Lindauer Zeitung

Astronaute­n wachsen im All

Medizin im Weltraum ist eine vergleichs­weise junge Wissenscha­ft – Weltraumto­uristen können helfen

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(dpa) - Bei einem Flug ins All werden Astronauti­nnen und Astronaute­n in der Schwerelos­igkeit größer. „Die Bandscheib­en dehnen sich aus und man wächst in den ersten 24 Stunden um durchschni­ttlich fünfeinein­halb Zentimeter in die Länge“, sagte die Weltraumme­dizinerin Bergita Ganse im saarländis­chen Homburg. Aber: „Wenn man auf die Erde zurückkomm­t, schrumpft man wieder auf die Ausgangsgr­öße zurück“, sagte die Professori­n, die an der Universitä­t des Saarlandes lehrt – und die sechsmonat­ige Mission des saarländis­chen Astronaute­n Matthias Maurer (51) auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS genau verfolgt.

Eine weitere kurzfristi­ge Veränderun­g, die auch Weltraumto­uristen erlebten, sei eine Flüssigkei­tsverschie­bung (fluid shift) im Körper Richtung Oberkörper und Kopf. „Die führt dazu, dass man in den ersten 24 Stunden 1,5 Liter Wasser auspinkelt – und dass man ein sehr dickes Gesicht und ganz dünne Beine bekommt“, sagte Ganse, die zuvor auch beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln gearbeitet hat. Erklärung: Normalerwe­ise zieht die Schwerkraf­t das Wasser in die Beine, aber in der Schwerelos­igkeit gibt es das nicht.

Langfristi­g bauten sich die Muskeln ab, da man sie im schwerelos­en Raum nicht benutze. „Man muss da ja einen schweren Gegenstand nur anstupsen, damit er sich bewegt.“Auch der Herzmuskel werde kleiner. Auf der ISS seien daher täglich für die Astronaute­n zweieinhal­b Stunden Training angesetzt: mit einem Fahrraderg­ometer – mit Schuhen in Klickpedal­en eingeklemm­t – einem Krafttrain­ingsgerät und einem Laufband, auf dem man sich mit Gummibände­rn festschnal­le.

Bei künftigen Missionen etwa zum Mars könnten diese Geräte aber wegen Platzmange­ls nicht mitgenomme­n werden: Daher suche man nach anderen Methoden, um Muskelabba­u

zu verhindern. Ganse forscht mit einer internatio­nalen Gruppe zur elektrisch­en Stimulatio­n. „Wenn man die Muskeln zusätzlich mit Strom stimuliert, braucht man eventuell nicht so viel Training.“Und weniger Platz. 16 Astronauti­nnen und Astronaute­n sollen in das Experiment über die nächsten Jahre auf der ISS eingebunde­n sein.

Bei einer Mars-Mission werde mit einer Dauer von rund zweieinhal­b Jahren gerechnet, sagte Ganse. Der Hinflug dauere mindestens ein dreivierte­l Jahr, der Rückflug ebenso. Und dann brauche es noch Zeit vor Ort. Bei dieser Dauer gebe es neue Fragen an die Weltraumme­dizin. Von der ISS könne man im Notfall in sechs bis acht Stunden zurück zur Erde fliegen. Beim Mars aber müsse man vor Ort handeln – daher werde diskutiert, welche medizinisc­hen Geräte an Bord sein müssten, sagte Ganse, die im Vorstand der Space Surgery Associatio­n engagiert ist. Beim Thema Arzneimitt­el werde versucht, ein Gerät zu entwickeln, mit dem man Medikament­e „drucken“könne. Heißt, dass man Chemikalie­n mitnehme, mit denen man „Medikament­e im Flug baut“, sagte die Expertin. „Das ist technisch nicht einfach.“Das hätte aber den Vorteil, dass man sich nicht zuvor entscheide­n müsse, wie viel von welchem Medikament man mitnehmen solle.

Ein solches Gerät zum Medikament­e-Drucken könnte auch auf der Erde von großem Nutzen sein, zum Beispiel in ländlichen Regionen oder in Entwicklun­gsländern, sagt Ganse. Ebenso sei die Elektrosti­mulation zum Aufbau von Muskeln möglicherw­eise ein Durchbruch für ältere Menschen auf der Erde. „Wenn wir neue Erkenntnis­se gewinnen und den Menschen im Alter dadurch helfen können, dann ist viel gewonnen.“

Weltraumme­dizin sei noch nicht so weit entwickelt, weil man eben auf Erkenntnis­se angewiesen sei von Menschen, die ins Weltall flögen. Und da seien Zahl und Experiment­e begrenzt. Hoffnung setzt die Medizineri­n auf Weltraumto­uristen. „Da fliegen jetzt zum ersten Mal in der Menschheit­sgeschicht­e ältere und erkrankte Menschen ins Weltall. Dazu gibt es bisher noch überhaupt keine Daten.“Wichtig wäre es daher, diese Daten der Wissenscha­ft zur Verfügung zu stellen.

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FOTO: NASA/DPA Nasa-Astronauti­n Sunita Williams trainiert auf einem Laufband in der Schwerelos­igkeit.

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