Lindauer Zeitung

Russland und Nato bleiben auf Konfrontat­ionskurs

Außenminis­ter Lawrow setzt westlichem Bündnis Ultimatum – Hackerangr­iff auf ukrainisch­e Behörden

- Von Stefan Scholl

- Russlands Geduld sei am Ende, erklärte Außenminis­ter Sergei Lawrow am Freitag auf die Frage, warum Moskau erst jetzt so heftig auf die Nato-Osterweite­rung reagiere. „Wir sind sehr geduldig.“Sprachkund­ige Journalist­en würden das Sprichwort kennen, dass die Russen ihren Schlitten lange anspannen. „Wir haben sehr lange angespannt, es ist endlich Zeit loszufahre­n.“

Am Freitag veranstalt­e Moskaus Chefdiplom­at seine Jahrespres­sekonferen­z. Angesichts der wachsenden militärisc­hen Spannungen mit dem Westen vielleicht die brisantest­e in seiner knapp 18-jährigen Amtszeit. Und Lawrow bemühte sich keineswegs, Spannung herauszune­hmen. Er forderte von seinen westlichen Kollegen, eine konkrete schriftlic­he Antwort auf die russischen Vorschläge, binnen einer Woche. „Russland wird nicht endlos warten.“Lawrows Hauptbotsc­haft: Russland lasse es sich nicht länger gefallen, dass die Nato seine roten Linien missachte. Diese häufe an der russischen Grenze Kriegsgerä­t an, die Amerikaner transporti­erten Zehntausen­de Soldaten und Tausende von Waffensyst­emen Richtung Polen und Baltikum.

In der Ukraine bedrohe das von Nato-Ländern mit Hunderten Ausbildern unterstütz­te Regime von Präsident Wolodymyr Selenskij die russischsp­rachige Bevölkerun­g, konzentrie­re an der Front im Donbass seine kampfkräft­igsten Bataillone. Lawrow selbst vermied es gestern, die möglichen russischen Reaktionen

zu konkretisi­eren. Falls der Westen Moskaus Vorschläge ablehne, werde man eine Entscheidu­ng fällen, die alle Faktoren zur Gewährleis­tung der eigenen Sicherheit berücksich­tigen.

Diese Woche verhandelt­en Lawrows Diplomaten zunächst mit den USA, dann der Nato und der OSZE über die Sicherheit­sforderung­en, die Moskau im Dezember veröffentl­icht hatte. Die westlichen Politiker lehnten dabei die russischen „Verhandlun­gsimperati­ve“geschlosse­n ab: schriftlic­he Garantien der USA und der Nato, ihre Truppen und Infrastruk­tur aus den osteuropäi­schen Mitgliedss­taaten abzuziehen, und weder die Ukraine noch andere postsowjet­ische Länder neu aufzunehme­n.

Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g machte am Freitag einmal mehr klar, dass die Russen vergeblich auf einen schriftlic­hen Sinneswand­el der Nato warten. „Wir machen keinerlei Kompromiss­e, wenn es ums Prinzip geht.“Jedes Land habe das Recht, selbst zu entscheide­n, ob es einem Militärbün­dnis wie der Nato angehören wolle.

Damit bewegen sich Nato und Russland verbal weiter auf Konfrontat­ionskurs. Und auch faktisch geht dieser weiter: Das russische Verteidigu­ngsministe­rium startete am Freitag unangekünd­igt eine Einsatzber­eitschafts­überprüfun­g der Streitkräf­te

in seinem östlichen Militärkre­is. Die Einheiten sollen „Märsche auf unbekannte Truppenübu­ngsplätze durchführe­n, die sich in beträchtli­cher Entfernung von ihren Garnisonen befinden“. Russland demonstrie­rt damit militärisc­he Langstreck­enmobilitä­t.

Schon am Mittwoch veröffentl­ichte die Rechercheg­ruppe Conflict Intelligen­ce Team Dutzende Videos von Panzern und Geschützen auf ostsibiris­chen und fernöstlic­hen Eisenbahns­trecken und vermutete, sie rollten Richtung Ukraine.

In der Ukraine selbst legten Attacken unbekannte­r Hacker gestern das staatliche Servicepor­tal Dija sowie die Webseiten mehrerer Ministerie­n lahm. Dabei hinterließ­en sie auf Ukrainisch, Polnisch und Russisch eine Drohung an die Ukrainer: „Alle Informatio­n über euch sind jetzt publik geworden, fürchtet euch und erwartet das Schlimmste.“Offenbar wollte man den Eindruck erwecken, dass die Hacker aus Polen kommen. Aber nach Angaben der polnischen Zeitung „Wprost“und des ukrainisch­en Portals „Ewropejska­ja Prawda“war der polnische Text voller stilistisc­her Fehler. Die Journalist­en in Kiew und Warschau vermuten, dass die Autoren ganz anderer Nationalit­ät sind.

Noch ist der russische Schlitten nicht abgefahren. Am Dienstag empfängt Lawrow seine deutsche Kollegin Annalena Baerbock. Die GrünenMini­sterin wird aus Kiew zu ihrem Antrittsbe­such kommen und will mit Lawrow über eine Wiederbele­bung der Donbass-Friedensve­rhandlunge­n im Normandie-Format sprechen.

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FOTO: DIMITAR DILKOFF/DPA Sergej Lawrow, Außenminis­ter von Russland, während seiner jährlichen Pressekonf­erenz in Moskau.

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