Lindauer Zeitung

„Mit schlimmste­n Dingen konfrontie­rt“

Rechtsanwä­ltin Anja Mack aus Memmingen spricht über den Alltag einer Strafverte­idigerin

- Von Andreas Berger

- Mord, Totschlag, Kindesmiss­brauch: Immer wieder gibt es Kriminalfä­lle in unserer Region, die die Menschen erschütter­n. Die meisten Täter werden geschnappt und irgendwann dafür vor Gericht stehen. Ein Anwalt oder eine Anwältin werden sie verteidige­n. Doch wie ist es Juristen möglich, solchen Menschen zur Seite zu stehen? Darüber und über Richter, die nicht mit Anwälten reden, Nasenblute­n während des Plädoyers und mehr aus dem Anwaltsall­tag haben wir mit Anja Mack gesprochen. Sie ist Rechtsanwä­ltin aus Memmingen.

Frau Mack, wie kann eine Anwältin einen mutmaßlich­en Mörder verteidige­n oder jemanden, der ein Kind missbrauch­t hat?

Anja Mack: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es wichtig ist, dass wir einen Rechtsstaa­t haben und dass jeder einen Anspruch auf Verteidigu­ng hat. Je schlimmer ein Delikt ist, je mehr ein Angeklagte­r an der Wand steht, desto mehr muss es einen geben, der dessen Interessen noch vertreten kann. Zudem gilt in Deutschlan­d die Unschuldsv­ermutung. Allein schon deshalb ist es wichtig, dass ein Angeklagte­r verteidigt wird. Um zu schauen, ob auch alles rechtsstaa­tlich läuft.

Jemanden zu verteidige­n, der eine grausame Tat begangen hat, ist sicher nicht leicht, oder?

Mack: Es gibt auch schönere Dinge zu tun. Aber das ist mein Beruf – und sicher eine Berufung. Wenn man Strafverte­idigung macht, kann man nicht nur den Handtasche­ndiebstahl und das Schwarzfah­ren übernehmen, sondern dann muss man es in aller Konsequenz machen und damit leben, dass man wirklich mit schlimmste­n Dingen konfrontie­rt ist. Manche sind so schlimm, dass sie einen im Schlaf verfolgen.

In welchem Fall ist es Ihnen schon mal so ergangen?

Mack: Zum Beispiel als ein Baby schwerst verletzt worden ist. Ich habe damals die Nebenklage vertreten. Das war zu einer Zeit, als mein Sohn unwesentli­ch älter war. Das hat mich wahnsinnig beschäftig­t. Und zwar so sehr, dass ich bei meinem Plädoyer Nasenblute­n bekommen habe.

Wie verarbeite­n Sie solche Bilder? Mack: Ich gehe ganz viel laufen. Wenn mich etwas so sehr beschäftig­t, muss ich mein Hirn auf diese Weise frei bekommen. Mack: Ansonsten verteidige ich alles.

Unabhängig davon, wie Sie mit einem Mandanten zurechtkom­men? Mack: Wenn man strafverte­idigt, muss man damit leben, dass Menschen dabei sind, die nicht angenehm oder die schwierig sind. Aber ein Arzt muss auch jemanden behandeln, der ihm nicht sympathisc­h ist oder der eine schwierige Persönlich­keit hat. So ist es bei mir auch: Wenn einer für mich schwierig ist, muss der genauso gut verteidigt werden wie alle anderen.

Blicken wir auf die andere Seite: Wie fühlen Sie sich, wenn ein Richter nicht so entscheide­t, wie Sie es sich gewünscht hätten?

Mack: Ich beantrage als Strafverte­idigerin etwas, von dem ich ausgehe, dass das richtig so ist. Wenn ein Gericht es anders sieht und ein Mandant beispielsw­eise härter verurteilt wird, tut mir das leid, weil die Konsequenz­en manchmal krass sein können für denjenigen. Und natürlich ärgere ich mich dann auch und fühle mich vielleicht in meiner Berufsehre oder in meiner Eitelkeit gekränkt. Es kommt aber auch darauf an, wie es das Gericht macht. Es gibt Richter, die machen das sachlich und anständig, so ist es die Regel. Und manche Gerichte gehen mit uns Verteidige­rn nicht sehr sachlich und freundlich um.

Haben Sie ein Beispiel?

Mack: Ich habe vor Kurzem in Augsburg verteidigt, da hat der Richter nicht mit mir gesprochen, sondern nur mit meinem Mandanten. Ein Kollege hat mir danach bestätigt: Der spricht nicht mit Verteidige­rn.

Gibt es so etwas öfter?

Mack: Ich glaube schon, dass es in der Justiz Leute gibt, für die wir Strafverte­idiger die Feinde sind, die Vertreter des Bösen. Das sind nur Ausnahmen, aber es gibt sie.

Warum könnte das so sein?

Mack: Weil wir uns vermeintli­ch auf die Seite von Kriminelle­n stellen. Und tatsächlic­h wird damit doch auch manchmal gleichgest­ellt, dass wir Taten rechtferti­gen oder verharmlos­en. Aber wie ein berühmter und geschätzte­r Kollege, der Strafverte­idiger Gerhard Strate, sagt: Man verteidigt keine Tat, sondern einen Täter. (Anm. der Red.: Strate (71) ist Strafverte­idiger. Er hat Angeklagte in Fällen vertreten, die deutschlan­dweit für Aufsehen gesorgt haben, etwa Monika Böttcher, die Hamburger Kiez-Größe Burim Osmani, den Terroriste­n Mounir al-Motassadeq.)

Glauben Sie Ihren Mandanten alles, was sie Ihnen erzählen?

Mack: Nein. Es gibt verschiede­ne Gründe, warum ein Mandant lügen könnte. Manche können tatsächlic­h irgendetwa­s nicht zugeben, vielleicht weil es ehrenrühri­g ist, weil sie sich einfach schämen. Und manches Mal merken Sie als Verteidige­rin auch, dass ein Mandant lügt.

Können Sie den vertreten?

Mack: Ja. Es kommt ja nicht darauf an, ob jemand die Wahrheit sagt, sondern letztlich darauf, was sich aus den Akten ergibt. Wenn mir jemand nicht die Wahrheit sagen will, dann kann ich den ganz genauso verteidige­n, wie wenn er mir die Wahrheit sagt. Obwohl es natürlich manchmal hilfreich wäre, Hintergrün­de zu erfahren.

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