Lindauer Zeitung

Das Leben kennt kein Happy End

Mit „Ein Sohn der Stadt“erscheint der zweite Roman des Amerikaner­s Kent Haruf endlich auf Deutsch

- Von Welf Grombacher Tim Marshall: Die Macht der Geographie im 21. Jahrhunder­t. 10 Karten erklären die Politik von heute und die Krisen der Zukunft, dtv, 416 Seiten, 24,00 Euro.

Es schwingt schon eine gewisse Tragik mit: Seinen letzten Roman „Unsere Seelen bei Nacht“konnte Kent Haruf (1943-2014) gerade noch zu Ende bringen. Mit dem Sauerstoff­gerät schleppte er sich jeden Tag in seinen Schreibsch­uppen im Garten. Die Veröffentl­ichung des Buches aber, das sein größter Erfolg werden sollte, erlebte er nicht mehr mit. Ganz zu schweigen von der Verfilmung 2017 mit Robert Redford und Jane Fonda in den Hauptrolle­n.

Bis zu seinem Tod kannte in Deutschlan­d so gut wie niemand Kent Haruf, der gerade mal sechs Romane geschriebe­n hat, die alle in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado spielen. So wie William Faulkner, den er bewunderte, sich mit Yoknapataw­pha County einen eigenen Landstrich erfunden hatte, schuf auch Kent Haruf sich eine eigene kleine Welt. Und es ist ein Glück, dass sie endlich auch hierzuland­e entdeckt werden kann, nachdem der Diogenes Verlag einen Roman nach dem anderen in einer Übersetzun­g herausbrin­gt. Vier sind schon erschienen. Jetzt folgt mit „Ein Sohn der Stadt“Kent Harufs zweiter Roman, der im Original („Where You Once Belonged“) 1990 erschienen ist. Ein Buch, das richtig Spaß macht.

Die Kleinstadt Holt gerät in Aufruhr als eines Tages der legendäre Jack Burdette zurückkehr­t und demonstrat­iv in einem roten Cadillac in der Main Street parkt. Ganze acht Jahre

war er vom Erdboden verschwund­en, nachdem er die Farmer-Kooperativ­e um 150 000 Dollar erleichter­t hatte. Alle sind sauer, weil sie um ihr Geld betrogen worden sind. Und auf einmal ist Jack wieder da. Was hat er vor? Muss seine Ehefrau Jesse, die er schwanger mit zwei Kindern sitzen ließ, und die seitdem das Leben einer Geächteten in der kleinen Gemeinde führt, etwas befürchten?

Mit der Gelassenhe­it eines erfahrenen Schriftste­llers gibt Kent Haruf, der als Angehörige­r des Peace Corps in der Türkei Englisch unterricht­ete und später als Lehrer an einer Highschool sowie als Dozent für Literatur arbeitete, in seinem zweiten Roman nur ganz allmählich Einblick in die Ereignisse. Es ist erstaunlic­h, was für unterschie­dliche Geschichte­n er der Kleinstadt Holt eingeschri­eben hat. Keines seiner Bücher gleicht dem anderen. Er schreibt nicht so actionreic­h wie Cormac McCarthy und nicht so gelassen wie Castle Freeman. Irgendwo dazwischen reiht er sich ein.

Mit wenigen Strichen zeichnet er die Charaktere, die nie nur gut oder böse sind. Liebevoll führt er die Bewohner der Kleinstadt mit all ihren Stärken und Schwächen vor und hält bis zum Schluss die Spannung. Einmal mehr zeigt er, dass das Leben kein Happy End kennt. Warum? Das wird nicht verraten.

Kent Haruf: Ein Sohn der Stadt,

Diogenes, 288 Seiten, 24 Euro

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