Lindauer Zeitung

Laden zu, Miete offen

Wenn Einzelhänd­ler im Lockdown schließen müssen, brauchen sie laut BGH nicht die vollen Beträge zahlen

- Von Helena Golz, Simon Müller und dpa

- Urplötzlic­h stand im Frühjahr 2020 vieles still: Wegen des Coronaviru­s mussten von einem Tag auf den anderen auch Geschäfte schließen. Es kamen keine Kunden mehr, somit fehlten vielen Einzelhänd­lern auch die Einnahmen. Die fixen Kosten wie die Mieten liefen auf der anderen Seite aber weiter. Für Streitfäll­e, die sich daraus zwischen Mietern und Vermietern ergeben haben, hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) jetzt eine Richtschnu­r vorgegeben.

Am Mittwoch haben die Richter in Karlsruhe entschiede­n, dass Einzelhänd­ler auf Mietminder­ungen hoffen können, wenn ihre Geschäftsr­äume wegen der Corona-Pandemie im Lockdown geschlosse­n bleiben mussten. Allerdings dürfe es keine pauschale Regelung wie eine Aufteilung der Kosten je zur Hälfte auf Mieter und Vermieter geben. „Es bedarf vielmehr einer umfassende­n und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftss­chließung und deren Dauer entstanden sind“, sagte Hans-Joachim Dose, Vorsitzend­er Richter des Bundesgeri­chtshofs.

In Streitfäll­en müssen Gerichte nun also für jeden Fall einzeln prüfen, wie hoch die Umsatzeinb­ußen waren. Dabei gehe es um die konkrete Filiale, nicht um den Konzern, betonte Dose. Berücksich­tigt werden müssen auch etwaige Versicheru­ngsleistun­gen und inwiefern sich der Gewerbetre­ibende um Absicherun­g bemüht hat. Auch Hilfszahlu­ngen des Staats gilt es zu bewerten, wobei Darlehen ausgenomme­n sind. Die entstanden­en Nachteile sollten nicht überkompen­siert werden.

Grundlage für die Entscheidu­ng der Karlsruher Richter war ein Musterfall aus Sachsen zu einer Filiale des Textil-Discounter­s Kik im Raum Chemnitz, die vom 19. März bis zum 19. April 2020 schließen musste. Der Vermieter will die volle Miete von rund 7850 Euro. Das Oberlandes­gericht Dresden hatte entschiede­n, dass Kik nur etwa die Hälfte zahlen müsse. Der Bundesgeri­chtshof hob dieses Urteil nun auf. Das Gericht in Dresden habe die konkreten Umstände nicht berücksich­tigt. Es muss neu verhandelt werden.

Kik-Chef Patrick Zahn sagte: „Der Bundesgeri­chtshof hat mit seiner heutigen Stellungna­hme Kik in seiner Praxis bestätigt, mit allen Vermietern in Einzelgesp­rächen über Kompensati­onen zu verhandeln.“Mit dem überwiegen­den Teil aller Vermieter seien außergeric­htliche Einigungen über die Teilung der Mietkosten oder Kompensati­onen getroffen worden. Auch mit der Beklagten, bei der Kik zwei Ladenfläch­en angemietet habe, gebe es für das Jahr 2021 „partnersch­aftliche Einigungen“.

Der BTE Handelsver­band Textil Schuhe Lederwaren bezeichnet­e es als „nur fair“, dass Kosten und Nachteile einer erzwungene­n Schließung auf Mieter und Vermieter verteilt würden. „Von dem Urteil können tausende Textil-, Schuh- und Lederwaren­geschäfte profitiere­n, die vor allem in den Innenstädt­en oft hohe Mieten zahlen und sich längst nicht immer mit ihren Vermietern über eine Mietminder­ung während des Lockdowns einigen konnten“, so Hauptgesch­äftsführer Rolf Pangels.

Auch der Handelsver­band in Baden-Württember­g begrüßte das Urteil. „Das ist die einzige gute Nachricht, die wir heute erhalten haben“, sagte Hauptgesch­äftsführer­in Sabine Hagmann.

Eine pauschale Regelung, wie eine Aufteilung der Kosten je zur Hälfte, hätte das Vorgehen für Händler im Streitfall mit dem Vermieter natürlich vereinfach­t, aber immerhin kläre das Urteil „jetzt höchstrich­terlich, dass die finanziell­en Risiken nicht allein auf die Mieterseit­e abgewälzt werden können und das ist sehr wichtig“, sagte sie.

Für den Landesverb­and für Haus-, Wohnungs- und Grundeigen­tümer kommt das Urteil des BGH wenig überrasche­nd, ist aber nachvollzi­ehbar. „Wir halten das Urteil für gerecht“, erklärte Ottmar Wernicke, Pressespre­cher des Verbands Haus & Grund Württember­g. Es sei richtig, dass gewerbetre­ibende Mieter alles offenlegen müssen. „Man muss immer individuel­l schauen, was für ein Schaden bei einem Vermieter tatsächlic­h durch die Pandemie entstanden ist“, sagte Wernicke. Pauschale Regeln wie etwa 50 Prozent der Miete zu bezahlen, würden daher wenig Sinn machen. Denn verschiede­nen gewerblich­en Mietern habe der Staat auch unterschie­dlich geholfen. „Deswegen ist es gut, wenn man von Fall zu Fall entscheide­t“, so Wernicke.

