Lindauer Zeitung

Systemrele­vant, aber abgeschobe­n

Wie sich Altenpfleg­er Hussein Abdi Noor aus Altusried gegen eine Abschiebun­g wehrt

- Von Kerstin Futschik

- „Er hat mich um 5 Uhr verzweifel­t angerufen, dass er schon im Auto sitzt“, sagt Rechtsanwa­lt Ulrich Schwab aus Altusried. Er vertritt Hussein Abdi Noor im Asylverfah­ren. Der 23-Jährige, der aus Somalia stammt, wurde nach Frankreich abgeschobe­n. Schwab und Theresia Dauner, Pflegedien­stleiterin des Krankenpfl­egevereins Altusried, können das nicht nachvollzi­ehen. Denn Abdi Noor absolviert eine Ausbildung zum Altenpfleg­ehelfer, möchte Pflegefach­kraft werden. Der Anwalt ist entrüstet: „Leute, die wir dringend brauchen, abzuschieb­en, das ist Wahnsinn.“

Abdi Noor kam im Sommer als Praktikant zum ambulanten Pflegedien­st des Krankenpfl­egevereins. „Er hat sich so geschickt angestellt, war empathisch und hilfsberei­t“, sagt Dauner. „Die Patienten haben ihn in kürzester Zeit angenommen.“Also bot der Pflegedien­st dem jungen Mann einen Ausbildung­splatz an – entspreche­nde Verträge, auch mit der zuständige­n Geschwiste­rScholl-Schule in Leutkirch – wurden geschlosse­n. „Wir waren froh, einen Schüler bekommen zu haben“, sagt die Pflegedien­stleiterin. Jung und männlich – dass sich solche Bewerber finden, sei die Ausnahme. 50 Personen arbeiten beim Krankenpfl­egeverein, alle Frauen.

Abdi Noor habe seine Ausbildung zum Altenpfleg­ehelfer in einer speziellen zweijährig­en Klasse für geflüchtet­e Schüler begonnen. „Nach zwei bis drei Wochen hat die Schule gesagt, er packt locker den normalen Ausbildung­sgang“, sagt Dauner. Denn er spreche sehr gut Deutsch, Französisc­h dagegen nicht. „Wir können es uns nicht erlauben, auch nur eine Pflegekraf­t abzugeben“, betont Dauner mit Blick auf den Fachkräfte­mangel. „Wir arbeiten am Limit.“Erst kürzlich hätten in Altusried und in Legau ambulante Pflegedien­ste wegen Personalma­ngels schließen müssen. Im Dezember hätten sie deshalb viele Hilferufe von Patienten erreicht, die nun übernommen werden wollen.

Noch am Tag der Abschiebun­g schrieb Schwab einen offenen Brief an den Regierungs­präsidente­n von Schwaben, Erwin Lohner. Darin schilderte er die Situation von Abdi

Noor sowie die seiner Auffassung nach rechtswidr­ige Abschiebun­g und bat um eine Rückführun­g.

Die Regierung von Schwaben teilt auf Nachfrage mit, dass das Asylverfah­ren rechtskräf­tig abgeschlos­sen und Abdi Noor seit 2019 ausreisepf­lichtig sei. Nach einer Aus- und unerlaubte­n Wiedereinr­eise habe der 23-Jährige gegenüber deutschen Behörden erklärt, in Frankreich einen Asylantrag gestellt zu haben. Abdi Noor und sein Anwalt bestreiten das.

Die französisc­hen Behörden hätten erklärt, für das Asylverfah­ren zuständig zu sein, schreibt die Regierung weiter. Deshalb habe das Bundesamt für Migration im Mai die Überstellu­ng angeordnet. Für die Ausbildung des jungen Mannes sei keine Erlaubnis erteilt worden. Die Pflegedien­stleiterin betont, dass sie die Unterlagen eingereich­t habe. Doch wenn sie bei der Regierung in Augsburg nachgefrag­te, hieß es, der Fall sei in Bearbeitun­g.

Unterdesse­n fuhren Polizisten den 23-Jährigen an die französisc­he Grenze nach Saarbrücke­n. Abdi Noor erzählt, die Beamten hätten ihn an ihre französisc­hen Kollegen übergeben. „Sie haben gesagt, ich soll einen Zug nach Paris nehmen, Frankreich ist groß, oder nach Deutschlan­d, das ist ihnen egal.“Wegen der Kälte habe er nichts anderes machen können, als zurück nach Altusried zu fahren. „Ich sterbe, wenn ich auf der Straße schlafe.“

Die Regierung von Schwaben teilt mit, dass Rücküberst­ellungen grundsätzl­ich dem von Abdi Noor beschriebe­nen Ablauf folgen. Von den französisc­hen Behörden habe der 23Jährige eine „Sauf-Conduit“, ähnlich der deutschen „Anlaufbesc­heinigung“, ausgehändi­gt bekommen. „Mit dieser wurde er aufgeforde­rt, sich zu der darin angegebene­n Präfektur, vorliegend Paris, zu begeben.“Dieser Aufforderu­ng sei er nicht nachgekomm­en. Rechtsanwa­lt Schwab hat nun einen erneuten Asylantrag gestellt.

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FOTO: MARTINA DIEMAND Hussein Abdi Noor, der aus Somalia stammt, wurde nach Frankreich abgeschobe­n. Jetzt ist er zurück.

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