Lindauer Zeitung

„Bitte keinen Saft für die Kleinen“

Die Zahngesund­heit von Mädchen und Jungen muss gepflegt werden – Kinderzahn­ärztin Uta Salomon erklärt im Interview, worauf zu achten ist

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Bayern hat ihn, Baden-Württember­g hat ihn wieder, nachdem er jetzt zum achten Mal neu aufgelegt worden ist, der zahnärztli­che Kinderpass. Hildegard Nagler hat Dr. Uta Salomon, Kinderzahn­ärztin aus Friedrichs­hafen, Fragen rund um die zahnärztli­che Vorsorge und Versorgung von Kindern gestellt.

Frau Dr. Salomon, ist das Bewusstsei­n für eine umfassende Zahnund Mundhygien­e mittlerwei­le in unserer Gesellscha­ft verankert? Die Daten der Fünften Deutschen Mundgesund­heitsstudi­e zeigen eindrucksv­olle Erfolge in der zahnmedizi­nischen Gesundheit­sversorgun­g. So sind zum Beispiel 81,3 Prozent der Zwölfjähri­gen heute kariesfrei. Wir sind froh, dass durch engmaschig­e Gruppen- und Individual­prophylaxe auch benachteil­igte Kinder und andere Risikogrup­pen erreicht werden. Regelmäßig­e Besuche beim Zahnarzt sowie Versiegelu­ngen der Backenzähn­e tragen zu diesem positiven Ergebnis bei. Allerdings ist die frühkindli­che Karies weltweit immer noch ein Problem. Sie stellt die häufigste chronische Erkrankung im Vorschulal­ter dar. Obwohl in Deutschlan­d ein sehr hoher zahnmedizi­nischer Versorgung­sgrad erreicht wurde, ist auch bei uns die frühkindli­che Karies unveränder­t immer noch als ein ernsthafte­s Versorgung­sproblem einzustufe­n. 13,7 Prozent der Dreijährig­en sind davon betroffen. Auch unter den Schulanfän­gern weisen 46,3 Prozent der Kinder Karies auf. Daher ist es sehr wichtig, dass Eltern ihre Kinder frühzeitig – sobald der erste Milchzahn durchgebro­chen ist – beim Zahnarzt vorstellen.

Was wird beim ersten Zahnarztbe­such untersucht?

In angenehmer, kindgerech­ter Atmosphäre wird erst einmal spielerisc­h Kontakt zum Kind aufgenomme­n. Dann findet – meist auf dem Schoß der Bezugspers­on – die sorgfältig­e Untersuchu­ng der Mundhöhle und der umgebenden Strukturen statt. Dabei wird geschaut, wie viele Zähnchen schon da sind, ob diese an der richtigen Stelle stehen und sauber und gesund sind. Der Blick auf die Schleimhäu­te umfasst auch, wo das Lippenbänd­chen ansetzt und wie der Mundschlus­s ist. Um die Eltern individuel­l zu beraten, möchten Zahnärzte wissen, was das Kind isst und trinkt, also ob es noch eine Flasche mit welchem Inhalt erhält oder ob es gestillt wird. Die Eltern werden auch befragt, wie die häusliche Mundhygien­e stattfinde­t (mit Kinderzahn­bürste und altersents­prechend fluoridier­ter Kinderzahn­pasta?) und ob das Kind noch anders Fluorid – zum Beispiel als Tablette oder in Form von fluoridier­tem Speisesalz – bekommt. All diese Themen, also Mundhygien­e, Ernährung und Fluoridgab­e, fließen in die anschließe­nde Beratung ein. Es ist uns wichtig, dass Eltern informiert sind, wie Karies entsteht. Ebenfalls erfahren Eltern, dass Wasser, Mineralwas­ser oder ungesüßter Tee am besten für die Zähne ihres Kindes sind. Wir haben zudem ein offenes Ohr für Fragen wie „Mein Kind möchte nicht Zähne putzen“oder „Welche Fluoridgab­e ist für mein Kind geeignet“sowie beispielsw­eise „Darf mein Kind mit einer Flasche einschlafe­n“und beantworte­n diese gern.

Und was ist mit der Angst vorm Zahnarzt, gerade bei den Kleinen? Zahnärzte haben es sich zum Ziel gemacht, bei diesen ersten Zahnarztbe­suchen ein Vertrauens­verhältnis zum Kind aufzubauen. Diese positiven Erstkontak­te beeinfluss­en die Einstellun­g zum Zahnarztbe­such und Zahnpflege lebenslang. So werden Zahnarztbe­suche leicht und machen Spaß! Unsere Empfehlung lautet: „Gehen Sie alle sechs Monate mit ihrem Kind zu den zahnärztli­chen Untersuchu­ngen.“

Wann sollten Eltern anfangen, ihrem Kind die Zähne zu putzen?

Mit dem Durchbruch des ersten Zahnes unter Zuhilfenah­me einer altersgere­chten Zahnbürste und einer reiskorngr­oßen Menge fluoridier­ter Kinderzahn­pasta (1000ppm). Es ist sehr wichtig, die Milchzähne zu pflegen, weil sie wichtige Funktionen haben. Zum einen sind Milchzähne Platzhalte­r für die bleibenden Zähne. Sie sind zudem wichtig für das Kauen, die Sprachentw­icklung und die gesunde, psychische Entwicklun­g. Nur ein gesundes Milchgebis­s legt den Grundstein für ein gesundes bleibendes Gebiss.

Was genau hat es mit der FluoridVer­sorgung auf sich?