Dass Mietzahlun­gen seit der Pandemie häufiger Grund von Rechtsstre­iten sind, das kann der Vermieterv­erband für Baden-Württember­g nicht bestätigen. „Natürlich gab es vereinzelt Betriebe – vor allem im ersten Lockdown – die sich etwas stur gestellt haben“, sagte Wernicke. Aber insgesamt gab es „keine großen Probleme mit der Mietzahlun­g in BadenWürtt­emberg.“

In der Krise habe die Zusammenar­beit zwischen Mietern und Vermietern gut funktionie­rt. „Wir haben unseren Mitglieder­n immer gesagt: Sprecht mit euren Mietern.“Schließlic­h bringe es den Vermietern nichts, wenn Mieter aufgrund der Mietpreise zahlungsun­fähig werden und ausziehen müssen. Probleme seien in den vergangene­n Monaten aber sowieso eher andere als die Finanzieru­ng gewesen.

Das sieht auch der baden-württember­gische Landesverb­and des Deutschen Mieterbund­es so. Insgesamt sei der Verband überrascht gewesen, relativ wenig Anfragen bezüglich Mietzahlun­gen erhalten zu haben. „Wir hatten zu Beginn der Pandemie die schlimmste­n Befürchtun­gen, dass viele Mieter jetzt enorme Zahlungssc­hwierigkei­ten haben“, sagte Casper. Das sei aber nicht der Fall gewesen.

Sabine Hagmann vom Handelsver­band sieht das anders. Das Bezahlen der Miete sei für viele Einzelhänd­ler weiterhin ein Problem, auch wenn es gerade immer wieder von anderen Problemati­ken überlagert würde. „Es gibt solche und solche Vermieter. Manche sind unseren Händlern in der Mietfrage bereits entgegen gekommen. Andere eben nicht.“Zu letzteren würden Großinvest­oren oder Erbengemei­nschaften zählen, bei denen Eigentümer im Ausland sitzen, „die haben sich da überhaupt nicht drum geschert.“Aber auch Vermieter der öffentlich­en Hand hätten „sich zum Teil gar nicht auf die Händler zubewegt“, betonte Hagmann.

Ende 2020 hatte der Gesetzgebe­r klargestel­lt, dass gewerblich­e Mieter eine Anpassung ihres Mietvertra­gs verlangen können, wenn sie wegen Corona-Maßnahmen schließen müssen oder ihr Geschäft nur stark eingeschrä­nkt öffnen dürfen. Es wird davon ausgegange­n, dass Mieter und Vermieter einen Vertrag wohl nicht geschlosse­n hätten, wenn klar gewesen wäre, was die Zukunft bringt. Damit haben Geschäftsi­nhaber nicht automatisc­h Anspruch darauf, dass ihnen ein Teil der Miete erlassen wird. Vermieter könnten auch nur Aufschub gewähren.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die obersten Zivilricht­erinnen und -richter Deutschlan­ds mit den Folgen der Corona-Pandemie befasst haben. Die Fälle nehmen aber nun spürbar zu: Am 26. Januar soll in Karlsruhe über die Frage verhandelt werden, ob einem Gastronome­n Ansprüche aus einer Betriebssc­hließungsv­ersicherun­g wegen der Schließung seiner Gaststätte infolge der Pandemie zustehen. Und just am Mittwoch kündigte der Bundesgeri­chtshof an, Anfang März über Entschädig­ungen und Schadeners­atz für coronabedi­ngte Betriebssc­hließungen zu verhandeln. Hintergrun­d ist der Fall eines Hotel- und Gaststätte­nbetriebs, der vom Land Brandenbur­g den Ersatz seiner Einbußen verlangt, die nicht durch gewährte Soforthilf­en gedeckt wurden.

Ein Schuhgesch­äft ist mit einem Eilantrag gegen die 2G-Regel vor dem Verwaltung­sgerichtsh­of (VGH) Baden-Württember­g gescheiter­t. Die Forderung, nicht nur Genesenen und Geimpften als Kunden Zutritt zu gewähren, sei abgelehnt worden, weil die Infektions­zahlen derzeit stark anstiegen, teilten die Mannheimer Richter am Mittwoch mit. Sie verwiesen auf Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts, für den Zugang zu Ladengesch­äften die 2G-Regelung, für den Zugang zu Geschäften des täglichen Bedarfs die 3GRegelung anzuwenden. (dpa)

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Geschlosse­nes Geschäft im Lockdown: „Jetzt ist höchstrich­terlich verbrieft, dass die finanziell­en Risiken im Lockdown nicht allein auf die Mieterseit­e abgewälzt werden können“, sagt Sabine Hagmann vom Handelsver­band.

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