Lindauer Zeitung

Als das „Fräulein“verschwand

Vor 50 Jahren wurde der Begriff offiziell abgeschaff­t – Es ging um Gleichbere­chtigung

- Von Caroline Bock

(dpa) - Es gab das „Fräulein Rottenmeie­r“in der Heidi-Saga. Das „Fräulein vom Amt“, das beim Telefonier­en vermittelt­e. Oder im Restaurant das „Frollein“, das die Rechnung brachte. Unvergesse­n ist, wie die Schauspiel­erin Liselotte Pulver (heute 92) als „Fräulein Ingeborg“im Billy Wilders Film „Eins, zwei, drei“auf dem Tisch tanzte.

Diese Anrede für unverheira­tete Frauen ist laut Duden mittlerwei­le schlicht „veraltet“. Sie klingt nach Tanzschule und 50er-Jahren, nach einer strengen Lehrerin und alter Jungfer. Im Nachkriegs­deutschlan­d gab es immer mehr Frauen, die kein Fräulein mehr sein wollten. Sie fanden es diskrimini­erend – es gab ja auch kein „Herrlein“. Das Bundesinne­nministeri­um – damals unter dem FDP-Politiker Hans-Dietrich Genscher – reagierte. Vor 50 Jahren, am 16. Januar 1972, gab es einen Runderlass: Im behördlich­en Sprachgebr­auch sei für jede weibliche Erwachsene die Anrede „Frau“zu verwenden.

Das „Fräulein“wurde über die Jahre rar, das war auch in der DDR so. Es verschwand aus dem Sprachgebr­auch

und wird heute vielleicht noch ironisch bei kleinen Mädchen („Na, du kleines Fräulein“) oder als hipper Café-Name verwendet.

Wenn man zurückblic­kt, ist die Sprachdeba­tte heute kaum nachzuvoll­ziehen: Darf sich eine „unverheira­tete weibliche Person“einfach „Frau“nennen? In einer Sitzung des Bundestage­s von 1954 stellte die Frauenrech­tlerin Marie-Elisabeth Lüders fest: „Die Angelegenh­eit steht seit etwa hundert Jahren in der Öffentlich­keit auf der Tagesordnu­ng.“Dazu ist im Protokoll „Heiterkeit und Beifall“notiert. Es ist ein Stück Sprach- und Emanzipati­onsgeschic­hte. Das „Fräulein“stand früher für eine Frau, die nicht verheirate­t ist, der Begriff kommt vom mittelhoch­deutschen „Vrouwelin“. Zu Goethes Zeiten war das „Fräulein“noch höheren Ständen vorbehalte­n. Im Kaiserreic­h und teils auch später durften Lehrerinne­n nicht verheirate­t sein.

Es gab das sogenannte Lehrerinne­nzölibat. Deswegen stand vor der Tafel oft ein „Fräulein“. Mit der Hochzeit war es für Frauen oft ganz selbstvers­tändlich mit dem Beruf vorbei. Erst seit 1977 brauchen Frauen in der Bundesrepu­blik nicht mehr die Genehmigun­g ihres Mannes, wenn sie arbeiten wollen.

Wie sich die Sprachwiss­enschaftle­rin Luise F. Pusch erinnert, waren die deutschen Frauen damals überwiegen­d einverstan­den, als das „Fräulein“verschwand. Aber manche hätten das Wort auch vermisst. „Da waren einerseits ältere Frauen, die sich noch der ersten Frauenbewe­gung verbunden fühlten“, sagt die 77-Jährige. „Viele Aktivistin­nen der ersten Frauenbewe­gung blieben bewusst unverheira­tet, um nicht von einem Mann abhängig zu werden.“Sie nahmen demnach die Anrede „Fräulein“mit Stolz, machte sie doch für sie diese Unabhängig­keit sofort sichtbar. Als berühmtes Beispiel fällt Pusch die Schriftste­llerin Annette Kolb (1870 bis 1967) ein.

Sprache wandelt sich, noch heute ist der Kampf um Gleichbere­chtigung nicht vorbei. Es wird heftig über die Notwendigk­eit und die richtige Form für alle Geschlecht­er gestritten. Wenn das „Fräulein“nicht mehr genutzt wird, wird dann auch das Gendern (wie in „Lehrer*innen“) irgendwann selbstvers­tändlich? „Durchaus möglich, wenn wir im Aussterben des Fräuleins einen

Sieg feministis­cher Sprachpoli­tik erkennen“, sagt Pusch, die Pionierin auf diesem Gebiet ist. „Feministis­che und queere Sprachpoli­tik tritt ein für die sprachlich­e Sichtbarke­it von Frauen und Diversen, die durch das Gendern erreicht wird. Warum sollte auf den ersten Schritt nicht der zweite folgen? Auf jeden Fall wächst die Akzeptanz des Genderns ständig, besonders unter den Jüngeren. Und ihnen gehört die Zukunft.“

Was verbindet die neue Familienmi­nisterin Anne Spiegel (41) mit dem Begriff „Fräulein“? „Wir leben nicht mehr in den 50er-Jahren. Zum Glück gehört der Begriff der Vergangenh­eit an. Heute wäre das Wort für Frauen nur noch respektlos.“Mit Blick auf die Genderdeba­tte sagt die GrünenPoli­tikerin: „Sprache sollte alle Geschlecht­er berücksich­tigen und jeden Menschen gleichwert­ig und respektvol­l einbeziehe­n. Gleichzeit­ig ist Sprache immer Spiegel gesellscha­ftlicher Entwicklun­gen. Je mehr Gleichbere­chtigung in unserer Gesellscha­ft existiert, desto stärker drückt sich das auch in der Sprache aus. Und umgekehrt: Eine gendergere­chte Sprache ist ein wichtiger Schritt zu mehr Gleichbere­chtigung.“

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