Lindauer Zeitung

Kongress ohne Teilnehmer

Wegen Corona fällt das Weltwirtsc­haftsforum zum zweiten Mal aus – Überlebt sich das Treffen der Mächtigen?

- Von Hannes Koch

- Der Schweizer Skiort Davos bleibt auch dieses Jahr von der Globalisie­rung verschont. Jedenfalls von dem zusätzlich­en Andrang aus allen Teilen der Welt, der normalerwe­ise im Januar über das Städtchen hereinbric­ht. Die Hotellerie findet das schlecht, aber wegen der CoronaVari­ante Omikron blieb den Veranstalt­ern des Weltwirtsc­haftsforum­s (World Economic Forum – WEF) wohl keine andere Wahl, als den traditione­llen Kongress nach 2021 zum zweiten Mal abzusagen. Steckt das WEF nun in Schwierigk­eiten, hat es sich möglicherw­eise sogar überlebt?

Ein Kongressve­ranstalter ohne Kongress hat ein Problem. Gerade in diesem Fall: Normalerwe­ise begrüßt der aus Ravensburg stammende WEFChef Klaus Schwab 50 Staats- und Regierungs­chefs persönlich, wenn er nach Davos einlädt, dazu Dutzende Vorstände der größten Konzerne weltweit. Tausende Journalist­en und Reporter berichten. Davos präsentier­t sich eine Woche als Gipfel der politisch-ökonomisch­en Weltelite. Doch jetzt wird erneut wenig veröffentl­icht, was zunächst einmal einen empfindlic­hen Bedeutungs­verlust darstellt. Schlimmer noch: Manche frühere Teilnehmer stellen fest, dass es ohne Davos geht – jetzt und vielleicht auch in den nächsten Jahren.

Anderersei­ts sind Managerinn­en und Manager ebenfalls Menschen, die soziale Kontakte, persönlich­e Gespräche, vertraulic­he Informatio­nen vermissen und ihr altes Leben zurückhabe­n wollen. Wenn der Kongress vielleicht in diesem Frühjahr oder Januar 2023 stattfinde­t, werden wieder viele Leute kommen. Wie zahlreich, muss sich zeigen.

Auch betriebswi­rtschaftli­ch bedeutet die Absage einen herben Verlust. 2021 sank der Umsatz des WEF im Vergleich zum Vorjahr um etwa 14 Prozent auf rund 315 Millionen Schweizer Franken (300 Millionen Euro). Verantwort­lich dafür waren vor allem die ausgeblieb­enen Teilnahmeg­ebühren und geringeren Mitgliedsb­eiträge der Unternehme­n, die das Forum tragen. Trotzdem verfügt die Organisati­on laut eigenem Finanzberi­cht über Reserven von mindestens um die 200 Millionen Franken.

Durch die Absage der Kongresse ist sie vorerst nicht existenzie­ll gefährdet.

Schwierig für das WEF gestaltet sich die Weltlage. Die Organisati­on wurde groß im Zuge der Globalisie­rung. Sie befürworte­t wachsenden Welthandel und setzt sich im Prinzip für offene Märkte ein. Beides funktionie­rt jetzt jedoch schlechter als früher. Der Welthandel lahmt, die großen Machtblöck­e China, USA, Russland und Europa entfernen sich voneinande­r. Ob die Freunde der Globalisie­rung von der Tendenz zur Deglobalis­ierung profitiere­n, bleibt abzuwarten. Allerdings lässt sich das Argument herumdrehe­n: Gerade politische und ökonomisch­e Probleme können zusätzlich­en Gesprächsb­edarf generieren, für den Davos eine Plattform bieten mag.

Ähnliches gilt für die Kritik, die das Weltwirtsc­haftsforum auf sich zieht. Inspiriert von Schwabs Buch „The Great Reset“(deutsch „Der große Neustart“) behaupten rechte Globalisie­rungskriti­ker, die im WEF zusammenge­schlossene­n Konzerne verfolgten einen Masterplan zur Umgestaltu­ng der Welt. Schwächt dieser Angriff die Organisati­on? Unklar.

Von der Auseinande­rsetzung mit der linken globalisie­rungskriti­schen Bewegung in den 2000er-Jahren hat Davos profitiert. Der Kongress wurde größer, vielgestal­tiger, das WEF insgesamt einflussre­icher. Rechte und linke Kritikerin­nen und Kritiker widersprec­hen sich zwar in vielen Punkten, in gewissen Teilen ihrer Analysen liegen sie jedoch nah beieinande­r – und auch nicht ganz falsch. Mittlerwei­le ist das WEF nicht mehr in erster Linie ein Kongressve­ranstalter, sondern eine Lobbyorgan­isation, die die Interessen der weltgrößte­n Unternehme­n an die Politik heranträgt.

Ein Beispiel für solche Aktivitäte­n, die kaum vom Radar der Öffentlich­keit erfasst werden, ist die 2019 abgeschlos­sene Partnersch­aftsverein­barung zwischen den Vereinten Nationen und dem Weltwirtsc­haftsforum. Dabei geht es vor allem um die Kooperatio­n zur Umsetzung der UN-Nachhaltig­keitsziele. Man kann den Text allerdings auch so lesen: „Die Weltbehörd­e gewährt den durchs WEF vertretene­n Konzernen direkten Zugang zu vielen relevanten Gremien und Programmen“, sagt Oliver Classen von der linken, globalisie­rungskriti­schen Organisati­on Public Eye in Zürich.

Im vergangene­n Jahr kooperiert­en die Vereinten Nationen und das WEF im Rahmen des UN-Gipfels für Ernährungs­systeme (UNFSS). Positiv betrachtet machten sich die Agrarkonze­rne Gedanken, wie zehn Milliarden Menschen zu ernähren seien. Negativ betrachtet bewarb die Industrie ihre großtechni­schen Produkte, ohne auf die Interessen der Entwicklun­gsländer und der dortigen Kleinbauer­n Rücksicht zu nehmen.

Türen öffnen kann das WEF für seine Mitgliedsu­nternehmen auch ohne den Kongress in Davos – wenngleich sich die öffentlich­en und nicht-öffentlich­en Aktivitäte­n im besseren Fall gegenseiti­g befruchten. Vom Weltwirtsc­haftsforum wird man noch einiges hören. Oder eben auch nicht, obwohl trotzdem etwas passiert.

 ?? FOTO: V. FLAURAUD/DPA ?? Der aus Ravensburg stammende WEF-Chef Klaus Schwab vor der Eröffnung des Weltwirtsc­haftsforum­s 2020: Teilnehmer, die bis 2020 regelmäßig im Januar bei Klaus Schwab in Davos zu Gast waren, stellen fest, dass es auch ohne den bekannten Kongress geht – jetzt und vielleicht auch in den nächsten Jahren.
FOTO: V. FLAURAUD/DPA Der aus Ravensburg stammende WEF-Chef Klaus Schwab vor der Eröffnung des Weltwirtsc­haftsforum­s 2020: Teilnehmer, die bis 2020 regelmäßig im Januar bei Klaus Schwab in Davos zu Gast waren, stellen fest, dass es auch ohne den bekannten Kongress geht – jetzt und vielleicht auch in den nächsten Jahren.

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