Nach 3700 Paaren ist Schluss
Wangens Standesamt-Urgestein Walter Martin ist nach 42 Dienstjahren nun im Ruhestand
(sz) - Der langjährige Wangener Standesbeamte Walter Martin hat nach 34 Jahren zum Jahreswechsel das Rathaus verlassen und ist in den Ruhestand gegangen. Er traute während seiner insgesamt 42-jährigen Laufbahn rund 3700 Paare. So porträtiert die Stadt Wangen zum Abschied einen Mann, der jede Menge zu erzählen hat.
Von der Wiege bis zur Bahre begleiten Standesbeamte das Leben von Bürgerinnen und Bürgern. Auch wenn heute die Geburten über das Krankenhaus und Todesfälle über die Bestattungsinstitute gemeldet werden – Standesbeamte wie Walter Martin beurkunden alle diese Fälle und noch viel mehr.
Seine Laufbahn begann Martin mit der Ausbildung in Argenbühl. Damals, nach der Gemeindereform 1972, war er der erste Lehrling im gehobenen Dienst im Eisenharzer Rathaus. Nach Studium und Bundeswehr arbeitete er von 1979 bis 1987 in Kißlegg als Standesbeamter. „Ich habe in dieser Zeit so richtig Geschmack an dem Beruf gefunden. Aber Wangen hat mich immer gereizt“, wird Martin in der Mitteilung der Stadt zitiert. Und so wechselte er im April 1987 ins Wangener Rathaus.
An die 3700 Paare hat Walter Martin im Lauf der Jahre getraut. Schon allein deshalb findet er, sein Beruf sei der schönste der Welt. Für Walter Martin war er noch viel mehr: „Es war meine Berufung.“Vieles habe sich gewandelt im Lauf der Zeit: Anfangs wurde im 15-Minuten-Takt geheiratet. Es war die Zeit, in der die zivile Eheschließung den allermeisten Paaren als ein förmlicher Akt galt, der dann von der kirchlichen Trauung feierlich gekrönt wurde. Sie kamen meist nur mit den Trauzeugen, heißt es von der Stadt weiter.
Inzwischen sei für viele „Hochzeiter“die Eheschließung auf dem Standesamt die einzige Zeremonie, weshalb sie sich auch einen feierlichen Rahmen wünschen. „Viele Paare wollen hier in Wangen heiraten, weil wir so schöne Räume haben“, sagt Martin. So komme denn auch ein Drittel aller Paare von auswärts, um sich in den historischen Räumen das Ja-Wort zu geben.
Diese Räume haben es aber manchmal auch in sich. Denn nicht nur einmal geschah es, dass Paare im Historischen Sitzungssaal im ersten Stock des Rathauses zurückblieben, um sich noch ausgiebig fotografieren zu lassen. Pech, wenn dann die Tür samt altem Schloss so zufällt, dass man wissen muss, wie man es entriegelt. Mehrmals mussten Paare aus dem „Gefängnis“gerettet werden, so die Stadt. Passiert sei nie etwas, sie kamen höchstens etwas verspätet zum eigenen Fest.
„Vor der Pandemie war es keine Seltenheit, dass 100 Gäste einer Eheschließung beiwohnten, samt Chor und Musik“, erzählt Walter Martin. Oft schloss sich dann auch in den Foyers im Rathaus ein Empfang inklusive Catering an. Derzeit sind wegen Corona zehn Personen im Rathaus erlaubt, im Sommer waren es 25, und die Nachfeier findet vor dem Rathaus statt. Verändert habe sich auch die Zahl der Eheschließungen. Waren es 1987 etwa 80 Trauungen, so sind es üblicherweise rund 200 jährlich. Im Pandemie-Jahr 2021 waren es gut 180.
Fragt man Walter Martin nach Besonderheiten, zeigt er sein verschmitztes Lächeln und sagt: „Nein gesagt hat bisher niemand. Aber es ist auch schon vorgekommen, dass Paare zu ihrem Termin nicht erschienen sind.“
Natürlich gab es auch die besonderen Hochzeiten. Zum Beispiel am 8. 8. 2008. An diesem Termin traute Martin parallel mit Oberbürgermeister Michael Lang im Halb-StundenRhythmus insgesamt zwölf Paare, die jeweils mit einem Vierspänner vor dem Rathaus vorgefahren wurden. „Das war ein tolles Bild, das viele Zuschauer anlockte“, erinnert er sich. In die 90er-Jahre fällt eine Trauung, die Funk und Fernsehen und eine riesige Zuschauermenge auf den Marktplatz lockte: Einer der Söhne des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß heiratete eine Wangenerin. „Der damalige Bürgermeister Gerd Locher kam zu mir im Vorfeld und fragte mich, ob ich damit klar komme“, erzählt er. Und lacht erneut.
Trauungen sind die Aufgaben, die den Beruf des Standesbeamten öffentlich machen. Viele andere Aufgaben vollziehen sich am Schreibtisch. „Das internationale Ehe- und Familienrecht ist sehr kompliziert“, erklärt Walter Martin und hat ein Beispiel parat: „Besonders schwierig ist es, wenn Eltern keine Ausweispapiere haben.“
So etwas habe es immer wieder gegeben: „1989, nach der Wende, kamen viele Menschen vietnamesischer Herkunft aus der ehemaligen DDR zu uns – oft ohne Papiere. Oder in der jüngsten Vergangenheit Menschen aus Afrika, Syrien oder Afghanistan. Wenn keine Pässe vorgelegt werden können, dann kann auch keine Identität festgestellt werden und das betrifft dann auch die Geburten.“Es ändere sich beispielsweise dann, wenn so eine Person sich erfolgreich hat einbürgern lassen. Oder die „Ehefähigkeit“werde durch einen Nachweis aus dem Herkunftsland bescheinigt. Da dies unter Umständen umfangreiche Recherchen über die deutsche Botschaft im jeweiligen Land mit sich bringe, sei dann auch immer viel Geduld notwendig.
Zu den ganz sensiblen Themen gehört es, wenn sich Eltern scheiden lassen, die Mutter ihren Mädchennamen wieder annehmen möchte und nun auch gerne hätte, dass die Kinder ihn tragen. „Ich habe da die Menschen vor mir und die Gesetze in meinem Rücken“, sagt der Wangener Standesbeamte im Ruhestand, mit Verweis auf die Aktenschränke im Raum. Spannend sind auch Vornamen. Früher mussten sie eindeutig männlich oder weiblich sein. Heute heißt die Regel: Ein Name muss als Name erkennbar sein. Eine harte Nuss gab es da zu knacken, als ein Kind „Granit“genannt werden sollte. „Wir haben das zunächst nicht erlauben wollen. Aber dann stellte sich heraus, dass im früheren Jugoslawien dieser Name tatsächlich vorkommt. So haben wir es zugelassen“, berichtet Martin.
Er habe länger Dienst getan als notwendig, weil er seinen Beruf mit Leib und Seele lebte. Doch jetzt warten auf ihn neue Aufgaben: Die beiden Enkel werden ihren Opa beschäftigen. Die Männer-Riege seines Sportvereins freut sich weiter auf ihn – nicht nur beim Sport, sondern auch beim Einkehren. Und auch der TSV Ratzenried, dem er 24 Jahre vorstand, hofft auf den Rentner mit Fußball-Leidenschaft.