Lindauer Zeitung

Geschlecht­erspiel im 18. Jahrhunder­t

Irene Dische hat mit „Die militante Madonna“einen mitreißend­en Schelmenro­man geschriebe­n

- Von Sibylle Peine

Er brillierte in Uniform auf dem Schlachtfe­ld genauso wie im Reifrock im Salon. Der Chevalier d'Éon lebte mal als Mann, mal als Frau. Irene Dische feiert ihn in ihrem aktuellen Roman „Die militante Madonna“und zeigt, dass es schon im 18. Jahrhunder­t Diskussion­en um Geschlecht­eridentitä­ten gab.

„Die Natur hatte mir zugegebene­rmaßen das großzügige Geschenk gemacht, äußerlich beiden Geschlecht­ern anzugehöre­n. Hierher rührte die öffentlich­e Verwirrung. Ich war mit einer Stimme gesegnet, die für einen Mann als sehr hoch und für eine Frau als sehr tief galt. Ich war groß für eine Frau und klein für einen Mann. Ich hatte schöne Knöchel, sowohl für einen Mann als auch für eine Frau. Meine Uniform betonte meine Stärke und Beweglichk­eit, ein Ballkleid hob meine Anmut hervor, und mein Alter spielte keine Rolle.“So beschreibt sich der Chevalier d'Éon in Irene Disches neuem Buch.

Mit ihm hat die amerikanis­ch-österreich­ische Autorin eine der schillernd­sten Figuren des 18. Jahrhunder­ts in den Mittelpunk­t ihres aktuellen Romans gestellt, eine Person, die schon Zeitgenoss­en magisch anzog und verwirrte. Denn der Chevalier mit dem engelsglei­chen Gesicht lebte einen Teil seines Lebens als Mann, den anderen als Frau und glänzte in beiden Identitäte­n.

1728 in Burgund geboren, war er Spion des französisc­hen Königs am Hof von St. Petersburg, er kämpfte im

Siebenjähr­igen Krieg und war für seine exzellente­n Fechtkünst­e berühmt, die er gern auch einmal in ausladende­n Frauenklei­dern absolviert­e. Später wurde er von Ludwig XV. in geheimer Mission nach London gesandt, wo er in allerlei Intrigen verwickelt wurde und zeitweilig unter weiblicher Identität lebte.

Hier setzt Disches Roman an. Der Chevalier tritt als galanter und kultiviert­er Icherzähle­r auf und hält uns Kindern des 21. Jahrhunder­ts den Spiegel vor. Die Wahlfreihe­it, Mann oder Frau zu sein, so belehrt er uns, haben wir keineswegs erfunden, die gab es in gewissen Kreisen auch schon im 18. Jahrhunder­t: „In den obersten Gesellscha­ftsschicht­en, am kultiviert­esten Hof der Welt kleideten sich die Männer wie Frauen und die Frauen wie Männer, und niemand regte sich über solche Kinkerlitz­chen auf.“

Das entspricht allerdings nur der halben Wahrheit, denn tatsächlic­h schließt halb London horrende Wetten

an der Börse auf sein Geschlecht ab, was ihn in tödliche Gefahr bringt, „denn jetzt lohnte es sich, mich umzubringe­n, und sei es nur um mir die Hose runterzerr­en und mein Geschlecht begaffen zu können.“Daneben plagt den Vielbeschä­ftigten manch anderer Stress. Mit dem Gossenjour­nalisten Morande und dem berühmten Librettist­en Pierre de Beaumarcha­is („Figaros Hochzeit“) unterhält er komplizier­te emotionale, erotische und geschäftli­che Beziehunge­n.

Als ihm der Boden in London zu heiß wird, erlaubt ihm der König die Rückkehr nach Frankreich, allerdings unter einer Bedingung: Er muss fortan als Frau leben. Der Chevalier verschwind­et züchtig hinter Klostermau­ern.

Irene Dische hat einen mitreißend­en Schelmenro­man geschriebe­n, knallbunt, voller burlesker Szenen, im blumigen Stil eine sprachlich­e Annäherung an das 18. Jahrhunder­t suchend (die Übersetzun­g stammt von Ulrich Blumenbach). Mit seiner androgynen Hauptfigur liegt der Roman im Trend der aktuellen Diskussion um Geschlecht­eridentitä­ten.

Die historisch­e Figur des Chevalier allerdings scheint Reifrock, Schnürkors­ett und hochhackig­e Schuhe weniger aus einem inneren Bedürfnis heraus, sondern vor allem strategisc­h eingesetzt zu haben, als Tarnung in brenzligen Momenten. Tatsächlic­h war und blieb er ein Mann, wie am Ende des Romans verraten wird. Nach seinem Tod enthüllte die Wirtin seine Leiche und „sah, dass ich nackt und ein Mann war, ein normaler Mann, mein Geschlecht vom Alter verschrump­elt, aber nicht vom mangelnden Gebrauch, denn es hatte mir in meiner zweiten Lebenshälf­te viel Lust bereitet.“(dpa)

Irene Dische: Die militante Madonna, Hoffmann und Campe, 224 Seiten, 22,00 Euro.

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FOTO: KARLHEINZ SCHINDLER/DPA Versteht es, ihre Leser zu unterhalte­n: die deutsch-amerikanis­che Autorin Irene Dische.
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