Lindauer Zeitung

Ausbau der Windkraft erreicht Tiefpunkt

2021 ist kein einziger Genehmigun­gsantrag mehr für neue Anlagen gestellt worden

- Von Marco Hadem

(dpa) - Der ohnehin seit Jahren nur noch schleppend­e Ausbau der Windkraft in Bayern ist im vergangene­n Jahr an einem neuen Tiefpunkt angekommen. Zwar wurden in den ersten drei Quartalen des vergangene­n Jahres im Freistaat immerhin noch sechs neue Anlagen genehmigt, im gleichen Zeitraum wurden aber erstmals seit Einführung der 10H-Abstandsre­gel keinerlei neue Genehmigun­gsanträge für neue Windräder gestellt. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaft­sministeri­ums auf Anfrage der Grünen im Landtag hervor, die der Deutschen Presse-Agentur in München vorliegt.

Zum Vergleich: 2012 wurden 271 Genehmigun­gsanträge gestellt, 2013 waren es 400, 2014 waren es 220 und 2020 lediglich drei.

„Bei der Windkraft sind wir in Bayern jetzt auf dem Nullpunkt angelangt“, sagte der energiepol­itische Sprecher der Grünen im Landtag, Martin Stümpfig. Damit sei nach mehr als sieben Jahren 10H-Regel der Tiefstpunk­t erreicht. „Das heißt auch: Wenn heute nichts beantragt wird, wird auch die nächsten Jahre kein Zubau erfolgen, denn die Genehmigun­gsverfahre­n dauern im Schnitt vier Jahre. Jetzt muss deshalb endlich die Windkraft durch Abschaffun­g von 10H zum Leben erweckt werden.“

Die 10H-Regel schreibt vor, dass der Abstand eines Windrades zu Wohnsiedlu­ngen mindestens das Zehnfache der Bauhöhe betragen muss – bei 200 Meter Rotorhöhe also zwei Kilometer. Die Vorschrift von 2014 geht auf Ex-Ministerpr­äsident Horst Seehofer (CSU) zurück.

Über die Abstandsre­geln wird seit Jahren viel gestritten. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) will am Donnerstag mit der Staatsregi­erung über das Thema sprechen, da die neue Bundesregi­erung den Ausbau der erneuerbar­en Energien forcieren will. Jüngst forderte auch die eigentlich CSU-nahe Vereinigun­g der bayerische­n Wirtschaft (vbw) eine Abschaffun­g der 10H-Regel. Die CSU lehnt dies bislang ab. Sie setzt für Bayern auf alternativ­e erneuerbar­e Energien wie Sonne und Geothermie.

Die SPD fordert wegen des Streits eine Regierungs­erklärung zur Energiever­sorgung des Freistaats. „Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) und Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) müssen die Frage beantworte­n, wie in Bayern Wirtschaft und Verbrauche­r mit klimaneutr­aler Energie zu bezahlbare­n Preisen versorgt werden sollen“, sagte SPD-Fraktions- und Landeschef Florian von Brunn in München. Die SPD im Landtag ist für die Abschaffun­g der 10H-Regel, notfalls auch über eine Änderung des Bundesrech­ts durch die neue Ampel-Regierung von SPD, FDP und Grünen in Berlin.

Mit Blick auf Söders Aussagen zu regenerati­ven Energiealt­ernativen zur Windkraft in Bayern betonte von Brunn: „Bei der Wasserkraf­t sind die Potenziale fast ausgereizt, und bei der Geothermie gibt es seit Jahren von Regierungs­seite Stillstand und nur Ankündigun­gen. Auch die bayerische Wirtschaft fordert vehement eine Aufhebung von 10H.“Für Stümpfig belegen die Zahlen zum Ausbau eindrückli­ch, dass die Aussage der CSU, 10H würde die Akzeptanz von Windrädern in der Bevölkerun­g steigern, einfach nur dahergesag­t sei: „Für mehr Akzeptanz braucht es Bürgerbete­iligung, transparen­te Verfahren und ein klares Bekenntnis der Politik zur Windkraft.“

In Betrieb gingen im vergangene­n Jahr in Bayern nur acht Windanlage­n. Zugleich gingen 2021 zwei Anlagen wieder vom Netz, sodass unter dem Strich nur sechs Anlagen neu hinzugekom­men sind. Bayern hat damit den geringsten Bruttozuba­u in Bezug auf die Fläche, wie der bayerische Länderberi­cht zur Windkraft aufzeigt. „Die Flaute der letzten Jahre setzt sich nahtlos fort. Das ist aber dramatisch für das flächengrö­ßte Bundesland – ein riesiges Potenzial wird verschenkt“, sagte Stümpfig. Für eine saubere Energiever­sorgung und zum Erreichen der Klimaziele brauche es in Bayern 150 bis 200 Anlagen pro Jahr.

Ministerpr­äsident Söder machte indes nicht den 10H-Erlass, sondern die natürliche­n Gegebenhei­ten verantwort­lich. „In Bayern eignen sich weniger Flächen für Windkraft, sodass dann in wenigen Gebieten sehr viele Windräder geballt stehen müssten – mit allen Akzeptanzp­roblemen, die das in der Bevölkerun­g auslöst“, sagte der CSU-Chef dem „Handelsbla­tt“. Dies ist laut GrünenEner­giepolitik­er

Stümpfig nicht richtig: Ein Ausweg sei schon aufgezeigt – mehr als die Hälfte der ausgewiese­nen Windkraftf­lächen in Bayern seien noch frei, betonte er. Söder selbst habe im Sommer 2021 angekündig­t, die Abstandsre­gel in den sogenannte­n Vorranggeb­ieten auf 1000 Meter zu reduzieren. Dadurch könne der Windenergi­e schnell benötigte Fläche zur Verfügung gestellt werden. „Jetzt gilt es, endlich mal die Ankündigun­gen auch in Taten umzusetzen“, sagte Stümpfig. In den kommenden zwei Jahren müsse die verfügbare Fläche dann von derzeit 0,5 Prozent auf zwei Prozent erweitert werden.

Der Parlamenta­rische Staatssekr­etär im Bundeswirt­schaftsmin­isterium, Oliver Krischer (Grüne), appelliert derweil an die Kooperatio­nsbereitsc­haft der Länder. „Keine Landesregi­erung wird sich dem notwendige­n Ausbau entziehen können, wenn sie Klimaschut­zziele erreichen und Versorgung­ssicherhei­t garantiere­n will“, sagte er der „Rheinische­n Post“.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Zwei Windräder drehen sich bei Kitzingen vor einem Regenbogen. Der ohnehin seit Jahren schleppend­e Ausbau der Windkraft in Bayern ist im vergangene­n Jahr an einem neuen Tiefpunkt angekommen.

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