Mit Frachtflügen in den nächsten Streit
Am Memminger Flughafen gibt es Pläne für ein Logistikzentrum des Online-Versandhändlers Amazon – Gegner befürchten mehr Lärm und machen mobil
- Der Landeanflug kommt aus dem Abendrot. Ein fast kitschig anmutendes Bild. Kurz scheint der Passagierjet oberhalb des eigenen Kopfes zu sein. Dann folgt er vollends der Anflugsbefeuerung zum Memminger Flughafen. Das Rauschen seiner beiden Triebwerke dringt in die Ohren. Unangenehm, muss man sich als Ortsfremder eingestehen. „Ach was, wenn Sie hier leben, hören Sie das gar nicht mehr“, sagen zwei ältere Frauen, die ihre Hunde in winterlicher Kälte noch kurz über die Wege des Benninger Rieds führen, der Einflugschneise von Westen her.
Angesichts der Fliegerei strahlen die beiden Damen eine unerwartete Gelassenheit aus. Bei weiteren Passanten in einem angrenzenden Einfamilienhausviertel der Gemeinde Benningen ist es nicht anders. Mag sein, dass sich darunter auch das Gefühl gemischt hat, mit dem Flughafen einfach leben zu müssen. Jedenfalls steht die Erfahrung beim Umhören vor Ort jedoch entgegengesetzt zu dem, was sich derzeit zwischen Flughafengegnern und der Flughafen-Geschäftsführung abspielt. Wieder einmal.
Im aktuellen Fall geht es um die Absicht der Flughafen Memmingen GmbH, dem Geschäft mit Luftfracht mehr Raum zu geben. Publik geworden ist dies dadurch, dass beim Luftamt Südbayern vergangenen Herbst ein entsprechender Antrag eingereicht wurde. So soll unter anderem eine Frachtumschlaghalle entstehen.
Der Flughafen rechnet ab 2028 mit mehr Gütertransporten. Fünfmal pro Woche soll es dafür jeweils einen Start und eine Landung geben. Im Vergleich dazu ist das Frachtgeschäft bisher vernachlässigbar. Vielleicht ein oder zwei Maschinen im Monat steuerten Memmingen an, heißt es. Der Flughafen verdient in erster Linie an günstigen Passagierflügen durch Gesellschaften wie Ryanair. An guten Tagen verzeichnet er dabei 25 Starts und nochmals so viele Landungen.
Nun verursacht aber das geplante Plus beim Güterumschlag für Aufregung unter jenen, die den Flughafen sowieso als Teufelswerk einstufen. Dies sind altbekannte Aktivisten in einem lange andauernden Kampf gegen die örtliche Luftfahrt. Zuvorderst ist Dieter Buchberger zu nennen, Unternehmensberater sowie Professor im Institut für Produktionstechnik und Produktionswirtschaft an der Universität Ulm.
Buchberger lebt in Memmingen. Dort ist er Erster Vorsitzender der Initiative Bürger gegen Fluglärm und sitzt für die Grünen im Stadtrat. Sein Standpunkt: Der beabsichtigte künftige Frachtflugverkehr gehe gar nicht. „Diese Flüge würden eine deutliche Erhöhung des Lärms bringen“, glaubt Buchberger.
Er beklagt, dass es aus seiner Sicht bereits jetzt einen „Wildwuchs“bei Nachtflügen gibt – also Starts oder Landungen, die wegen Verspätungen erst nach dem für Memmingen auf 22 Uhr festgelegten Betriebsende stattfinden. „Wir fühlen uns insbesondere von den Nachtflügen belästigt“, sagt der Professor. Jede dieser Ausnahmen muss genehmigt werden. Aber, so Buchberger, die Behörden gingen zu lax damit um, es werde „regelmäßig zum Wohle der Passagiere genehmigt“.
Solche Vorwürfe heizen den Streit in der Frachtdebatte an. Von außerhalb der Region sekundiert der Bund Naturschutz. Dessen
Landeschef Richard Mergner hat in Interviews von einem „Dammbruch“gesprochen, sollte eine Frachtumschlaghalle kommen. Widerstand sei da selbstverständlich.
Mergner führt an, dass das Hinund Herfliegen von Waren „die mit Abstand umweltschädlichste Form des Gütertransports“sei. „Wenn wir die Klimaziele von Paris erreichen wollen, müssen wir jetzt den Güterverkehr auf die Schiene verlagern und nicht auf das Flugzeug.“
Als Argumentationshilfe dient den Flughafengegnern zudem die Absicht eines umstrittenen OnlineVersandhändlers, beim Flughafen ein Logistikzentrum zu betreiben. Es handelt sich um Amazon, für die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fast schon traditionell ein rotes Tuch. Sie wirft dem US-Unternehmen Dumpinglöhne und das Unterdrücken von Betriebsräten vor. Gleichzeitig zeigt sich mancher im Memminger Einzelhandel durch die Amazon-Ambitionen alarmiert. Immerhin wächst das Geschäft der OnlineBestellungen – zuletzt auch noch befeuert durch Corona-Lockdowns. Mancher Ladenbetreiber bleibt hingegen auf seinen Hosen, Schuhen oder Büchern sitzen.
