Günstiger wohnen
Verbände fordern bezahlbare Mietwohnungen und mehr preiswertes Bauland
- Ein eigenes Bauministerium – damit haben sich die Ampel-Koalitionäre am deutlichsten von der Vorgängerregierung abgesetzt. Es war ein Signal, wie ernst es der Bundesregierung damit ist, den Wohnungsmarkt zu beruhigen. Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund und die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) angehören, hat nachrechnen lassen, wie viel Geld die Koalition in die Hand nehmen müsste, um Wohnen auch für Ärmere wieder bezahlbar zu machen. Insgesamt bräuchte es mindestens sechs Milliarden Euro Fördergelder, so eine Studie des Pestel-Instituts in Hannover. Hier die wichtigsten Hintergründe.
Was haben die Ampel-Koalitionäre versprochen?
Mit der Ankündigung im Koalitionsvertrag, 400 000 neue Wohnungen pro Jahr bauen zu wollen, hat die Bundesregierung einen neuen Maßstab gesetzt. 100 000 von ihnen sollen Sozialwohnungen sein. „Wohnen ist ein Menschenrecht“, sagte die neue Bauministerin Klara Geywitz (SPD) am Donnerstagabend im Bundestag, als sie die großen Linien ihrer Politik vorstellte. Den sozialen Wohnungsbau in den Bundesländern will die Bundesregierung mit einer Milliarde Euro pro Jahr von 2020 bis 2024 unterstützen.
Und was fordern die Verbände? Die staatlichen Fördermittel reichen nach Berechnungen des Pestel-Instituts im Auftrag von „Soziales Wohnen“nicht aus. Wenn lediglich nach dem Gebäude-Energie-Gesetz gebaut würde, müssten Bund und Länder bereits fünf Milliarden Euro für 100 000 Sozialwohnungen zuschießen. Bei höheren Energie-Standards seien sogar 8,5 Milliarden Euro notwendig. Neben den 100 000 in Aussicht gestellten Sozialwohnungen pro Jahr fordern die Verbände zudem 60 000 „bezahlbare“Neubauwohnungen – deren Kaltmiete höchstens bei 8,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche liegen sollte. Dies würde weitere Subventionen in Höhe von ein bis vier Milliarden Euro – je nach Bau- und Klimaschutzstandards – erfordern.
Warum setzt „Soziales Wohnen“die Bundesregierung unter Druck? Nach Angaben des Bündnisses, zu dem auch die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) sowie zwei Verbände der Bauwirtschaft gehören, ist die Lage ärmerer, älterer und/ oder behinderter Menschen auf dem Wohnungsmarkt katastrophal. Die Caritas-Vertreterin Janina Bessenich sprach von einem „sozialen Drama“. In Zahlen stellt sich dieses Drama so dar: Für fast zehn Millionen Menschen mit Behinderung stünden nur eine Million barrierearme Sozialwohnungen in Deutschland zur Verfügung. Nach Angaben des IG-BauVorsitzenden Robert Feiger haben mehr als elf Millionen Mieterhaushalte in Deutschland einen Anspruch auf eine Sozialwohnung – es gebe allerdings nur für jeden zehnten eine entsprechende Wohnung. In Deutschland fallen nach Angaben des Deutschen Städte- und Gemeindebunds jährlich 45 000 Wohnungen aus der Sozialbindung.
Was muss passieren, um den Wohnungsmarkt zu stabilisieren? „Bauen ist die einzige Möglichkeit, um die Mietpreissteigerungen in den
Griff zu bekommen“, sagte PestelStudienleiter Matthias Günther dazu. Wenn die Bundesregierung ihre Ankündigungen einhalte, werde sich der Wohnungsmarkt bis 2025 entspannen. Ein Problem ist jedoch das knappe Bauland in Deutschland – und die damit verbundenen hohen Preise. Das Bündnis fordert daher Bund und Länder, vor allem aber Städte und Gemeinden auf, Bauland für maximal 300 Euro pro Quadratmeter zur Verfügung zu stellen. Ansonsten habe der soziale und bezahlbare Wohnungsbau praktisch keine Chance. Weitere Stellschrauben seien eine von 19 auf sieben Prozent reduzierte Mehrwertsteuer, die im Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung der linearen Abschreibung von zwei auf drei Prozent und eine Sonderabschreibung beim Bau bezahlbarer Wohnungen in Regionen mit Wohnungsmangel.
Wie hat sich der Wohnungsmarkt in den vergangenen Jahren entwickelt?
Laut Pestel-Institut fehlten 2021 noch 450 000 Wohnungen, im Jahr zuvor waren es noch 540 000. Diese Zahlen sagen aber wenig über die Probleme in den unterschiedlichen Regionen aus. Während es im gesamten Osten – mit Ausnahme des Großraums Berlin – zu viel Wohnraum gibt, sieht die Karte im Westen Deutschlands ganz anders aus. Dort ist die Nachfrage auch in wirtschaftsstarken, ländlichen Gebieten wie dem Kreis Ravensburg sehr viel größer als das Angebot. Dass der Bedarf nach Wohnraum stärker gestiegen ist, als es die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland erwarten ließ, liegt auch den Haushaltsgrößen. Die Zahl der Menschen, die gemeinsam unter einem Dach leben, sinkt seit Jahren kontinuierlich.
Wie hat sich die Baubranche während der Corona-Pandemie entwickelt?
Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ist das nominale Bauvolumen wegen der sprunghaft gestiegenen Preise im vergangenen Jahr um zehn Prozent auf einen historischen Höchstwert von 488 Milliarden Euro geklettert. Preisbereinigt sei für 2022 und 2023 mit einem Zuwachs von jeweils rund drei Prozent zu rechnen.