-Pandemie.“

Bereits im Frühsommer 2021 hatten sich die Spitzenver­bände der deutschen Wirtschaft in einem offenen Brief an die damalige Bundesregi­erung über die Lage beschwert: „Künstliche Engpässe der Transportk­apazitäten in den maritimen Lieferkett­en“wurden dafür verantwort­lich gemacht, dass der Hochlauf der Industrie nach der Corona-Rezession 2020 ins Stottern gerate. Die Rede war von mangelnder Verfügbark­eit von Containern, fehlenden Transportk­apazitäten, unpünktlic­hen Schiffsank­ünften und stark steigenden Transportk­osten.

„Wir können unsere Seeleute immer noch nicht einfach so an Bord bringen, wie wir das gewohnt waren und sie auch nicht ungehinder­t von Bord holen“, berichtet die Chefin der Hamburger Peter Döhle Schiffahrt­sKG, eine der größten deutschen Reedereien. „Da sind erhebliche Restriktio­nen, die sich in den einzelnen Häfen im Wochen-, manchmal auch im Tagesrhyth­mus ändern, so dass wir gar keine Sicherheit haben, jetzt

Crewwechse­l in vielen Teilen der Welt durchführe­n zu können.“

Lange Zeit waren auch fehlende Container ein großes Problem, weil die Transportb­oxen wegen Verspätung­en in den Fahrplänen nicht dort waren, wo sie zur neuen Beladung sein sollten. Normalerwe­ise sind Container zum Beispiel bei HapagLloyd 50 Tage unterwegs, bevor sie wieder beladen werden können, aufgrund der Überlastun­gen der Häfen sind es mehr als 60 Tage. Um das auszugleic­hen, hat allein die Hamburger Großreeder­ei seit 2020 insgesamt 625 000 neue Transportb­oxen eingekauft.

Als gewaltiges Nadelöhr erweisen sich schließlic­h viele Häfen - vor allem die an der chinesisch­en Küste und der amerikanis­chen Westküste, zwischen denen die riesigen Handelsstr­öme zwischen den beiden größten Volkswirts­chaften abgewickel­t werden. In China wurden immer wieder Häfen ganz oder teilweise geschlosse­n, weil Hafenarbei­ter coronainfi­ziert waren. Schiffe müssen tagelang auf das Be- und Entladen warten oder auf andere Häfen ausweichen, vor denen sich dann ebenfalls große Staus bilden. Wegen der sehr strikten Reaktion der chinesisch­en Behörden und der beispiello­sen Ausbreitun­gsgeschwin­digkeit der Corona-Variante Omikron, dürften geschlosse­ne Hafentermi­nals in China auch 2022 ein Thema bleiben.

Auch vor dem Port of Los Angeles und vor Long Beach in direkter Nachbarsch­aft, den beiden wichtigste­n Häfen an der US-Westküste, liegen massenhaft Schiffe auf Reede, im Herbst waren es zeitweise bis zu 100. Zudem funktionie­ren die Hinterland­verkehre nicht, wie sie sollten, auch weil es nicht genügend LkwFahrer gibt. US-Präsident Joe Biden hatte das Hafenprobl­em im Herbst zur Chefsache gemacht und erreicht, dass der Hafen Los Angeles an sieben Tagen die Woche und in der Nacht arbeitet.

Der Ökonom Vincent Stamer, der beim Kiel Institut für Weltwirtsc­haft regelmäßig weltweite Schiffsbew­egungen analysiert, schätzt, dass derzeit mehr als elf Prozent der weltweit verschifft­en Güter auf unbewegten Schiffen parkt - eine gewaltige Menge, bedenkt man, dass 90 Prozent der globalen Warenström­e per Containers­chiff transporti­ert werden. Die deutschen Seehäfen gelten nicht als staugefähr­det, weil sie auf den großen globalen Routen der Linienreed­ereien ganz zuletzt angefahren werden.

Zum Jahresende hin beobachtet Stamer zwar eine leichte Entspannun­g bei den Staus. Aber: „Es ist zu vermuten, dass die Entspannun­g bei den Staus in der Containers­chifffahrt eine Folge der gedämpften Handelsakt­ivität ist, keine Trendwende hin zu wieder flüssigere­n Abläufen.“Erste Besserung könnte sich im Februar zeigen. „Obwohl die Nachfrage immer noch hoch ist, hoffen wir, dass es nach dem chinesisch­en Neujahrsfe­st erste Anzeichen für eine allmählich­e Dekompress­ion in den Lieferkett­en geben wird“, schreibt HapagLloyd zum Jahreswech­sel in einer Nachricht an die Kunden.

Auch Schifffahr­tsexperte Stamer sieht das Neujahrsfe­st in China als erste wichtige Wegmarke. Das Fest ist traditione­ll ein absoluter Höhepunkt des Konsums im bevölkerun­gsreichste­n Land der Welt, danach ebbt die Konsumnach­frage deutlich ab. „Doch auch dann dürfte es noch dauern, bis das globale Liefernetz­werk wieder im Gleichtakt schwingt. Lieferverz­ögerungen und Engpässe könnten uns daher noch sehr weit ins laufende Jahr hinein beschäftig­en“, erwartet der Kieler Wirtschaft­sforscher.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Der Hafen von Yantian in der chinesisch­en Stadt Shenzhen: 90 Prozent aller Elektronik­exporte aus der Volksrepub­lik China erfolgen über ihn. Die großen Containerh­äfen leiden weltweit weiterhin unter der Corona-Pandemie. Besserung ist wohl erstmal nicht in Sicht.
FOTO: IMAGO IMAGES Der Hafen von Yantian in der chinesisch­en Stadt Shenzhen: 90 Prozent aller Elektronik­exporte aus der Volksrepub­lik China erfolgen über ihn. Die großen Containerh­äfen leiden weltweit weiterhin unter der Corona-Pandemie. Besserung ist wohl erstmal nicht in Sicht.

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