Amazon hat seine Absicht bestätigt, am Flughafen ein Verteilzentrum anzumieten – sobald es eine solche Möglichkeit gebe. Dem Bayerischen Rundfunk teilte Amazon mit: „In einem Verteilzentrum sortieren wir Pakete, die mit Lkw aus unseren Sortier- und Logistikzentren ankommen, für die Auslieferung an Kund:innen in der Region mit Kleintransportern.“Frachtflüge würden hingegen nicht durchgeführt. Entstehen sollen laut Medienberichten mindestens 140 Arbeitsplätze.
Was wiederum Buchberger und seine Bürgerinitiative nicht glauben. Sie gehen davon aus, dass Amazon fliegen lässt, sobald das Unternehmen am Flughafen ansässig wird. „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, hat Buchberger bereits vor Weihnachten in einer Pressemitteilung geschrieben. Zumal die vom Flughafen geplante Frachthalle letztlich zum Amazon-Stützpunkt werden könne – mit eigenem Rollbahnzugang, so Buchberger. Grundsätzlich ist das Interesse von Amazon
an Memmingen nachvollziehbar – selbst ohne Luftfrachtambitionen. Ein Blick auf die Landkarte reicht dafür aus. Dort kreuzen sich die A 7 und A 96. Autobahnabschnitte von München, von Ulm, von Kempten und von Lindau treffen zusammen. Aus den genannten Richtungen führen ebenso Eisenbahnlinien dorthin. Jene aus der bayerischen Landeshauptstadt und vom Bodensee her wurden sogar elektrifiziert. Die zentrale Lage zieht längst Gewerbe an.
Jüngst geschieht dies vor allem beim Flughafen auf Flächen des 2003 stillgelegten Fliegerhorstes. Es sind jene Teile, die für den heutigen Flugbetrieb nicht gebraucht werden. Zwischen alten Bunkern für Kampfjets wird gebaut. Des Weiteren existiert im Norden der Stadt am Autobahnkreuz seit Jahrzehnten ein ausgedehntes Industriegebiet. Dort ist etwa der Kemptener Logistikkonzern Dachser groß vertreten. Ihm wurde im vergangenen Jahrzehnt auch immer mal wieder von Flughafengegnern unterstellt, ein gesteigertes Interesse an Luftfracht zu haben. Die Firmenleitung hielt das jedoch bisher nicht für rentabel.
Möglich gewesen wären solche Frachtflüge wohl aber seit Juli 2004, als der Fliegerhorst die Zulassung als „Regionaler Verkehrsflughafen Allgäu“bekam. Darauf verweist
Ralf Schmid, Geschäftsführer der Flughafen GmbH. „Frachtflüge gehören zu einem Flughafen“, betont er. Da gebe es gesetzlich keine Limitierung. „Frachtflüge haben wir aber bis heute nicht forciert“, erläutert Schmid. Dass es jetzt einen Sinneswandel gibt, erklärt er mit der Corona-Pandemie: „Wir haben durch das Virus gesehen, dass der Passagierbetrieb anfällig ist.“
Damit will Schmid auf den Einbruch bei den Fluggastzahlen verweisen. Sie lagen 2019, dem letzten Jahr vor Corona, bei stolzen 1,7 Millionen – nach Jahren der Steigerung. 2020 war von der Herrlichkeit nicht mehr viel übrig. Lockdowns und weitere Restriktionen wegen der Pandemie ließen die Zahlen laut Airportangaben auf 690 780 Passagiere sinken. Im vergangenen Jahr blieben sie knapp unter einer Million.
Schwächelt das Passagiergeschäft, könnte Luftfracht dem Flughafen über die ökonomischen Runden helfen, scheint der Ansatz von Schmid zu sein. „Wir wollen noch ein wenig mehr Diversität bei den Geschäftsfeldern“, sagt er. Nach seinen Worten wird dabei auch ans Vermieten von Gebäuden auf dem Flughafengelände gedacht. Dies sei ein weiterer Grund für die beantragte Planänderung.
Dass sie so herbe Kritik hervorgerufen hat, überrascht ihn wiederum wenig. „Erwartbar“, meint Schmid lakonisch. Seit Anbeginn des Verkehrsflughafens führt er dessen Geschäfte – und seit Anfang an ist der Flughafen umstritten. Zahlreiche Menschen in und um Memmingen herum hätten es begrüßt, wenn mit Weggang des Militärs ebenso die örtliche Luftfahrtgeschichte beendet worden wäre. So gehen die Anfänge der Bürgerinitiative gegen Fluglärm auf das Jahr 2002 zurück. Es gab ausgewachsene Demonstrationen.