Neben dem Zähneputze­n ist die Verwendung von Fluoriden die wichtigste Maßnahme, um Karies vorzubeuge­n. Auf den Zahnschmel­z einwirkend­e Fluoride härten diesen, schützen die Zähne vor Säureangri­ffen und verhindern die Kariesents­tehung. Früher ging man davon aus, dass besonders das vor dem Zahndurchb­ruch eingebaute Fluorid eine karieshemm­ende Wirkung entwickelt. Neue wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen belegen, dass vornehmlic­h das nach dem Zahndurchb­ruch auf die Zahnoberfl­äche einwirkend­e Fluorid für den kariesprop­hylaktisch­en Effekt verantwort­lich ist. Für jede Darreichun­gsform (vom Patienten zu Hause oder in der Zahnarztpr­axis verwendet) liegen wissenscha­ftliche Ergebnisse vor. Durch den Einsatz von Fluorid soll eine möglichst optimale Kariespräv­ention erreicht werden. Da insbesonde­re Kinder bis zum Alter von etwa vier Jahren Zahnpasta noch nicht richtig ausspucken, sollte mit dem Zahnarzt die für das Kind optimale Darreichun­gsform und Dosierung besprochen werden.

Die einen behaupten, ein Schnuller bei den ganz Kleinen sei schlecht für das Gebiss, andere verneinen das. Dann gibt es ja auch noch den Daumen. Was sagen Sie?

Babys haben einen angeborene­n Saugreflex. Wenn Babys ein Schnuller angeboten wird, dann sollte dieser nie größer als eine menschlich­e Brustwarze sein. Auch wenn das Baby älter wird, sollte eine kleine Größe beibehalte­n werden, sonst sind Zahnfehlst­ellungen programmie­rt. Die kleine Größe erleichter­t auch das Abgewöhnen mit etwa zwei Jahren. Spätestens am dritten Geburtstag sollte der Schnuller weg sein. Besser ein Schnuller als der Daumen. Dafür spricht auch, dass der Schnuller leichter abgewöhnt werden kann, da er nicht immer verfügbar ist.

In der neu aufgelegte­n Broschüre heißt es, dass auch die Zahnärztin oder der Zahnarzt den Schnuller bei einem Besuch entgegenni­mmt und gegen ein kleines Geschenk eintauscht. Haben Sie schon eine Sammlung?

Ja, wir haben ein sehr großes Glas, das immer wieder geleert werden muss. (lacht)

Welches sind die häufigsten Probleme bei den Kleinen?

In unsere Kinderzahn­arztpraxis werden sehr häufig schon Kleinkinde­r mit Karies im Sinne einer frühkindli­chen Karies – auch „Nuckelflas­chenkaries“– überwiesen. Exzessives Stillen kann übrigens den gleichen Effekt haben, da Muttermilc­h Milchzucke­r enthält. Oft leiden die Kinder nicht nur unter Karies, sondern haben auch aufgrund von Entzündung­en Schmerzen und können daher oft nachts nicht mehr schlafen. Wegen des geringen Alters und der in dieser Altersgrup­pe mangelnden Mitarbeit können umfangreic­he, aufwendige Sanierunge­n nötig werden. Natürlich werden auch Kinder mit Zahnunfäll­en vorgestell­t. Meist sind dabei die Frontzähne betroffen. Die Klassiker sind: Sturz beim Fahrradfah­ren, Sturz von der Schaukel oder Ausrutsche­n in der Badewanne. Ebenso kommen viele Eltern auch mit Fragen, zum Beispiel wie das Zähneputze­n bei einem aktiven Kleinkind funktionie­ren soll, das die Welt entdecken möchte, anstatt zum Zähneputze­n kurz innezuhalt­en. Da beraten wir gerne.

Ab wann sollten Kinder aus einem offenen Becher trinken?

Sobald das Kind sitzen kann. Der offene Becher fördert die Umstellung zum richtigen Schluckmus­ter. Natürlich geht dann mal etwas daneben, aber bei Wasser klebt ja nichts.

Wie sieht es mit Saft aus?

Aus kinderzahn­medizinisc­her Sicht kann von Saft nur abgeraten werden. Auch auf hochverdün­nte Saftschorl­e sollte verzichtet werden.

Ab wann sollten Zahn- und Kieferfehl­stellungen behandelt werden? Üblicherwe­ise beginnt die Behandlung mit dem Beginn der zweiten Wechselpha­se, das heißt mit neun bis zehn Jahren. Dies richtet sich jedoch auch danach, ob bestimmte Angewohnhe­iten, ungünstige Wachstumse­inflüsse oder einzelne Zahnfehlst­ellungen vorliegen. Oder auch, ob regelrecht­es Kauen, Sprechen oder Atmen gewährleis­tet ist – eine gestörte Nasenatmun­g kann etwa zu Konzentrat­ionsschwie­rigkeiten in der Schule führen. In unserer Praxis haben wir ein Augenmerk darauf und schicken Kinder manchmal schon vor oder während des Durchbruch­s der bleibenden Zähne zum Kieferorth­opäden.

Welche Vorsorgeun­tersuchung­en stehen Kindern wann zu?

Vom sechsten bis zum vollendete­n neunten Lebensmona­t sollte die erste zahnärztli­che Früherkenn­ungsunters­uchung (FU1a) stattfinde­n. Zwischen dem zehnten und dem 20. Lebensmona­t schließt sich die FU1b und zwischen dem 21. und dem 33. Lebensmona­t die FU1c an. Danach kommen weitere Früherkenn­ungsunters­uchungen (FU2) vom 34. bis 72. Lebensmona­t. Im Rahmen der FU 1a-c findet üblicherwe­ise auch einmal eine praktische Anleitung der Betreuungs­person zur Mundhygien­e beim Kind statt (FUPr).

Den gibt es bei Zahnärzten und im Internet unter: https://lzk-bw.de/ zahnaerzte/prophylaxe/zahnaerztl­icher-kinderpass

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