Laden zu, Miete offen
Wenn Einzelhändler im Lockdown schließen müssen, brauchen sie laut BGH nicht die vollen Beträge zahlen
- Urplötzlich stand im Frühjahr 2020 vieles still: Wegen des Coronavirus mussten von einem Tag auf den anderen auch Geschäfte schließen. Es kamen keine Kunden mehr, somit fehlten vielen Einzelhändlern auch die Einnahmen. Die fixen Kosten wie die Mieten liefen auf der anderen Seite aber weiter. Für Streitfälle, die sich daraus zwischen Mietern und Vermietern ergeben haben, hat der Bundesgerichtshof (BGH) jetzt eine Richtschnur vorgegeben.
Am Mittwoch haben die Richter in Karlsruhe entschieden, dass Einzelhändler auf Mietminderungen hoffen können, wenn ihre Geschäftsräume wegen der Corona-Pandemie im Lockdown geschlossen bleiben mussten. Allerdings dürfe es keine pauschale Regelung wie eine Aufteilung der Kosten je zur Hälfte auf Mieter und Vermieter geben. „Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind“, sagte Hans-Joachim Dose, Vorsitzender Richter des Bundesgerichtshofs.
In Streitfällen müssen Gerichte nun also für jeden Fall einzeln prüfen, wie hoch die Umsatzeinbußen waren. Dabei gehe es um die konkrete Filiale, nicht um den Konzern, betonte Dose. Berücksichtigt werden müssen auch etwaige Versicherungsleistungen und inwiefern sich der Gewerbetreibende um Absicherung bemüht hat. Auch Hilfszahlungen des Staats gilt es zu bewerten, wobei Darlehen ausgenommen sind. Die entstandenen Nachteile sollten nicht überkompensiert werden.
Grundlage für die Entscheidung der Karlsruher Richter war ein Musterfall aus Sachsen zu einer Filiale des Textil-Discounters Kik im Raum Chemnitz, die vom 19. März bis zum 19. April 2020 schließen musste. Der Vermieter will die volle Miete von rund 7850 Euro. Das Oberlandesgericht Dresden hatte entschieden, dass Kik nur etwa die Hälfte zahlen müsse. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil nun auf. Das Gericht in Dresden habe die konkreten Umstände nicht berücksichtigt. Es muss neu verhandelt werden.
Kik-Chef Patrick Zahn sagte: „Der Bundesgerichtshof hat mit seiner heutigen Stellungnahme Kik in seiner Praxis bestätigt, mit allen Vermietern in Einzelgesprächen über Kompensationen zu verhandeln.“Mit dem überwiegenden Teil aller Vermieter seien außergerichtliche Einigungen über die Teilung der Mietkosten oder Kompensationen getroffen worden. Auch mit der Beklagten, bei der Kik zwei Ladenflächen angemietet habe, gebe es für das Jahr 2021 „partnerschaftliche Einigungen“.
Der BTE Handelsverband Textil Schuhe Lederwaren bezeichnete es als „nur fair“, dass Kosten und Nachteile einer erzwungenen Schließung auf Mieter und Vermieter verteilt würden. „Von dem Urteil können tausende Textil-, Schuh- und Lederwarengeschäfte profitieren, die vor allem in den Innenstädten oft hohe Mieten zahlen und sich längst nicht immer mit ihren Vermietern über eine Mietminderung während des Lockdowns einigen konnten“, so Hauptgeschäftsführer Rolf Pangels.
Auch der Handelsverband in Baden-Württemberg begrüßte das Urteil. „Das ist die einzige gute Nachricht, die wir heute erhalten haben“, sagte Hauptgeschäftsführerin Sabine Hagmann.
Eine pauschale Regelung, wie eine Aufteilung der Kosten je zur Hälfte, hätte das Vorgehen für Händler im Streitfall mit dem Vermieter natürlich vereinfacht, aber immerhin kläre das Urteil „jetzt höchstrichterlich, dass die finanziellen Risiken nicht allein auf die Mieterseite abgewälzt werden können und das ist sehr wichtig“, sagte sie.
