Das Leben kennt kein Happy End
Mit „Ein Sohn der Stadt“erscheint der zweite Roman des Amerikaners Kent Haruf endlich auf Deutsch
Es schwingt schon eine gewisse Tragik mit: Seinen letzten Roman „Unsere Seelen bei Nacht“konnte Kent Haruf (1943-2014) gerade noch zu Ende bringen. Mit dem Sauerstoffgerät schleppte er sich jeden Tag in seinen Schreibschuppen im Garten. Die Veröffentlichung des Buches aber, das sein größter Erfolg werden sollte, erlebte er nicht mehr mit. Ganz zu schweigen von der Verfilmung 2017 mit Robert Redford und Jane Fonda in den Hauptrollen.
Bis zu seinem Tod kannte in Deutschland so gut wie niemand Kent Haruf, der gerade mal sechs Romane geschrieben hat, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado spielen. So wie William Faulkner, den er bewunderte, sich mit Yoknapatawpha County einen eigenen Landstrich erfunden hatte, schuf auch Kent Haruf sich eine eigene kleine Welt. Und es ist ein Glück, dass sie endlich auch hierzulande entdeckt werden kann, nachdem der Diogenes Verlag einen Roman nach dem anderen in einer Übersetzung herausbringt. Vier sind schon erschienen. Jetzt folgt mit „Ein Sohn der Stadt“Kent Harufs zweiter Roman, der im Original („Where You Once Belonged“) 1990 erschienen ist. Ein Buch, das richtig Spaß macht.
Die Kleinstadt Holt gerät in Aufruhr als eines Tages der legendäre Jack Burdette zurückkehrt und demonstrativ in einem roten Cadillac in der Main Street parkt. Ganze acht Jahre
war er vom Erdboden verschwunden, nachdem er die Farmer-Kooperative um 150 000 Dollar erleichtert hatte. Alle sind sauer, weil sie um ihr Geld betrogen worden sind. Und auf einmal ist Jack wieder da. Was hat er vor? Muss seine Ehefrau Jesse, die er schwanger mit zwei Kindern sitzen ließ, und die seitdem das Leben einer Geächteten in der kleinen Gemeinde führt, etwas befürchten?
Mit der Gelassenheit eines erfahrenen Schriftstellers gibt Kent Haruf, der als Angehöriger des Peace Corps in der Türkei Englisch unterrichtete und später als Lehrer an einer Highschool sowie als Dozent für Literatur arbeitete, in seinem zweiten Roman nur ganz allmählich Einblick in die Ereignisse. Es ist erstaunlich, was für unterschiedliche Geschichten er der Kleinstadt Holt eingeschrieben hat. Keines seiner Bücher gleicht dem anderen. Er schreibt nicht so actionreich wie Cormac McCarthy und nicht so gelassen wie Castle Freeman. Irgendwo dazwischen reiht er sich ein.
Mit wenigen Strichen zeichnet er die Charaktere, die nie nur gut oder böse sind. Liebevoll führt er die Bewohner der Kleinstadt mit all ihren Stärken und Schwächen vor und hält bis zum Schluss die Spannung. Einmal mehr zeigt er, dass das Leben kein Happy End kennt. Warum? Das wird nicht verraten.
Kent Haruf: Ein Sohn der Stadt,
Diogenes, 288 Seiten, 24 Euro