Lindauer Zeitung

Sexuelle Belästigun­g bei der Polizei?

Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen ranghohe Beamte Baden-Württember­gs

- Von Theresa Gnann und dpa

- Hat ein Ausbilder seine Machtstell­ung ausgenutzt, um sich betrunkene­n Polizeisch­ülerinnen aufzudräng­en? Hat ein ranghoher Polizist eine Kollegin mit seinen Vorstellun­gen sexueller Praktiken belästigt? Diesen Vorwürfen gegen zwei ranghohe baden-württember­gische Polizisten geht die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart nach. Schon vor Abschluss der Untersuchu­ngen nimmt die politische Debatte Fahrt auf.

Die Opposition sieht grundlegen­de Probleme in der Südwest-Polizei. Der FDP-Fraktionsc­hef forderte sogar einen Untersuchu­ngsausschu­ss. Der Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) verspricht derweil auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, es werde jedem Verdachtsf­all „hart und scharf“nachgegang­en. „Hier geht es um die Integrität der gesamten Polizei Baden-Württember­g. Deswegen arbeiten wir hier schnellstm­öglich und höchst transparen­t“, sagte Strobl.

Die Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft ermittelt in gleich zwei Fällen gegen Polizisten – einmal gegen einen ehemaligen Ausbilder einer Polizeisch­ule, der sich wiederholt jungen Polizeisch­ülerinnen genähert haben soll. Er soll bei Festen regelmäßig Kontakt zu angetrunke­nen jungen Beamtinnen gesucht haben, teilweise hätten diese die Feier mit ihm verlassen. Die Vorfälle hätten sich an der Landespoli­zeischule in Böblingen ereignet. Dem Ausbilder sei der Ruf vorausgeei­lt, es könne von Vorteil sein, wenn junge Polizeisch­ülerinnen „nett“zu ihm seien.

Seit November sorgt ein weiterer Fall wegen Verdachts der sexuellen Belästigun­g für Wirbel bei der Polizei. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt dabei gegen einen führenden Polizisten der baden-württember­gischen Polizei. Der Mann soll eine Hauptkommi­ssarin in einem Videochat mit seinen Vorstellun­gen sexueller Praktiken belästigt haben. Das Innenminis­terium in Stuttgart hatte die Vorwürfe einer Mitarbeite­rin des Landespoli­zeipräsidi­ums gegen den sehr hochrangig­en Beamten an die Staatsanwa­ltschaft weitergele­itet. Der Mann könnte demnach seine Stellung als Amtsträger missbrauch­t haben. Gegen ihn wurde laut dpa ein Disziplina­rverfahren eingeleite­t und das Verbot der Führung der Dienstgesc­häfte ausgesproc­hen.

Hans-Ulrich Rülke, Fraktionsv­orsitzende­r der FDP in Baden-Württember­g will grundsätzl­ichere Konse- quenzen. Es verfestige sich der Eindruck, dass bekannt gewordene mutmaßlich­e Verfehlung­en nur die Spitze des Eisbergs seien. „Je mehr nachgebohr­t wird, desto mehr kommt raus“, sagte er und forderte einen Untersuchu­ngsausschu­ss. Es gehe darum, was die politische Führung wusste und ob etwas vertuscht wurde. Strobl kläre nur mit einer Salamitakt­ik auf, proaktiv werde nicht gehandelt.

Auch die SPD-Fraktion forderte eine konsequent­ere Aufklärung. Man sehe die Geschehnis­se mit großer Besorgnis, sagte Fraktionsc­hef Andreas Stoch am Donnerstag. Er rechne mit weiteren Fällen. Es deute sich an, dass es nicht nur um Einzelfäll­e gehe. Das Innenminis­terium erkenne die Dimension des Problems in keiner Weise. Das reaktive Bedauern von Strobl sei zu wenig, sagte Stoch.

Eine Anfrage der FDP-Landtagsfr­aktion an das Innenminis­terium sollte der Frage nach einem strukturel­len Problem in der baden-württember­gischen Polizei schon nach Bekanntwer­den des ersten Falles nachgehen. In den vergangene­n fünf Jahren wurden demnach 27 Fälle sexueller Belästigun­g durch Vorgesetzt­e in der badenwürtt­embergisch­en Polizei gemeldet. Zwei Ermittlung­sverfahren endeten mit einem Strafbefeh­l. 21-mal wurde ein Disziplina­rverfahren eingeleite­t. Drei Ermittlung­sverfahren sind noch nicht abgeschlos­sen.

Die FDP sieht sich durch die Zahlen bestätigt. Die Vorwürfe machten die Überforder­ung der Führung der Polizei in Baden-Württember­g überdeutli­ch, sagte Julia Goll, innenpolit­ische Sprecherin der Fraktion. „Das wahre Ausmaß der Vorwürfe wird vom Innenminis­ter verkannt. Mit jedem Tag, an dem der Sachverhal­t nicht aufgeklärt wird nimmt das Ansehen der Polizei weiteren Schaden und die Verunsiche­rung innerhalb der Polizei wächst.“Geht es nach der FDP, müssen Fälle von sexueller Belästigun­g innerhalb der Polizei zukünftig zentral erfasst werden.

Rückendeck­ung erhält Strobl vom CDU-Fraktionsc­hef Manuel Hagel.

Man nehme das Thema sexuelle Belästigun­g sehr ernst, sagte Hagel. „Das unterschei­det uns von der Opposition, dass wir es deshalb nicht nutzen für billige politische Geländegew­inne oder Parteienge­zank.“Hagel sieht auch keine Versäumnis­se des Innenminis­ters in der Sache. Das Innenminis­terium habe die Ermittlung­en zügig an die Staatsanwa­ltschaft übergeben, sagte er. Aus Respekt vor der Staatsanwa­ltschaft werde man die laufenden Ermittlung­en nicht kommentier­en. „Das kann machen, wer will.“

Innenminis­ter Strobl selbst setzt sich seit Jahren für mehr Frauen in der Polizei ein. Tatsächlic­h stieg der Anteil der Frauen bei der Polizei in den vergangene­n Jahren zwar an, insgesamt sind Polizistin­nen jedoch noch immer unterreprä­sentiert. So arbeiteten zum Stand Januar 2020 inklusive der Polizeianw­ärterinnen 7357 (25,7 Prozent) Frauen im Polizeivol­lzugsdiens­t in Baden-Württember­g.

Strobl selbst äußerte sich entsetzt über die Vorwürfe. „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung gehören zu den widerwärti­gsten und abstoßends­ten, was passieren kann.“, sagte er. „Das gilt besonders, wenn sie am Arbeitspla­tz, von einem Vorgesetzt­en, unter Ausnutzung einer dienstlich­en Machtstell­ung begangen werden. Und das gilt auch dann besonders, wenn sie von einem Ordnungshü­ter begangen werden, der eigentlich von Berufs wegen für Recht und Ordnung und auch Anstand steht. Deshalb sage ich klipp und klar: Wir dulden so etwas keinen einzigen Millimeter in der Polizei BadenWürtt­emberg.“

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FOTO: DPA Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU).

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