Eine Ansammlung regionaler Unternehmer im Verbund mit Kommunen und Allgäuer Landkreisen setzte jedoch auf den kommerziellen Flugverkehr. Die wirtschaftliche Attraktivität der Gegend sollte gesteigert werden. Der Flughafen kam, der Widerstand gegen ihn blieb. Schmid liegt viel daran, ihn nicht anzustacheln. Er versucht, der gegenwärtigen Debatte die Schärfe zu nehmen. Es folgt der Hinweis, die möglichen Frachtflüge seien schon in der Gesamtzahl der bisher luftrechtlich genehmigten Flugbewegungen enthalten. Zudem betont Schmid fast schon beschwörend: „Wir haben keine Ausweitung der Betriebszeiten beantragt.“Mit anderen Worten:
Die Bürger hätten wie bisher ihre Ruhestunden.
Generell dürfen Starts zwischen 6 und 22 Uhr erfolgen. Landungen sind eine halbe Stunde länger möglich. Alles, was darüber hinaus geht, hat mit Verspätungen oder eventuellen Notfällen zu tun. Diese Problematik stellt sich laut Recherchen der „Allgäuer Zeitung“folgendermaßen dar: Im bisher letzten coronafreien Betriebsjahr 2019 betraf dies 131 Starts und Landungen. Zuallermeist wurde aber eine amtlich für 23.30 Uhr vorgegebene ultimative Deadline nicht überschritten.
Auf der einen Seite stehen also 131 Verspätungen. Setzt man sie in Relation zu den 365 Nächten des Jahres ist dies aus Sicht der Flughafengegner alarmierend. Insgesamt zählte der Airport aber seinerzeit übers Jahr mehr als 23 000 Flugbewegungen, schreibt die „Allgäuer Zeitung“. Mitgerechnet sind dabei neben kommerziellen Jets auch private Kleinflugzeuge, Maschinen der Bundeswehr bei Übungsflügen, Polizeihubschrauber et cetera. Im Verhältnis zu den gesamten Flügen scheint das Stören des Nachtflugverbots also überschaubar zu sein.
Dies ist eine Argumentationslinie, der sich auch Martin Osterrieder anschließt, Bürgermeister des Nachbarortes Benningen. Offiziös meint der Kommunalpolitiker von der CSU: „Alles in allem kann man die Lage als entspannt beschreiben.“Bis auf wenige Ausnahmen würden die Flugzeuge die vorgegebene Route abseits der Gemeinde einhalten.
Osterrieder treibt ganz was anderes um – und dies abseits von den Lüften. Der Bürgermeister bewegt sich auf dem Boden: „Was uns viel mehr Sorge bereitet, ist der Straßenverkehr.“Nach den vorliegenden Informationen werden im Flughafenantrag für den Bau des Logistikzentrums nämlich täglich rund 1200 Lkw-Fahrten genannt. Weitere Fahrten kommen hinzu – etwa durch Beschäftigte oder jene, die ein ebenso dort geplantes Parkhaus besuchen wollen. Osterrieder geht von 2500 Fahrten innerhalb von 24 Stunden aus. Er sagt, dies sei bereits im Kreisausschuss des Landkreises Unterallgäu thematisiert worden. Wobei dieses Gremium keine Entscheidungsbefugnis hat.
Tatsächlich lässt sich seit Jahren feststellen, dass einige Straßen Richtung Flughafen immer mal wieder verstopft sind. Ein Nadelöhr ist speziell der Kreisverkehr, von dem es zum Gelände des ehemaligen Fliegerhorstes abgeht. Kurioserweise verläuft unweit davon die
A96. Aber abseits von Memmingen Ost oder Holzgünz fehlt eine direkte Anschlussstelle für den Flughafen.
Sie könnte die Lösung der am Boden drohenden Verkehrsprobleme sein – was auch im Kreisausschuss und bei einer Anhörung zur Sprache kam. Flughafenchef Schmid fordert die direkte Anbindung sowieso vehement. Die Crux dabei scheint aber der Ansprechpartner zu sein. Die Anschlussstelle ist Sache des Bundes und läuft üblicherweise über den Bundesverkehrswegeplan. Eine Angelegenheit für langen Atem. „Es kommt, wie es kommt“, meint indes ein älterer Wurstkäufer schicksalsergeben vor der einzigen Metzgerei in Benningen. Herbert lässt er sich nennen. Ihn erfreut, dass bloß noch „Touristenbomber unterwegs sind“. Früher, als noch Kampfjets des hier stationierten Geschwaders durch die Gegend gedüst seien, habe es einen durch den Krach durchaus vom Stuhl gerissen.