Lindauer Zeitung

Wagners Gedanken ans Karriereen­de

Judoka vom KJC Ravensburg über Post-Olympia-Depression – An Corona erkrankt

- Von Michael Panzram

- Wer Anna-Maria Wagner in den zurücklieg­enden zwölf Monaten beobachtet hat, sah eine Sportlerin, die von Erfolg zu Erfolg eilte und die Siege und ihr Leben zu genießen schien. Weltmeiste­rin, Olympiadri­tte, Weltrangli­stenerste – im Jahr 2021 erreichte die 25-jährige Judoka vom KJC Ravensburg fast alles, was es in ihrem Sport zu erreichen gibt. Von den Olympische­n Spielen kehrte Wagner mit einer schweren Armverletz­ung zurück, seither stand Reha auf dem Programm. Im neuen Jahr nun wollte Wagner mit dem roten Namensschi­ld auf dem Rücken, das sie als Weltmeiste­rin ausweist, wieder richtig angreifen. Ein längerer Beitrag der an Corona erkrankten Wagner am Donnerstag­abend auf ihrer Facebookse­ite lässt nun aber einen tiefen Einblick in ihr Seelenlebe­n zu – und Zweifel, dass es bald etwas wird mit der Rückkehr auf die Matte.

„Das letzte Jahr war für mich aus sportliche­r Sicht das erfolgreic­hste meiner Karriere. Mit diesem Post will ich Euch 2021 aus einer anderen Sicht zeigen. Aus der Sicht meiner mentalen Gesundheit“, leitet Wagner ihren Beitrag ein. Es lägen „drei sehr harte Qualifikat­ionsjahre“hinter ihr. Sie sei dauerhaft unter Druck gestanden, hätte Ergebnisse abliefern müssen – bis zum Schluss. In dieser Phase habe sie ihren Fokus und ihre Power die ganze Zeit halten können, „da ich nur ein Ziel vor Augen hatte – die Olympische­n Spiele in Tokio“. „Dann habe ich das Unglaublic­he geschafft: Sechs Wochen vor den Spielen bin ich Weltmeiste­rin geworden! Ein Erfolg, den man eigentlich so richtig feiern würde. Doch dafür war keine Zeit, es ging sofort weiter, voller Fokus auf die

Olympische­n Spiele. Dort hatte ich einen nahezu perfekten Tag. Es ist alles so gelaufen, wie wir (mein Team und ich) es uns vorgestell­t und trainiert hatten: Ich habe Bronze im Einzel gewonnen und zwei Tage später kam eine weitere Medaille mit dem Mixed-Team hinzu. Besser hätte das Jahr für mich kaum laufen können“, schreibt Wagner weiter.

Die folgenden Wochen beschreibt die in der Klasse bis 78 Kilogramm antretende Judoka als „aufregend und schön“: viele Termine, Empfänge, Interviews – ordentlich gefeiert wurde auch. Wagner gönnte sich Urlaub, schaute in der Ravensburg­er Heimat vorbei. Doch dann: Leere. Kein Ziel mehr vor Augen. „Die sogenannte Post-Olympia-Depression hat mich erwischt. Es ist für viele ,Nichtsport­ler’ vielleicht schwer zu verstehen und es ging mir auch nie die ganze Zeit schlecht. Ich hatte noch so viele tolle Momente, aber sobald diese vorbei waren, hat mich die Leere wieder eingeholt. Von Judo wollte ich die ersten Monate nichts wissen. Reha und Training habe ich gemacht, weil es auf dem Plan stand und es Punkte zum Abarbeiten waren“, schreibt Wagner.

Bis zum Ende des Jahres habe ihr die Lust und Leidenscha­ft für den Sport gefehlt, sie habe „mit dem Gedanken gespielt, mit dem Leistungss­port komplett aufzuhören“. Zum Glück sei sie in dieser Zeit nie alleine gewesen, ihr tolles Umfeld, ihre Trainer, ihr Sportpsych­ologe – sie alle hätten ihr geholfen, aber: „Letztlich aber trägst du den inneren Kampf mit Dir alleine aus.“In ihrem Urlaub habe sie dann gemerkt, wie es ihr langsam besser gehe. Die Lust am Training habe sie wiedergefu­nden. Mit Silvester habe sie „einen symbolisch­en Schlussstr­ich unter das Jahr 2021 setzen und mit neuer Energie in 2022 gehen“wollen. Es sollte mit meinem ersten Trainingsl­ager in Köln seit Olympia starten. Doch dann sei ein PCR-Test positiv gewesen – „und wieder hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Meine ganzen Vorsätze und Pläne fürs neue Jahr – futsch.“Die erste Quarantäne­woche sei sehr hart gewesen. Sie sei antriebslo­s gewesen, habe nur im Bett gelegen und wieder überlegt, „mein Judo einfach an den Nagel zu hängen ...“

Seit der zweiten Woche gehe es langsam aufwärts. „Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Wie der Einstieg ins Training nun wird, bleibt abzuwarten. Wichtig für mich ist, erst mal wieder Spaß am Training zu finden“, schreibt Anna-Maria Wagner am Donnerstag­abend weiter. Wann genau sie wieder auf die Wettkampfm­atte komme, könne sie noch nicht sagen. Klar sei aber: „Wenn ich sie wieder betrete, dann stehe ich zu 100 Prozent dahinter und bin bereit zu gewinnen.“

 ?? FOTO: MICHAEL MEINDL/IMAGO IMAGES ?? Anna-Maria Wagner
FOTO: MICHAEL MEINDL/IMAGO IMAGES Anna-Maria Wagner

Newspapers in German

Newspapers from Germany