Für den Landesverband für Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer kommt das Urteil des BGH wenig überraschend, ist aber nachvollziehbar. „Wir halten das Urteil für gerecht“, erklärte Ottmar Wernicke, Pressesprecher des Verbands Haus & Grund Württemberg. Es sei richtig, dass gewerbetreibende Mieter alles offenlegen müssen. „Man muss immer individuell schauen, was für ein Schaden bei einem Vermieter tatsächlich durch die Pandemie entstanden ist“, sagte Wernicke. Pauschale Regeln wie etwa 50 Prozent der Miete zu bezahlen, würden daher wenig Sinn machen. Denn verschiedenen gewerblichen Mietern habe der Staat auch unterschiedlich geholfen. „Deswegen ist es gut, wenn man von Fall zu Fall entscheidet“, so Wernicke.
Dass Mietzahlungen seit der Pandemie häufiger Grund von Rechtsstreiten sind, das kann der Vermieterverband für Baden-Württemberg nicht bestätigen. „Natürlich gab es vereinzelt Betriebe – vor allem im ersten Lockdown – die sich etwas stur gestellt haben“, sagte Wernicke. Aber insgesamt gab es „keine großen Probleme mit der Mietzahlung in BadenWürttemberg.“
In der Krise habe die Zusammenarbeit zwischen Mietern und Vermietern gut funktioniert. „Wir haben unseren Mitgliedern immer gesagt: Sprecht mit euren Mietern.“Schließlich bringe es den Vermietern nichts, wenn Mieter aufgrund der Mietpreise zahlungsunfähig werden und ausziehen müssen. Probleme seien in den vergangenen Monaten aber sowieso eher andere als die Finanzierung gewesen.
Das sieht auch der baden-württembergische Landesverband des Deutschen Mieterbundes so. Insgesamt sei der Verband überrascht gewesen, relativ wenig Anfragen bezüglich Mietzahlungen erhalten zu haben. „Wir hatten zu Beginn der Pandemie die schlimmsten Befürchtungen, dass viele Mieter jetzt enorme Zahlungsschwierigkeiten haben“, sagte Casper. Das sei aber nicht der Fall gewesen.
Sabine Hagmann vom Handelsverband sieht das anders. Das Bezahlen der Miete sei für viele Einzelhändler weiterhin ein Problem, auch wenn es gerade immer wieder von anderen Problematiken überlagert würde. „Es gibt solche und solche Vermieter. Manche sind unseren Händlern in der Mietfrage bereits entgegen gekommen. Andere eben nicht.“Zu letzteren würden Großinvestoren oder Erbengemeinschaften zählen, bei denen Eigentümer im Ausland sitzen, „die haben sich da überhaupt nicht drum geschert.“Aber auch Vermieter der öffentlichen Hand hätten „sich zum Teil gar nicht auf die Händler zubewegt“, betonte Hagmann.
Ende 2020 hatte der Gesetzgeber klargestellt, dass gewerbliche Mieter eine Anpassung ihres Mietvertrags verlangen können, wenn sie wegen Corona-Maßnahmen schließen müssen oder ihr Geschäft nur stark eingeschränkt öffnen dürfen. Es wird davon ausgegangen, dass Mieter und Vermieter einen Vertrag wohl nicht geschlossen hätten, wenn klar gewesen wäre, was die Zukunft bringt. Damit haben Geschäftsinhaber nicht automatisch Anspruch darauf, dass ihnen ein Teil der Miete erlassen wird. Vermieter könnten auch nur Aufschub gewähren.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich die obersten Zivilrichterinnen und -richter Deutschlands mit den Folgen der Corona-Pandemie befasst haben. Die Fälle nehmen aber nun spürbar zu: Am 26. Januar soll in Karlsruhe über die Frage verhandelt werden, ob einem Gastronomen Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen der Schließung seiner Gaststätte infolge der Pandemie zustehen. Und just am Mittwoch kündigte der Bundesgerichtshof an, Anfang März über Entschädigungen und Schadenersatz für coronabedingte Betriebsschließungen zu verhandeln. Hintergrund ist der Fall eines Hotel- und Gaststättenbetriebs, der vom Land Brandenburg den Ersatz seiner Einbußen verlangt, die nicht durch gewährte Soforthilfen gedeckt wurden.
Ein Schuhgeschäft ist mit einem Eilantrag gegen die 2G-Regel vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg gescheitert. Die Forderung, nicht nur Genesenen und Geimpften als Kunden Zutritt zu gewähren, sei abgelehnt worden, weil die Infektionszahlen derzeit stark anstiegen, teilten die Mannheimer Richter am Mittwoch mit. Sie verwiesen auf Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, für den Zugang zu Ladengeschäften die 2G-Regelung, für den Zugang zu Geschäften des täglichen Bedarfs die 3GRegelung anzuwenden. (dpa)