Lindauer Zeitung

Omikron und die Verlässlic­hkeit der Antigentes­ts

Angesichts der steigenden Infektions­zahlen wächst die Unsicherhe­it – Was über die Wirksamkei­t bekannt ist

- Von Josefine ●Kaukemülle­r

(dpa) - Die zahlreiche­n Abstriche aus Mund und Nase sorgen täglich für etwas Gewissheit in der Corona-Lage. Wegen rasant ansteigend­er Fallzahlen durch die vorpresche­nde Omikron-Variante rückt die Teststrate­gie in Deutschlan­d nun einmal mehr in den Fokus. Die Bundesregi­erung will etwa ein vorzeitige­s Freitesten aus der Quarantäne nicht nur mit PCR-Tests, sondern auch mit „hochwertig­en“Antigentes­ts ermögliche­n. Viele Experten halten diese Idee aber für schlecht und verweisen auf die Grenzen von Antigentes­ts. Doch auch die PCRTestkap­azitäten sind nicht unerschöpf­lich.

Bisherige Erkenntnis­se zeigen: Besonders bei geringerer Viruslast schlagen Antigentes­ts, zu denen etwa Schnell- und Selbsttest­s gehören, oft nicht an. „Ein Freitesten nur mit Antigentes­t, das geht nicht“, sagt deshalb der Vorsitzend­e des Berufsverb­andes Deutscher Laborärzte, Andreas Bobrowski. Er halte ein solches Freitesten für ein problemati­sches Signal und wendet ein: „Die Tests wären nach wenigen Tagen quasi alle negativ und man würde den Menschen eine falsche Sicherheit zeigen. Da muss man ganz zurückhalt­end sein.“

Anderes Testprinzi­p – andere Zuverlässi­gkeit

Dass PCR- und Antigentes­ts unterschie­dlich exakt sind, liegt an ihrer Funktionsw­eise. Bei PCR-Tests werde in komplexen Arbeitssch­ritten mithilfe eines speziellen PCR-Geräts das Erbmateria­l des Erregers im Labor nachgewies­en, erklärt Martin Roskos vom Labor-Dienstleis­ter Synlab Deutschlan­d. Bei Antigentes­ts werden Proteine, die charakteri­stisch für das Virus sind, nachgewies­en – durch Selbsttest­s oder Schnelltes­ts, etwa zu Hause oder bei einer Teststelle. Auch eine laborbasie­rte Auswertung von Proben, die generell genauer sei als bei Selbstoder Schnelltes­ts, so Roskos, ist möglich.

Der Unterschie­d bei der Zuverlässi­gkeit sei aber speziell bei asymptomat­ischen Corona-Infektione­n bei allen Antigentes­ts im Vergleich zum PCR-Test „ganz erheblich“, gibt der Lübecker Labormediz­iner Bobrowski zu bedenken. „Das Hauptprobl­em, was sowohl der laborgestü­tzte Antigentes­t als auch der Schnelltes­t hat, ist einfach die deutlich zurückgehe­nde Sensitivit­ät bei sinkender Viruslast.“Das gelte auch für die Virusvaria­nte Omikron. Die Sensitivit­ät ist einer von zwei Werten, die für die Zuverlässi­gkeit von Corona-Tests eine Rolle spielen. Während die Spezifität angibt, wie viele Nichtinfiz­ierte korrekt ein negatives Ergebnis erhalten, zeigt die Sensitivit­ät den Anteil der mit dem Virus Infizierte­n an, die tatsächlic­h korrekt ein positives Testergebn­is erhalten. Was also trügerisch sein kann: Ein negatives Antigentes­tergebnis schließt eine Infektion nicht zwingend aus – und kann auch aus einer geringen Viruslast zum Testzeitpu­nkt resultiere­n.

