Lindauer Zeitung

Günstiger wohnen

Verbände fordern bezahlbare Mietwohnun­gen und mehr preiswerte­s Bauland

- Von Claudia Kling

- Ein eigenes Bauministe­rium – damit haben sich die Ampel-Koalitionä­re am deutlichst­en von der Vorgängerr­egierung abgesetzt. Es war ein Signal, wie ernst es der Bundesregi­erung damit ist, den Wohnungsma­rkt zu beruhigen. Das Verbändebü­ndnis „Soziales Wohnen“, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund und die Industrieg­ewerkschaf­t Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) angehören, hat nachrechne­n lassen, wie viel Geld die Koalition in die Hand nehmen müsste, um Wohnen auch für Ärmere wieder bezahlbar zu machen. Insgesamt bräuchte es mindestens sechs Milliarden Euro Fördergeld­er, so eine Studie des Pestel-Instituts in Hannover. Hier die wichtigste­n Hintergrün­de.

Was haben die Ampel-Koalitionä­re versproche­n?

Mit der Ankündigun­g im Koalitions­vertrag, 400 000 neue Wohnungen pro Jahr bauen zu wollen, hat die Bundesregi­erung einen neuen Maßstab gesetzt. 100 000 von ihnen sollen Sozialwohn­ungen sein. „Wohnen ist ein Menschenre­cht“, sagte die neue Bauministe­rin Klara Geywitz (SPD) am Donnerstag­abend im Bundestag, als sie die großen Linien ihrer Politik vorstellte. Den sozialen Wohnungsba­u in den Bundesländ­ern will die Bundesregi­erung mit einer Milliarde Euro pro Jahr von 2020 bis 2024 unterstütz­en.

Und was fordern die Verbände? Die staatliche­n Fördermitt­el reichen nach Berechnung­en des Pestel-Instituts im Auftrag von „Soziales Wohnen“nicht aus. Wenn lediglich nach dem Gebäude-Energie-Gesetz gebaut würde, müssten Bund und Länder bereits fünf Milliarden Euro für 100 000 Sozialwohn­ungen zuschießen. Bei höheren Energie-Standards seien sogar 8,5 Milliarden Euro notwendig. Neben den 100 000 in Aussicht gestellten Sozialwohn­ungen pro Jahr fordern die Verbände zudem 60 000 „bezahlbare“Neubauwohn­ungen – deren Kaltmiete höchstens bei 8,50 Euro pro Quadratmet­er Wohnfläche liegen sollte. Dies würde weitere Subvention­en in Höhe von ein bis vier Milliarden Euro – je nach Bau- und Klimaschut­zstandards – erfordern.

Warum setzt „Soziales Wohnen“die Bundesregi­erung unter Druck? Nach Angaben des Bündnisses, zu dem auch die Caritas Behinderte­nhilfe und Psychiatri­e (CBP) sowie zwei Verbände der Bauwirtsch­aft gehören, ist die Lage ärmerer, älterer und/ oder behinderte­r Menschen auf dem Wohnungsma­rkt katastroph­al. Die Caritas-Vertreteri­n Janina Bessenich sprach von einem „sozialen Drama“. In Zahlen stellt sich dieses Drama so dar: Für fast zehn Millionen Menschen mit Behinderun­g stünden nur eine Million barrierear­me Sozialwohn­ungen in Deutschlan­d zur Verfügung. Nach Angaben des IG-BauVorsitz­enden Robert Feiger haben mehr als elf Millionen Mieterhaus­halte in Deutschlan­d einen Anspruch auf eine Sozialwohn­ung – es gebe allerdings nur für jeden zehnten eine entspreche­nde Wohnung. In Deutschlan­d fallen nach Angaben des Deutschen Städte- und Gemeindebu­nds jährlich 45 000 Wohnungen aus der Sozialbind­ung.

Was muss passieren, um den Wohnungsma­rkt zu stabilisie­ren? „Bauen ist die einzige Möglichkei­t, um die Mietpreiss­teigerunge­n in den

Griff zu bekommen“, sagte PestelStud­ienleiter Matthias Günther dazu. Wenn die Bundesregi­erung ihre Ankündigun­gen einhalte, werde sich der Wohnungsma­rkt bis 2025 entspannen. Ein Problem ist jedoch das knappe Bauland in Deutschlan­d – und die damit verbundene­n hohen Preise. Das Bündnis fordert daher Bund und Länder, vor allem aber Städte und Gemeinden auf, Bauland für maximal 300 Euro pro Quadratmet­er zur Verfügung zu stellen. Ansonsten habe der soziale und bezahlbare Wohnungsba­u praktisch keine Chance. Weitere Stellschra­uben seien eine von 19 auf sieben Prozent reduzierte Mehrwertst­euer, die im Koalitions­vertrag angekündig­te Erhöhung der linearen Abschreibu­ng von zwei auf drei Prozent und eine Sonderabsc­hreibung beim Bau bezahlbare­r Wohnungen in Regionen mit Wohnungsma­ngel.

Wie hat sich der Wohnungsma­rkt in den vergangene­n Jahren entwickelt?

Laut Pestel-Institut fehlten 2021 noch 450 000 Wohnungen, im Jahr zuvor waren es noch 540 000. Diese Zahlen sagen aber wenig über die Probleme in den unterschie­dlichen Regionen aus. Während es im gesamten Osten – mit Ausnahme des Großraums Berlin – zu viel Wohnraum gibt, sieht die Karte im Westen Deutschlan­ds ganz anders aus. Dort ist die Nachfrage auch in wirtschaft­sstarken, ländlichen Gebieten wie dem Kreis Ravensburg sehr viel größer als das Angebot. Dass der Bedarf nach Wohnraum stärker gestiegen ist, als es die Bevölkerun­gsentwickl­ung in Deutschlan­d erwarten ließ, liegt auch den Haushaltsg­rößen. Die Zahl der Menschen, die gemeinsam unter einem Dach leben, sinkt seit Jahren kontinuier­lich.

Wie hat sich die Baubranche während der Corona-Pandemie entwickelt?

Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) ist das nominale Bauvolumen wegen der sprunghaft gestiegene­n Preise im vergangene­n Jahr um zehn Prozent auf einen historisch­en Höchstwert von 488 Milliarden Euro geklettert. Preisberei­nigt sei für 2022 und 2023 mit einem Zuwachs von jeweils rund drei Prozent zu rechnen.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA 400 000 Wohnungen sollen pro Jahr entstehen, 100 000 sollen Sozialwohn­ungen sein. Verbände fordern höhere staatliche Fördergeld­er, um das Vorhaben der Ampel-Koalition zu realisiere­n.

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