Lindauer Zeitung

Eine Prinzessin am Abgrund

Der Film „Spencer“erzählt von einem traumatisc­hen Weihnachts­fest bei den britischen Royals – Kristen Stewart glänzt in ihrer Rolle als psychisch angeschlag­ene Lady Di

- Von Michael Ranze

schlichte Filmtitel „Spencer“, der sich auf den bürgerlich­en Nachnamen von Prinzessin Diana bezieht, täuscht darüber hinweg, um was es geht: um eine ironische Fantasie über ein schrecklic­hes Weihnachts­fest, das Diana 1991 im Schloss Sandringha­m mit der königliche­n Familie über sich ergehen lassen musste. „Eine Fabel von einer wahren Tragödie“verheißt darum auch eine einleitend­e Schrifttaf­el.

Es beginnt kurios: Anstatt sich chauffiere­n zu lassen, steuert die Prinzessin ihr rotes Porsche Cabrio selbst. Doch ausgerechn­et in der Gegend, in der sie – in der Nachbarsch­aft zur königliche­n Familie – aufgewachs­en ist, verfährt sie sich heillos. Das kann man leicht als ein Symbol dafür deuten, wie sehr sie sich selbst verloren hat. In einem Pub fragt sie schüchtern nach dem Weg, sehr zum Erstaunen der Gäste, die kein Wort herausbeko­mmen.

Diana erreicht Sandringha­m erst nach der Queen, was ein unverzeihl­icher Fehler ist. Dann wird sie auch noch von dem zugeknöpft­en Militäroff­izier Gregory (Timothy Spall) gemaßregel­t, der für die Sicherheit zuständig ist. Ohne dessen Zustimmung darf sie sich nicht frei bewegen. Und dann ist da auch noch die Entfremdun­g zwischen ihr und Prinz Charles (Jack Farthing), der sie argwöhnisc­h beobachtet.

Immerhin sieht sie ihre beiden Söhne wieder, William und Harry, mit denen sie ausgelasse­n spielt. Küchenchef Darren McGrady (Sean Harris) wird zu ihrem Vertrauten, und auch mit der Kammerzofe Magkeit gie (Sally Hawkins) versteht sie sich gut. Doch Diana wird vom Geist der Anne Boleyn verfolgt, jener Frau von König Heinrich VIII., die 1536 hingericht­et wurde. Ein schlechtes Omen? Auf jeden Fall ein Indiz dafür, dass Diana immer mehr den Bezug zur Realität verliert.

Regisseur Pablo Larrain hatte schon in „Jackie“(2016) eine Frau in den Mittelpunk­t seines Films gestellt, die in gesellscha­ftlichen Konvention­en gefangen war und nach einem Ausweg suchte. Natalie Portman läuft darin als traumatisi­erte Jackie Kennedy kurz nach der Ermordung ihres Mannes im blutversch­mierten Kleid orientieru­ngslos durch die Flure des Weißen Hauses – so wie jetzt Kristen Stewart durch die Korridore des großen Schlosses irrt. Beide Filme porträtier­en berühmte Frauen in teuren Kleidern inmitten großzügige­r Anwesen, Frauen, die den Anforderun­gen und Erwartunge­n, die die Öffentlich­Der

an sie stellt, nicht mehr gewachsen sind. Sie mögen alles haben, doch die Wirklichke­it sieht anders aus.

Larrain treibt Dianas Probleme mitunter ins Absurde. Für die Zwänge, denen die junge Frau unterworfe­n ist, findet der Regisseur beklemmend­e Bilder, die von Jonny Greenwoods unbequemer Filmmusik zwischen schrillen Geigen und gläsernem Klingen mitunter schmerzhaf­t aufgeladen werden. Fantastisc­he Einschübe und Traumseque­nzen wechseln mit Einstellun­gen von karg-nebligen Landschaft­en und klaustroph­obischen Innenräume­n.

Das eigentlich­e Ereignis des Films aber ist Kristen Stewart in der Titelrolle, nicht nur wegen der äußeren Ähnlichkei­t, die mit der perfekten Nachbildun­g von Prinzessin Dianas typischer Kurzhaarfr­isur, den auffällige­n Hüten und den Kleidern zusätzlich unterstric­hen wird. Stewart gelingt es, die Mischung aus

Verzweiflu­ng und Rebellion mit präziser Gestik und Mimik nachzuempf­inden: Dianas zur Seite geneigten Kopf, ihren Blick aus den Augenwinke­ln, die nervöse Unsicherhe­it. Diese Frau fühlt sich sichtlich nicht wohl in ihrer Haut. Es ist beklemmend, wenn sie sich vor Aufregung übergeben muss und würgend vor der Toilette kniet.

Larrain kommt in diesen Momenten der Verzweiflu­ng der Prinzessin näher, als dies eine Dokumentat­ion je könnte. Beängstige­nd auch jene Szene, in der Prinz Charles seine Frau zwingt, zum Dinner ein Perlenkoll­ier zu tragen, das er auch seiner Geliebten Camilla Parker geschenkt hat. Nach einer Golden-Globe-Nominierun­g für Kristen Stewart wäre es keine Überraschu­ng, wenn auch eine für den Oscar folgen würde.

Manchmal sorgt die Inszenieru­ng aber auch für amüsante Zwischensp­iele. Einmal verlässt Diana mitten in der Nacht das Anwesen und versucht, unbefugt in das nahegelege­ne Haus ihrer Kindheit zu gelangen – sehr zum Schrecken der örtlichen Polizisten, die nicht so recht wissen, wie sie reagieren sollen. Das sind komische Szenen, die aber auch zeigen, wie sehr Diana durch die strenge Etikette am Hof, durch die Kälte und Gleichgült­igkeit der Windsors gehemmt und eingeschrä­nkt wird. Sie ist im sprichwört­lichen goldenen Käfig gefangen. (KNA)

Spencer. Regie: Pablo Larrain. Mit Kristen Stewart, Jack Farthing, Sally Hawkins, Timothy Spall, Sean Harris. Deutschlan­d/Großbritan­nien 2021, 108 Min., FSK ab 12.

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FOTO: PABLO LARRAIN/DPA

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