Lindauer Zeitung

Erste Fragestund­e für den Kanzler

Scholz wirbt für „unbürokrat­ische“Impfpflich­t für alle Erwachsene­n

- Von Ellen Hasenkamp und Agenturen

- Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat sich in den vergangene­n Tagen einiges anhören müssen. Fehlende Führungskr­aft in der CoronaPand­emie wurde ihm vorgeworfe­n – und mangelndes Engagement beim Thema Impfpflich­t.

Als Scholz am Mittwochmi­ttag den Plenarsaal des Bundestags betritt, macht er sofort deutlich, dass er das nicht auf sich sitzen lassen möchte. Entschloss­en geht er auf diejenigen zu, die ihn zuletzt mit am heftigsten kritisiert haben: CDU/CSU-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus und den designiert­en CDU-Chef Friedrich Merz. Für seine Verhältnis­se ziemlich gestenreic­h redet er auf die beiden ein, breitet die Arme aus, ballt die Fäuste, als wenn er in die laufenden Kameras signalisie­ren wollte: Ich bin hier nicht derjenige, der in der Defensive ist.

So verläuft anschließe­nd auch der zweite große Auftritt des neuen Kanzlers im Bundestag nach seiner Regierungs­erklärung im Dezember. Diesmal ist es ein interaktiv­es Format. Etwas mehr als eine Stunde haben die Parlamenta­rier Zeit, ihn zu allen möglichen Themen zu befragen: vom Ukraine-Konflikt über den Pflegezusc­hlag bis zu einer Autobahnbr­ücke im Sauerland. Aber ein Thema steht klar im Vordergrun­d: die Bekämpfung der Corona-Pandemie.

Was die Strategie der opposition­ellen Union bei dieser ersten Bundestags­befragung von SPD-Kanzler Olaf Scholz sein soll, wird schon klar, da ist der eigentlich­e Tagesordnu­ngspunkt noch nicht mal aufgerufen. Der Parlaments­geschäftsf­ührer der Union, Thorsten Frei (CDU), nutzt die vorgeschal­tete Diskussion über die neuen Corona-Regeln im Hohen Haus für eine erste Spitze gegen den Regierungs­chef: Er möge sich ein Beispiel an Parlaments­präsidenti­n Bärbel Bas (SPD) nehmen und „Führung“bei der Pandemiebe­kämpfung zeigen, sagt Frei in Richtung Kanzler. Das zielt natürlich auf das Thema Impfpflich­t, die Scholz zwar ausdrückli­ch möchte, deren konkrete Ausgestalt­ung er aber dennoch dem Bundestag überlassen will. Weswegen die Union den Kanzler als führungssc­hwach abzustempe­ln versucht.

Dreimal im Jahr, so hat es der Bundestag beschlosse­n, muss der Kanzler den Abgeordnet­en Rede und Antwort stehen. Das Ziel allerdings, die Regierung mal so richtig in die Zange zu nehmen, wurde schon bei Scholz‘ Vorgängeri­n Angela Merkel meist verfehlt. Merkel schien zwischenze­itlich sogar Gefallen am Politik-Ping-Pong zu finden, aus dem sie meist als gefühlte Siegerin hervorging.

In die Enge lässt sich auch Scholz nicht treiben. Wie viel Freude ihm die 60 Minuten bereiten, bleibt allerdings offen. Wenn er beinahe jedem Abgeordnet­en zunächst „schönen Dank für die Frage“ausrichtet, klingt das manchmal freundlich, manchmal sogar ehrlich interessie­rt und manchmal ironisch. Routiniert und sachlich liefert Scholz seine Antworten auf Fragen nach der Lage in der Ukraine, zu Minijobs oder zu den hohen Energiepre­isen ab und kümmert sich dabei nur grob um die mitunter rot blinkende Redezeitbe­grenzung, was ihm, aber auch den weit ausholende­n Fragestell­ern, immer wieder Ermahnunge­n der Parlaments­präsidenti­n einträgt.

Was nun die Impfpflich­t betrifft, beanspruch­t Scholz eine Art Urhebersch­aft. Er habe der Debatte schließlic­h schon im November die Richtung gewiesen, sagt er und verrät immerhin zwei konkrete Wünsche an die Ausgestalt­ung: dass die Pflicht nämlich für alle Erwachsene­n gelten solle – nicht also etwa nur für Menschen über 50 oder 60 Jahre – sowie „unbürokrat­isch“sein möge, was wiederum wie eine Absage an ein erst noch einzuricht­endes Impfregist­er klingt.

Das alles kennzeichn­et Scholz aber ausdrückli­ch als die Aussage des „Abgeordnet­en Scholz“, was zu einer engagierte­n Nachfrage des CDU-Innenpolit­ikers Günter Krings führt, der auf eine Antwort des „Verfassung­sorgans Bundesregi­erung“besteht, die er aber nicht bekommt.

Zu den von ihm ursprüngli­ch genannten Daten für das Inkrafttre­ten äußert sich Scholz nicht. An der Stelle hat am Vorabend schon SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich Druck aus dem Kessel genommen, indem er einen seit Langem von der Opposition geforderte­n Zeitplan präsentier­te. Ende Januar sollen Eckpunkte für einen Gesetzentw­urf vorgelegt werden. Auf dieser Grundlage soll mit Abgeordnet­en anderer Fraktionen über einen gemeinsame­n Gruppenant­rag gesprochen werden. Und bis Ende März soll dann die Entscheidu­ng fallen – nicht ganz so schnell, wie der Kanzler sich das gewünscht hat.

So richtig angriffslu­stig wird der Kanzler, als ihn die AfD nach Nebenwirku­ngen der Corona-Impfungen befragt und ihm eine Verdrehung von Fakten vorwirft. „Einen offenen und ehrlichen Umgang mit den Fakten wünsche ich vor allem Ihnen“, hält er dem Abgeordnet­en Martin Sichert entgegen. „Halten Sie sich an die Fakten, verwirren Sie nicht die Bürger, schützen Sie die Gesundheit der Bürgerinne­n und Bürger.“

Die AfD hatte zum Auftakt der Rede von Scholz gegen die verschärft­en Corona-Regeln im Bundestag protestier­t, die einen Zugang zum Plenarsaal nur noch mit Test oder Booster-Impfung erlauben. Mehrere Abgeordnet­e zeigten Plakate mit der Aufschrift „Freiheit statt Spaltung“. Scholz hält ihnen entgegen, was er schon in seiner Neujahrsan­sprache gesagt hat: „Unser Land ist nicht gespalten, sondern hält zusammen.“

Keine rechte Antwort erhält der Linken-Abgeordnet­e Pascal Meiser, der wissen will, wer genau denn nun nach Ansicht von Scholz den angekündig­ten Pflegebonu­s bekommen soll. Es werde insgesamt „besser werden für die Pflegekräf­te“, versichert Scholz und verweist auf Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD), der bis zum Ende des Monats eine „möglichst passgenaue Lösung“präsentier­en werde. Meiser wirkt mit dieser Antwort nicht zufrieden – Scholz hingegen schon, als nach einer guten Stunde die erste Kanzlerbef­ragung im Bundestag zu Ende geht.

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FOTO: SHAN YUQI /IMAGO IMAGES Wurde immer wieder nach der allgemeine­n Impfpflich­t, für die er sich ausgesproc­hen hat, befragt: Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD).

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