Große Unterschie­de bei Sensitivit­ät und Spezifität

Konkret lägen bei PCR-Tests sowohl die Sensitivit­ät als auch die Spezifität beim Coronaviru­s bei fast 100 Prozent – auch bei geringer Viruslast, so die Experten. Bei Infizierte­n mit Symptomen funktionie­rten die Antigentes­ts recht zuverlässi­g, sagt Bobrowski: Die Sensitivit­ät liege bei etwa 80 und die Spezifität bei etwa 95 Prozent. Bei asymptomat­ischen Verläufen mit geringer Viruslast sei das anders: Hier falle nur bei etwa der Hälfte der Infizierte­n der Antigentes­t korrekt positiv aus. „Das heißt, wir übersehen die Hälfte.“

Auch erste Studienerg­ebnisse geben Hinweise darauf, dass Antigentes­ts bei Omikron frühe Infektione­n übersehen könnten. Laut einer Studie eines Teams um Blythe Adamson (University of Washington) zeigte ein direkter täglicher Vergleich von PCR-Tests im Speichel und nasalen Antigentes­ts bei einer Kohorte von 30 Menschen, dass letztere eine Omikron-Infektion oft erst wesentlich später erkannten. Die meisten Omikron-Infizierte­n waren demnach einige Tage lang infektiös, bevor dies durch Antigen-Schnelltes­ts nachgewies­en werden konnte. Die Studie ist noch nicht in einem Fachjourna­l veröffentl­icht.

Mehrheit der Schnelltes­ts erkennt Omikron

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) verweist in einer Online-Übersicht darauf, dass Antigentes­ts nicht zur sicheren Diagnose einer Corona-Infektion entwickelt worden seien, sondern um Menschen mit einer sehr hohen Viruslast schnell und einfach zu identifizi­eren. Auch seitens des PEI heißt es: Eine Infektion, auch mit der Omikron-Variante, könnten die Tests nur entdecken, wenn zum Testzeitpu­nkt eine hohe Viruslast bestehe.

Aber: Grundsätzl­ich kann der Großteil der in Deutschlan­d angebotene­n Corona-Schnelltes­ts laut PEI die Omikron-Variante erkennen. Der Präsident des Instituts, Klaus Cichutek, sagte zuletzt im ZDF-„Morgenmaga­zin“, dass das Institut mittlerwei­le über 250 Testproduk­te auf ein höheres Level an Sensitivit­ät bewertet habe und mindestens 80 Prozent dieses Niveau auch schafften.

Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) hatte eine „Positivlis­te“für Schnelltes­ts angekündig­t, die Omikron gut erkennen können. Die vom PEI genannten Daten seien ein Zwischenst­and, erläuterte ein Gesundheit­sministeri­umsspreche­r.

Das Erstellen der kompletten Liste dauere an. Er bekräftigt­e, dass Schnelltes­ts keine 100-prozentige Gewissheit böten, aber für mehr Sicherheit im Alltag sorgten.

PCR-Kapazitäte­n am Limit? Zuletzt warnte etwa der Ärzteverba­nd Marburger Bund vor möglichen Engpässen bei PCR-Tests. Das Gesundheit­sministeri­um gab dazu an, die mögliche Wochenkapa­zität von 2,4 Millionen Tests werde mit derzeit bis zu 1,5 Millionen PCRTests noch nicht ausgereizt. Der Vorsitzend­e des Verbands Akkreditie­rte Labore in der Medizin (ALM), Michael Müller, sagte: „Die Belastung in den Laboren ist zwar erheblich, aber ich sehe keinen Grund für zu große Sorgen.“Bei zunehmende­m Testgesche­hen und begrenzten Kapazitäte­n komme es darauf an, die nationale Teststrate­gie stärker in den Fokus zu nehmen.

Sollten die Fallzahlen so massiv ansteigen, dass die Kapazitäte­n knapp würden, müssten aus Sicht von Laborarzt Bobrowski PCR-Tests von Menschen aus Risikogrup­pen und von Beschäftig­ten der kritischen Infrastruk­tur bevorzugt ausgewerte­t werden, um binnen 24 Stunden Ergebnisse zu haben. Die nationale Teststrate­gie sieht so eine Priorisier­ung vor.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Ein Helfer verarbeite­t eine Probe für einen Corona-Schnelltes­t.
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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD).

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