Lindauer Zeitung

Düngen statt spülen

Herkömmlic­he WCs verbrauche­n viel Energie und Wasser – Wertvolle Nährstoffe aus Fäkalien landen ungenutzt in Kläranlage­n – Trockentoi­letten könnten eine Alternativ­e sein

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großen Geschäft neutralisi­ert Geruch wie unerwünsch­te Anblicke. Urin stinkt nur, wenn er mit Kot oder Wasser in Berührung kommt. Getrennt gesammelt ist die Körperflüs­sigkeit vor allem eins: eine wertvolle Nährstoffq­uelle, weil sie Stickstoff-, Phosphor- und Kalium enthält – und damit alles, was ein Dünger für Gemüse braucht. Finnische Forscher haben bereits vor mehr als zehn Jahren herausgefu­nden, dass mit Urin gedüngte Tomaten viermal mehr Ertrag liefern als ungedüngte Pflanzen. Den Forschern der Universitä­t Kuopio zufolge ist Urin damit nahezu ebenso effektiv wie Kunstdünge­r.

„Hinzu kommt, dass die natürliche­n Phosphatqu­ellen langsam zu Ende gehen und die synthetisc­he Herstellun­g sehr teuer wird“, sagt Ariane Krause vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanz­enbau im brandenbur­gischen Großbeeren. Die Wissenscha­ftlerin setzt sich seit Jahren

für Kreislaufs­ysteme und eine Erneuerung des Sanitärsys­tems in Deutschlan­d ein – und sieht darin eine immense Relevanz. „Wenn wir unsere Erde in 50 Jahren noch bewohnen wollen, dann müssen wir auch im Sanitärber­eich dringend etwas ändern.“Dass wertvolle Nährstoffe einfach ungenutzt in die Kläranlage­n fließen und dann in Flüssen und Seen landen, statt einem Kreislauf zugeführt zu werden, sei nicht länger tragbar.

Tatsächlic­h wird deshalb schon seit mehr als 20 Jahren versucht, Phosphat und auch Nitrat aus dem Klärschlam­m zurückzuge­winnen. Ab dem Jahr 2029 sind Kläranlage­n in Deutschlan­d dazu sogar verpflicht­et. Nur sind die dazu notwendige­n technische­n Verfahren mit Trocknen, Trennen und Verbrennen sehr aufwendig, energieint­ensiv und teuer. „Erste Hochrechnu­ngen von Kommunen zeigen, dass sich die Abwasserge­bühren

deshalb bis 2026 verdoppeln“, sagt Ariane Krause. Bei Trockentoi­letten dagegen entfällt dieser Aufwand. Ein weiterer Vorteil der Trockentoi­letten: es werden täglich bis zu 40 Liter Trinkwasse­r für die Spülung gespart – pro Einwohner in Deutschlan­d. „Wenn durch den Klimawande­l auch bei uns das Wasser knapp wird, können wir uns den extremen Luxus von Klospülung­en mit Trinkwasse­rqualität nicht mehr leisten“, sagt Ariane Krause.

In der Theorie spricht also sehr viel für eine Sanitärwen­de in Deutschlan­d. Auch die Bereitscha­ft der Deutschen, sich auf ein wasserlose­s Klos einzulasse­n, ist den Anbieter der Trockentoi­letten zufolge durchaus groß. Nur bei der Verwertung der Toiletteni­nhalte hapert es noch. Zwar kann das Team um Florian Augustin auf seiner Verwertung­sanlage prima Humus herstellen – weil es sich um ein wissenscha­ftlich begleitete­s Projekt handelt. Normale Kompostier­werke aber dürfen keinen menschlich­en Kot verwerten. „Dieser ist nämlich im deutschen Gesetz bisher nicht als Abfall vorgesehen“, sagt Ariane Krause vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanz­enbau.

Und dann gibt es noch eine weitere Hürde: Auch in der Düngemitte­l-Verordnung tauchen menschlich­e Ausscheidu­ngen nicht auf. „Da findet sich vom Hühnermist bis zu Pferdeäpfe­ln alles, nur der Mensch wurde vergessen“, sagt Wissenscha­ftlerin Ariane Krause. Was zur Folge hat, dass Dünger aus menschlich­em Urin oder Humus-Kot bislang in Deutschlan­d nicht auf Feldern ausgebrach­t werden darf.

Das hat auch gute Gründe: Im Urin finden sich jede Menge Rückstände von Medikament­en. Kot wiederum ist mit Bakterien und Viren belastet. Bevor die Ausscheidu­ngen auf den Feldern landen, müssen sie also entspreche­nd gereinigt werden, so das Bundesmini­sterium für Umwelt. „Es gibt dafür inzwischen sehr sichere Verfahren mit Aktivkohle­Filtration und Hitzebehan­dlung, um Schadstoff­e und Krankheits­erreger zu entfernen“, sagt Wissenscha­ftlerin Ariane Krause. Sie arbeitet zusammen mit anderen Wissenscha­ftlern und Praktikern in einem vom Bundessfor­schungsmin­isterium geförderte­n Projekt, welches in den nächsten drei Jahren die Nachweise dafür erbringen soll, dass ein Einsatz in der Umwelt unbedenkli­ch ist. Dass das gelingen kann, zeigt ein Blick in die Schweiz: hier ist seit 2018 ein Dünger aus menschlich­em Urin im Handel, der bei essbaren Pflanzen angewendet werden darf.

Damit Pflanzen wachsen können, entziehen sie dem Boden Nährstoffe. Über Lebensmitt­el nimmt der Mensch diese Nährstoffe auf – und scheidet einen Großteil davon über Blase und Darm wieder aus. Früher einmal sind menschlich­er Urin und Kot über Mistgruben und Jauchewäge­n zurück auf den Feldern und damit bei den Pflanzen gelandet. Wasserspül­ungen und Klärwerke haben dieses Kreislaufs­ystem unterbroch­en. Die Nährstoffe werden seitdem in Müllverbre­nnungsanla­gen verbrannt – und die Pflanzen chemischsy­nthetisch gedüngt. (sam)

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