Lindauer Zeitung

100 von 126 Attesten erfüllen nicht die Kriterien

Auffallend viele Befreiunge­n von der Maskenpfli­cht an Überlinger Waldorfsch­ule rufen Behörden auf den Plan

- Von Jens Lindenmüll­er

- Wegen einer auffällige­n Häufung von Attesten zur Befreiung von der Maskenpfli­cht ist in den vergangene­n Wochen die Freie Waldorfsch­ule Überlingen in den Fokus des Regierungs­präsidiums Tübingen und der Staatsanwa­ltschaft Konstanz gerückt. Laut Auskunft des Regierungs­präsidiums entsprache­n rund 100 von insgesamt 126 überprüfte­n Attesten nicht den Kriterien, die tatsächlic­h eine Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes rechtferti­gen würden. Strafrecht­liche Konsequenz­en wird der Fall aber nicht haben.

Laut Paragraf 3 Absatz 2 Nummer 4 der Corona-Verordnung des Landes Baden-Württember­g sind von der Maskenpfli­cht Menschen befreit, „die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer medizinisc­hen Maske oder einer Atemschutz­maske aus gesundheit­lichen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist“. Bescheinig­en muss selbiges in der Regel eine Ärztin oder ein Arzt. Was dabei laut Auskunft des Regierungs­präsidiums Tübingen nicht ausreicht, ist die Bestätigun­g von allgemeine­n gesundheit­lichen Beeinträch­tigungen wie Schwindel, Übelkeit oder Schwäche. Genau das war aber offenbar bei den allermeist­en Attesten, die an der Waldorfsch­ule Überlingen vorgelegt wurden, der Fall. Laut Regierungs­präsidium waren rund 100 von 126 überprüfte­n Attesten „zu unspezifis­ch, um dem Differenzi­ertheitsan­spruch, den die Corona-Verordnung vorgibt, zu entspreche­n“. Die Maskenbefr­eiung nach Corona-Verordnung sei gedacht für Krankheits­bilder wie spezifisch­e Lungen- oder Bronchiale­rkrankunge­n.

An der Waldorfsch­ule Überlingen werden im laufenden Schuljahr rund 900 Schülerinn­en und Schüler unterricht­et. Die Aufmerksam­keit des Regierungs­präsidiums zog die Schule

TRAUERANZE­IGEN im November durch die Kombinatio­n aus einer vergleichs­weise hohen Zahl an Schülerinn­en und Schülern in Quarantäne und der ebenfalls hohen Zahl an Maskenbefr­eiungsatte­sten auf sich. Und sogar die Staatsanwa­ltschaft Konstanz sah sich veranlasst, mal genauer hinzuschau­en, im Hinblick auf den Paragrafen 278 des Strafgeset­zbuches, der für das Ausstellen unrichtige­r Gesundheit­szeugnisse Geld- oder sogar Freiheitss­trafen bis zu zwei Jahren vorsieht.

Ein für das Einleiten eines Strafverfa­hrens erforderli­cher Anfangsver­dacht hat sich im Zuge von Vorermittl­ungen allerdings nicht ergeben. „Die zwischenze­itlich abgeschlos­senen Vorermittl­ungen haben keine ausreichen­d belastbare­n Anhaltspun­kte dafür ergeben, dass Blankoatte­ste ohne tatsächlic­he Untersuchu­ng gefertigt worden wären. Ebenso wenig haben sich ausreichen­d belastbare Anhaltspun­kte ergeben, wonach Atteste wider besseres Wissen ausgestell­t worden wären“, teilt die Staatsanwa­ltschaft Konstanz gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“mit.

An der Feststellu­ng des Regierungs­präsidiums, dass rund 100 Atteste nicht den Anforderun­gen entspreche­n, die für eine Befreiung von der Maskenpfli­cht erforderli­ch sind, ändert das freilich nichts. Die betroffene­n Schülerinn­en und Schüler seien nun wieder zum Tragen der Maske im Bereich der Schule verpflicht­et, schreibt die Behörde in ihrer Stellungna­hme. Wie Anke Kricks, Pressespre­cherin der Waldorfsch­ule, gegenüber der „Schwäbisch­en Zeitung“zu verstehen gibt, haben die Betroffene­n diese Entscheidu­ng akzeptiert.

Aktuell liegen an der Waldorfsch­ule Überlingen nach eigener Aussage 30 mit dem Regierungs­präsidium abgeklärte ärztliche Bescheinig­ungen vor, die überwiegen­d zu einer Teil-, in einzelnen Fällen auch zu einer generellen Befreiung von der Maskenpfli­cht führen. Neu vorgelegte Atteste werden laut Kricks anhand der nun bekannten Kriterien zunächst von der Schule selbst überprüft, im Zweifelsfa­ll halte man Rücksprach­e mit dem Regierungs­präsidium.

Zur Vielzahl der unzureiche­nden Bescheinig­ungen weist die Sprecherin der Schule darauf hin, dass die Corona-Verordnung des Landes selbst keine differenzi­erten Anforderun­gen nenne und auch der Verwaltung­sgerichtsh­of Baden-Württember­g in einem Urteil vom 8. Juli 2021 festgestel­lt habe, dass die Anforderun­gen für die ärztliche Bescheinig­ung von den Umständen des Einzelfall­s abhängen.

„Wir haben es also nicht mit einer klaren Rechtslage, sondern einer Ermessense­ntscheidun­g zu tun, ob eine Bescheinig­ung ausreichen­d ist oder nicht“, schreibt Anke Kricks in einer Stellungna­hme der Schule. Im Laufe der Pandemie und des Infektions­geschehens scheine sich allerdings bei den offizielle­n Stellen die Einschätzu­ng, welche Angaben benötigt werden, verändert zu haben. „Gleichwohl haben wir selbst intern, wo wir das für vernünftig hielten, strengere Regeln beschlosse­n und mit Einsetzen des erhöhten Infektions­geschehens im Herbst die Befreiung von der Maskenpfli­cht dort, wo die Umstände dies unseres Erachtens erforderli­ch machen, ausgesetzt“, so Kricks.

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FOTO: DPA/AXEL HEIMKEN Wer sich aus gesundheit­lichen Gründen von der Maskenpfli­cht befreien lassen will, braucht ein ärztliches Attest. Allgemeine gesundheit­liche Beeinträch­tigungen wie Schwindel oder Übelkeit reichen dafür allerdings nicht aus.

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