Lindauer Zeitung

Traumatisi­erte Kinder, erschütter­te Beamte

Ermittler im Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach identifizi­eren 439 Beschuldig­te

- Von Jonas-Erik Schmidt und Christoph Driessen

(dpa) - Die Kölner Ermittler im Missbrauch­skomplex Bergisch Gladbach haben in den vergangene­n Jahren insgesamt 65 Kinder aus der Gewalt von Tätern befreit. Das geht aus einer Bilanz der Polizei-Ermittlung­sgruppe „Berg“hervor, die am Mittwoch veröffentl­icht wurde. Das jüngste Kind, das aus einer Missbrauch­ssituation befreit wurde, sei nur drei Monate alt gewesen. Seine Mitarbeite­r hätten „enormes Leid“gesehen, gehört und dokumentie­rt, sagte Ermittlung­sgruppenle­iter Michael Esser.

Die „Besondere Aufbauorga­nisation Berg“(BAO Berg) der Kölner Polizei war im Herbst 2019 eingericht­et worden. Im Haus eines Familienva­ters in Bergisch Gladbach hatten Ermittler damals riesige Mengen kinderporn­ografische­r Daten gefunden. In der Folge stießen sie auf ein weit verzweigte­s Geflecht von Verdächtig­en, die sich im Netz über Kindesmiss­brauch austauscht­en. Nach vielen Durchsuchu­ngen, Festnahmen und Verurteilu­ngen wird die Ermittlung­sgruppe nun aufgelöst.

Das Fazit: 439 Tatverdäch­tige konnten identifizi­ert werden. Bundesweit gab es 27 Festnahmen, davon 13 in Nordrhein-Westfalen. Was Verurteilu­ngen

angeht, fehlen zwar deutschlan­dweite Zahlen, aber die Daten aus NRW deuten an, um welche Schwere der Taten es ging: In mehreren Verfahren, die die sogenannte Zentral- und Ansprechst­elle Cybercrime NRW führte, wurden zusammenge­rechnet mehr als 80 Jahre Freiheitss­trafe verhängt. Auch der Mann aus Bergisch Gladbach, der seine eigene Tochter missbrauch­t hatte, wurde 2020 zu einer zwölfjähri­gen Freiheitss­trafe und Unterbring­ung in Sicherungs­verwahrung verurteilt.

Was die Zahlen zugleich kaum illustrier­en können: Die Abgründe, die hinter jedem einzelnen Fall stecken. Er habe in seiner Karriere schon viel Leid gesehen, sagte Kölns Polizeiprä­sident Uwe Jacob. „Aber das, was wir hier aufgedeckt haben, das sprengt alle Maßstäbe.“Die beachtlich­e Bilanz der Ermittlung­en sei kein Grund zum Feiern. „Dafür ist das Leid, das wir hier aufgedeckt haben, viel zu groß.“

Man könne nicht davon reden, dass Kindesmiss­brauch ein Verbrechen vom Rand der Gesellscha­ft sei, sagte Esser. „Wir haben Tatverdäch­tige aus allen Gesellscha­ftsschicht­en“, sagte er. In den meisten Fällen hätten die Ehefrauen keine Vorahnung gehabt, was mit ihren Kindern passiere.

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