Kongress ohne Teilnehmer
Wegen Corona fällt das Weltwirtschaftsforum zum zweiten Mal aus – Überlebt sich das Treffen der Mächtigen?
- Der Schweizer Skiort Davos bleibt auch dieses Jahr von der Globalisierung verschont. Jedenfalls von dem zusätzlichen Andrang aus allen Teilen der Welt, der normalerweise im Januar über das Städtchen hereinbricht. Die Hotellerie findet das schlecht, aber wegen der CoronaVariante Omikron blieb den Veranstaltern des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum – WEF) wohl keine andere Wahl, als den traditionellen Kongress nach 2021 zum zweiten Mal abzusagen. Steckt das WEF nun in Schwierigkeiten, hat es sich möglicherweise sogar überlebt?
Ein Kongressveranstalter ohne Kongress hat ein Problem. Gerade in diesem Fall: Normalerweise begrüßt der aus Ravensburg stammende WEFChef Klaus Schwab 50 Staats- und Regierungschefs persönlich, wenn er nach Davos einlädt, dazu Dutzende Vorstände der größten Konzerne weltweit. Tausende Journalisten und Reporter berichten. Davos präsentiert sich eine Woche als Gipfel der politisch-ökonomischen Weltelite. Doch jetzt wird erneut wenig veröffentlicht, was zunächst einmal einen empfindlichen Bedeutungsverlust darstellt. Schlimmer noch: Manche frühere Teilnehmer stellen fest, dass es ohne Davos geht – jetzt und vielleicht auch in den nächsten Jahren.
Andererseits sind Managerinnen und Manager ebenfalls Menschen, die soziale Kontakte, persönliche Gespräche, vertrauliche Informationen vermissen und ihr altes Leben zurückhaben wollen. Wenn der Kongress vielleicht in diesem Frühjahr oder Januar 2023 stattfindet, werden wieder viele Leute kommen. Wie zahlreich, muss sich zeigen.
Auch betriebswirtschaftlich bedeutet die Absage einen herben Verlust. 2021 sank der Umsatz des WEF im Vergleich zum Vorjahr um etwa 14 Prozent auf rund 315 Millionen Schweizer Franken (300 Millionen Euro). Verantwortlich dafür waren vor allem die ausgebliebenen Teilnahmegebühren und geringeren Mitgliedsbeiträge der Unternehmen, die das Forum tragen. Trotzdem verfügt die Organisation laut eigenem Finanzbericht über Reserven von mindestens um die 200 Millionen Franken.
Durch die Absage der Kongresse ist sie vorerst nicht existenziell gefährdet.
Schwierig für das WEF gestaltet sich die Weltlage. Die Organisation wurde groß im Zuge der Globalisierung. Sie befürwortet wachsenden Welthandel und setzt sich im Prinzip für offene Märkte ein. Beides funktioniert jetzt jedoch schlechter als früher. Der Welthandel lahmt, die großen Machtblöcke China, USA, Russland und Europa entfernen sich voneinander. Ob die Freunde der Globalisierung von der Tendenz zur Deglobalisierung profitieren, bleibt abzuwarten. Allerdings lässt sich das Argument herumdrehen: Gerade politische und ökonomische Probleme können zusätzlichen Gesprächsbedarf generieren, für den Davos eine Plattform bieten mag.
Ähnliches gilt für die Kritik, die das Weltwirtschaftsforum auf sich zieht. Inspiriert von Schwabs Buch „The Great Reset“(deutsch „Der große Neustart“) behaupten rechte Globalisierungskritiker, die im WEF zusammengeschlossenen Konzerne verfolgten einen Masterplan zur Umgestaltung der Welt. Schwächt dieser Angriff die Organisation? Unklar.
Von der Auseinandersetzung mit der linken globalisierungskritischen Bewegung in den 2000er-Jahren hat Davos profitiert. Der Kongress wurde größer, vielgestaltiger, das WEF insgesamt einflussreicher. Rechte und linke Kritikerinnen und Kritiker widersprechen sich zwar in vielen Punkten, in gewissen Teilen ihrer Analysen liegen sie jedoch nah beieinander – und auch nicht ganz falsch. Mittlerweile ist das WEF nicht mehr in erster Linie ein Kongressveranstalter, sondern eine Lobbyorganisation, die die Interessen der weltgrößten Unternehmen an die Politik heranträgt.
Ein Beispiel für solche Aktivitäten, die kaum vom Radar der Öffentlichkeit erfasst werden, ist die 2019 abgeschlossene Partnerschaftsvereinbarung zwischen den Vereinten Nationen und dem Weltwirtschaftsforum. Dabei geht es vor allem um die Kooperation zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele. Man kann den Text allerdings auch so lesen: „Die Weltbehörde gewährt den durchs WEF vertretenen Konzernen direkten Zugang zu vielen relevanten Gremien und Programmen“, sagt Oliver Classen von der linken, globalisierungskritischen Organisation Public Eye in Zürich.
Im vergangenen Jahr kooperierten die Vereinten Nationen und das WEF im Rahmen des UN-Gipfels für Ernährungssysteme (UNFSS). Positiv betrachtet machten sich die Agrarkonzerne Gedanken, wie zehn Milliarden Menschen zu ernähren seien. Negativ betrachtet bewarb die Industrie ihre großtechnischen Produkte, ohne auf die Interessen der Entwicklungsländer und der dortigen Kleinbauern Rücksicht zu nehmen.
Türen öffnen kann das WEF für seine Mitgliedsunternehmen auch ohne den Kongress in Davos – wenngleich sich die öffentlichen und nicht-öffentlichen Aktivitäten im besseren Fall gegenseitig befruchten. Vom Weltwirtschaftsforum wird man noch einiges hören. Oder eben auch nicht, obwohl trotzdem etwas passiert.