„Das Beispiel des FC Bayern war fatal“
Fanforscher Lange über schwindendes Interesse, Katar-Aufreger und zunehmenden Fanärger in der Bundesliga
- Es sind die nicht verschwindenden Themen, die die Fußball-Welt aktuell bestimmen: Geisterspiele, moralische Unzulänglichkeiten, Fanwut. Doch anders als in der Vergangenheit könnte nun endgültig ein Band zerreißen, das Fans und Branche über Jahrzehnte verband. Fanforscher Harald Lange (Foto: privat), Professor an der Universität Würzburg, hat mit Felix Alex über die Entwicklungen gesprochen.
Herr Lange, die Bundesliga-Rückrunde startete wieder einmal ohne Zuschauer, auch wenn Konzepte seit über einem Jahr erprobt sind. Der Aufschrei aus der Branche war dieses Mal sehr verhalten. Haben Entscheider und Fans resigniert? Man hat natürlich auch die gesellschaftliche, pandemische Lage im Blick und kann deshalb sehr gut nachvollziehen, dass Menschenansammlungen aktuell zumindest unglücklich wären. Dennoch trifft es Resignation ganz gut und das aus pragmatischen Gründen. Denn was sollen die Clubbosse auch sagen? Würden sie jetzt mit denselben Argumenten daherkommen wie damals, nach dem Motto: Wir brauchen die Fans, sonst gehen zeitnah bei einigen Clubs die Lichter aus, dann würden die Politik und die Öffentlichkeit zu Recht sagen: „Was habt ihr denn in den 1,5 Jahren gemacht?“Die Karte ist also gespielt. Man darf zudem nicht vergessen, dass etwa der FC Bayern München in der Zwischenzeit eine Rekordsumme für einen Trainer bezahlt hat oder der FC Augsburg kürzlich bis zu 18 Millionen für einen Spieler auf den Tisch gelegt hat. Das Schweigen der Clubs ist also beinahe alternativlos.
Und was ist mit den Fans?
Auch bei denen ist es eine Gemengelage aus Einsicht und Resignation. Oftmals nach dem Motto: Wir haben uns damit arrangiert. Zudem hat sich ein großer Teil der Anhänger längst abgewandt. Bis zur Pandemie kam Kritik an der Branche fast nur aus den Kurven. Als es aber plötzlich die Sonderregelungen für den Fußball gab, ist die Kritik gesellschaftlich geworden und viele Eventfans, diejenigen, die nicht so sehr gebunden sind, haben das Interesse verloren.
Einer Studie zufolge hat sich sogar ein Drittel der Fans abgewendet. Liegt das aber nicht schlichtweg daran, dass die Menschen derzeit genug andere Probleme haben? Das haben wir bei der Studie auch erfragt und wirklich haben etwa 90 Prozent der Enttäuschten gesagt, dass sie zurückkehren, sobald wieder alles im Lot ist. Allerdings muss der Fußball dafür seine HausaufgaZeit ben machen und Reformen einleiten – etwa den Sport wieder spannender und attraktiver machen und näher an die Fans herantreten.
Geht es denn nicht vordergründig um Unterhaltung?
Ex-DFL-Chef Christian Seifert hat es ja mal so ausgedrückt, dass die DFL von ihrem Selbstverständnis her ein Medienunternehmen ist. Das ist aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar, aber aus fankultureller Sicht ein Affront, wenn man dieses hohe Kulturgut Fußball auf ein austauschbares Unterhaltungsprodukt reduziert.
Sind in der Zwischenzeit nicht auch Illusionen weggebrochen? Vor der Pandemie hätte man es sich nie vorstellen können, dass auch nur ein kompletter Spieltag als Geisterspieltag ausgetragen wird. Inzwischen ist das Realität. Man könnte sogar eine ganze Spielserie so austragen. Der Profifußball hat den Fans und der Öffentlichkeit eindrucksvoll vorgeführt, dass es auch ohne sie geht. Es ist nun auch dem letzten klar geworden, dass die Banner mit „Der Fußball, das sind wir“der Ultras eine Romantik aus einer vergangenen
sind. Man sieht, dass die Blase Fußball einen selbst nicht braucht und so kommt Distanz rein. Was noch etwas zuversichtlich stimmen könnte ist, dass sich das ganze Spektakel ohne Fans noch skurril anfühlt. Doch es ändert nichts, sondern läuft immer weiter.
Das dürfte vor allem die Ultras treffen, die aktuell aber schweigen. Brodelt es da im Hintergrund? Seltsamerweise haben sie sich sehr zurückgezogen. Die Ultras sind dennoch so etwas wie eine tickende Emotionsbombe, sobald sie wieder in die Stadien reinkommen, wird sich vieles auf das ursprüngliche Level einpendeln. Vor allem werden sie ganz vehement fragen: „Was habt ihr denn die vergangenen 20 Monate gemacht? Ihr wisst, dass der Fußball in Schieflage ist. Wo sind denn die Reformen?“Bis Mitte des Jahres und als die Stadien gefüllt waren, haben die Gruppierungen eine rege Hintergrundpolitik betrieben – man erinnere sich an das Katar-„Blutgeld“-Banner in der Kurve des FC Bayern.
