„Mit schlimmsten Dingen konfrontiert“
Rechtsanwältin Anja Mack aus Memmingen spricht über den Alltag einer Strafverteidigerin
- Mord, Totschlag, Kindesmissbrauch: Immer wieder gibt es Kriminalfälle in unserer Region, die die Menschen erschüttern. Die meisten Täter werden geschnappt und irgendwann dafür vor Gericht stehen. Ein Anwalt oder eine Anwältin werden sie verteidigen. Doch wie ist es Juristen möglich, solchen Menschen zur Seite zu stehen? Darüber und über Richter, die nicht mit Anwälten reden, Nasenbluten während des Plädoyers und mehr aus dem Anwaltsalltag haben wir mit Anja Mack gesprochen. Sie ist Rechtsanwältin aus Memmingen.
Frau Mack, wie kann eine Anwältin einen mutmaßlichen Mörder verteidigen oder jemanden, der ein Kind missbraucht hat?
Anja Mack: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass wir einen Rechtsstaat haben und dass jeder einen Anspruch auf Verteidigung hat. Je schlimmer ein Delikt ist, je mehr ein Angeklagter an der Wand steht, desto mehr muss es einen geben, der dessen Interessen noch vertreten kann. Zudem gilt in Deutschland die Unschuldsvermutung. Allein schon deshalb ist es wichtig, dass ein Angeklagter verteidigt wird. Um zu schauen, ob auch alles rechtsstaatlich läuft.
Jemanden zu verteidigen, der eine grausame Tat begangen hat, ist sicher nicht leicht, oder?
Mack: Es gibt auch schönere Dinge zu tun. Aber das ist mein Beruf – und sicher eine Berufung. Wenn man Strafverteidigung macht, kann man nicht nur den Handtaschendiebstahl und das Schwarzfahren übernehmen, sondern dann muss man es in aller Konsequenz machen und damit leben, dass man wirklich mit schlimmsten Dingen konfrontiert ist. Manche sind so schlimm, dass sie einen im Schlaf verfolgen.
In welchem Fall ist es Ihnen schon mal so ergangen?
Mack: Zum Beispiel als ein Baby schwerst verletzt worden ist. Ich habe damals die Nebenklage vertreten. Das war zu einer Zeit, als mein Sohn unwesentlich älter war. Das hat mich wahnsinnig beschäftigt. Und zwar so sehr, dass ich bei meinem Plädoyer Nasenbluten bekommen habe.
Wie verarbeiten Sie solche Bilder? Mack: Ich gehe ganz viel laufen. Wenn mich etwas so sehr beschäftigt, muss ich mein Hirn auf diese Weise frei bekommen. Mack: Ansonsten verteidige ich alles.
Unabhängig davon, wie Sie mit einem Mandanten zurechtkommen? Mack: Wenn man strafverteidigt, muss man damit leben, dass Menschen dabei sind, die nicht angenehm oder die schwierig sind. Aber ein Arzt muss auch jemanden behandeln, der ihm nicht sympathisch ist oder der eine schwierige Persönlichkeit hat. So ist es bei mir auch: Wenn einer für mich schwierig ist, muss der genauso gut verteidigt werden wie alle anderen.
Blicken wir auf die andere Seite: Wie fühlen Sie sich, wenn ein Richter nicht so entscheidet, wie Sie es sich gewünscht hätten?
Mack: Ich beantrage als Strafverteidigerin etwas, von dem ich ausgehe, dass das richtig so ist. Wenn ein Gericht es anders sieht und ein Mandant beispielsweise härter verurteilt wird, tut mir das leid, weil die Konsequenzen manchmal krass sein können für denjenigen. Und natürlich ärgere ich mich dann auch und fühle mich vielleicht in meiner Berufsehre oder in meiner Eitelkeit gekränkt. Es kommt aber auch darauf an, wie es das Gericht macht. Es gibt Richter, die machen das sachlich und anständig, so ist es die Regel. Und manche Gerichte gehen mit uns Verteidigern nicht sehr sachlich und freundlich um.
Haben Sie ein Beispiel?
Mack: Ich habe vor Kurzem in Augsburg verteidigt, da hat der Richter nicht mit mir gesprochen, sondern nur mit meinem Mandanten. Ein Kollege hat mir danach bestätigt: Der spricht nicht mit Verteidigern.
Gibt es so etwas öfter?
Mack: Ich glaube schon, dass es in der Justiz Leute gibt, für die wir Strafverteidiger die Feinde sind, die Vertreter des Bösen. Das sind nur Ausnahmen, aber es gibt sie.
Warum könnte das so sein?
Mack: Weil wir uns vermeintlich auf die Seite von Kriminellen stellen. Und tatsächlich wird damit doch auch manchmal gleichgestellt, dass wir Taten rechtfertigen oder verharmlosen. Aber wie ein berühmter und geschätzter Kollege, der Strafverteidiger Gerhard Strate, sagt: Man verteidigt keine Tat, sondern einen Täter. (Anm. der Red.: Strate (71) ist Strafverteidiger. Er hat Angeklagte in Fällen vertreten, die deutschlandweit für Aufsehen gesorgt haben, etwa Monika Böttcher, die Hamburger Kiez-Größe Burim Osmani, den Terroristen Mounir al-Motassadeq.)
Glauben Sie Ihren Mandanten alles, was sie Ihnen erzählen?
Mack: Nein. Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Mandant lügen könnte. Manche können tatsächlich irgendetwas nicht zugeben, vielleicht weil es ehrenrührig ist, weil sie sich einfach schämen. Und manches Mal merken Sie als Verteidigerin auch, dass ein Mandant lügt.
Können Sie den vertreten?
Mack: Ja. Es kommt ja nicht darauf an, ob jemand die Wahrheit sagt, sondern letztlich darauf, was sich aus den Akten ergibt. Wenn mir jemand nicht die Wahrheit sagen will, dann kann ich den ganz genauso verteidigen, wie wenn er mir die Wahrheit sagt. Obwohl es natürlich manchmal hilfreich wäre, Hintergründe zu erfahren.