Jener Katar-Sponsorenfrage folgte eine hitzige Mitgliederversammlung, die im Eklat endete und in der es keine Gewinner gab, oder?
Das Beispiel des FC Bayern war fatal. Als Branchenführer mit seinen Mitgliedern bei der Diskussion um Quatar
Airways als Ärmelsponsor so umzugehen, ist desaströs. Geradezu lächerlich, wie man da alle juristischen Tricks ausgespielt hat, um die Meinung derjenigen, die den Verein eigentlich tragen, ignorieren zu können. Bis hin, dass man sich die Blöße gibt und dem Fanantrag auf „Wahrung der Menschenrechte“als Vorstand geschlossen nicht mitträgt und sich dann von den Fans überstimmen lässt. Das ist ein symbolisches Bild, das zeigt, dass „die da oben“die Bindung zu ihrer Basis verloren haben. Das war reine Basta-Politik und ein riesiges PR-Desaster.
Dennoch gab es keinerlei Konsequenzen, keinen wirklichen Lerneffekt beim Club und keinen Sturmlauf der Fans. Warum?
Es gibt aus der banalen Wirtschaftsdenke ja Argumente dafür, an dem Sponsorenvertrag festzuhalten: Karl-Heinz Rummenigge nannte es „gutes Geld“. Das ist aber genau der Punkt. Denn diese Haltung passt überhaupt nicht mehr zum Zeitgeist, vor allem nicht zur nachwachsenden Generation. Es geht nicht mehr nur darum, Profit zu maximieren.
Aber wo war denn der anschließende entrüstende Sturmlauf der jungen Generation?
Sie meinen mit Bannern vor die Allianz Arena ziehen oder Ähnliches? Da wären wir wieder beim Thema Resignation. Wenn es wirklich so wäre, dass die Fans denken, dass es nicht mehr ihr Thema ist und sie nichts ändern können, dann ist das fatal. Das wäre der Worst Case. Eine Fankultur, die nicht einmal mehr zum Protest bereit ist, ist das das Ende des immensen Zuspruchs und damit der Grundlage unserer Fußballkultur. Doch man muss das alles etwas relativieren, immerhin fehlt im Moment die Bühne und die Plattform.
Was kann dem geneigten Fußballfan überhaupt Hoffnung machen? Es sieht nicht gut aus, oder? Die Bundesliga wird langweiliger denn je. Die Bayern werden einen Meistertitel nach dem anderen einfahren und die eigentlichen Probleme des Profifußballs werden nicht angegangen und dann kommen auch noch Großereignisse wie die WM in Katar. Der einzige Lichtblick, wenn man sehr lange sucht, sind die Debatten um Nachhaltigkeit, die jetzt auch in den Lizenzierungsverfahren verankert werden sollen. Hier könnte man hoffen, dass es auch um kulturelle und soziale Nachhaltigkeit geht.
Überspitzt formuliert: Wäre die Winter-WM in Katar nicht die große Chance der Wiederannäherung? Immerhin könnten Aktionen und politische Statements als Aufbruch gewertet werden.
Nein, das Thema ist durch und die deutschen Verantwortlichen wie Oliver Bierhoff sind nur noch hilflos. Die Argumente wie „Wandel durch Annäherung“und Ähnliches sind ausgelutscht und ins Gegenteil verkehrt. Die Phase von Botschaften und Regenbogenarmbinden ist vorbei. Das Einzige, was nun nötig wäre, sind ganz konkrete Taten. Mein Vorschlag ist, dorthin zu fahren und irgendwie das Turnier zu spielen, weil man die Kuh ohnehin nicht mehr vom Eis bekommt.
Und dann?
Anschließend sollte so ein starker Verband wie der DFB dafür sorgen, dass innerhalb der FIFA Initiativen entstehen, die dafür sorgen, dass – und das unterstreiche ich dick – so etwas wie der Fall Katar im Fußball nie wieder vorkommt. Der DFB muss drohen, dass man andernfalls nicht teilnimmt. Und diese Taten müssen sich in Satzungen niederschlagen und nicht nur in Feiertagsreden. Doch dann müsste man das in der Bundesliga wohl auch durchziehen und das wäre eine schmerzhafte Debatte, weil viel Geld verloren gehen würde. Aber für all das bräuchte es Köpfe im DFB, die die Kraft dazu haben. Ein künftiger DFB-Präsident, der im März gewählt wird, hätte jetzt schon damit punkten können, aber auch diese Chance scheint verpasst.