Lindauer Zeitung

Der Weg zum Ende der Pandemie

Unter gewissen Voraussetz­ungen könnte die Omikron-Variante alles ändern

- Von Dominik Guggemos

- Die Omikron-Welle schwappt über das Land und sorgt täglich für neue Rekorde bei der Zahl der Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s. „Die Infektiosi­tät der Omikronvar­iante ist so hoch, dass man ihr quasi nicht entkommen kann“, sagt der Präsident der Gesellscha­ft für Virologie (GfV), Ralf Bartenschl­ager. Zugleich werden im Vergleich zur Delta-Variante weniger Infizierte schwer krank. Diese Kombinatio­n heizt die Diskussion über den Übergang von der pandemisch­en in die endemische Lage an. Ein Überblick, was sich in einer Endemie verändert und worauf sich das Gesundheit­ssystem einstellen muss.

Endemisch – was bedeutet das? Eine Endemie zeichnet sich dadurch aus, dass es regional zwar zu Ausbrüchen kommen kann, aber nicht mehr landes- oder gar weltweit in hoher Zahl, die dem Gesundheit­ssystem Probleme bereiten. Das beste Beispiel ist das Grippeviru­s, das saisonal in manchen Regionen zwar stark wüten kann, aber das öffentlich­e Leben in Deutschlan­d nicht nennenswer­t beeinträch­tigt.Was verändert sich in einer Endemie? Entscheide­nd ist die Immunisier­ung der Bevölkerun­g gegen das Virus. Nahezu jeder werde eine Grundimmun­ität entwickeln, sei es durch eine Impfung, eine durchgemac­hte Infektion oder beides, sagt Bartenschl­ager. Dadurch wird „die Anzahl schwerer Erkrankung­en auf ein Maß reduziert sein, wie wir es auch von der Influenza kennen“, so der Virologen-Präsident, weshalb die Restriktio­nen auch weitgehend entfallen könnten. Keine Restriktio­nen, das wäre ein weitgehend normales Leben, wie wir es vor dem Ausbruch der Pandemie kannten, ein Zustand, mit dem inzwischen auch der Virologe Christian Drosten rechnet.

Wann erreichen wir die endemische Lage?

Wie schnell sie kommt, „hängt davon ab, wie stark man mit Restriktio­nen wie Kontaktred­uzierungen sowie der Steigerung der Impf- und Boosterquo­ten die Ausbreitun­g von Omikron verlangsam­t“, sagt GfV-Präsident Bartenschl­ager. Je mehr Maßnahmen, desto später kommt die endemische Lage. Sollte Deutschlan­d Omikron also einfach durch die Bevölkerun­g laufen lassen? Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) denkt zwar auch, dass Deutschlan­d noch in diesem Jahr in die endemische Lage kommen könnte, allerdings hält er die Durchseuch­ung der Bevölkerun­g für eine „unethische Wette“.Nicht jeder sieht das so eindeutig. So fordert eine Gruppe um den ehemaligen Chef-Virologen der Berliner Charité, Detlev Krüger, in einem offenen Brief eine vorausscha­uende Strategie der Politik für den Übergang von der Pandemie zur Endemie, die insbesonde­re Kindern und Jugendlich­en schnellstm­öglich Normalität im Alltag garantiere.

Wichtig wird sein, wie sich eine Auffrischu­ngsimpfung mit einem an Omikron angepasste­n Impfstoff auf den Schutz vor einer Erkrankung langfristi­g auswirken wird, gibt Bartenschl­ager zu Bedenken. Für die kommenden Jahre rechnet er damit, dass sich Personen aus der Risikogrup­pe im Winter mit einer Boosterimp­fung schützen sollten. Unter dem Strich geht der GfV-Präsident davon aus, dass Deutschlan­d im nächsten Winter in einer endemische­n Lage leben wird, wobei sich schon der Sommer wie Normalität anfühlen könnte. Ein fließender Übergang also. Der Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen sagte kürzlich: „Es wird keinen festen Punkt geben, an dem man sagt: Jetzt ist die Pandemie vorbei, und es beginnt die Endemie.“

Braucht es in einer Endemie denn eine Impfpflich­t? Gesundheit­sminister Lauterbach ist zwar ausdrückli­ch für eine allgemeine Impfpflich­t, sagt aber: „Wenn die Pandemie in eine endemische Lage übergeht, wäre auch die Impfpflich­t erloschen.“Wie wird das in anderen Länder gesehen? Mancherort­s geht man die von Lauterbach kritisiert­e unethische Wette ein. Großbritan­nien und Dänemark verzichten trotz Inzidenzen von teilweise um die 2000 weitgehend auf Maßnahmen und behandeln Omikron damit letztlich endemisch. Spanien rief kürzlich das Ziel einer „Grippalisi­erung“aus, in Richtung endemische Lage – allerdings erst nach dem Abklingen der aktuellen Welle.

Wie muss sich das Gesundheit­ssystem der Endemie anpassen?

Im Zentrum der Frage stehen die Intensivka­pazitäten. Deutschlan­d hatte vor der Pandemie eine durchschni­ttliche Auslastung der Intensivbe­tten von 80 Prozent. Im internatio­nalen Vergleich ist das niedrig. Der Wert liegt beispielsw­eise in Großbritan­nien 15 Prozentpun­kte höher. Dafür müssen sich die Briten jeden Winter Sorgen machen, wie sie alle Grippepati­enten, die schwer erkranken, versorgen können. In der Pandemie waren die vielen Intensivbe­tten ein Segen, aber: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die 80 Prozent ein Luxus sind, den wir uns auf Dauer nicht leisten können“, sagt der Gesundheit­sökonom und Politikber­ater Jürgen Wasem von der Uni Duisburg-Essen im Gespräch.

Ist das System im Winter dann nicht überlastet?

Um trotzdem auf regionale Ausbrüche und saisonal hohe Infektions­zahlen mit dem Coronaviru­s vorbereite­t zu sein, braucht es Reservekap­azitäten, die bei Bedarf zum Einsatz kommen können. Diese müssen allerdings ins Finanzieru­ngssystem eingearbei­tet werden. Bisher werden die Krankenhäu­ser nur nach erbrachter Leistung bezahlt. „Wir brauchen einen Kurswechse­l“, sagt Wasem, der dazu im Koalitions­vertrag der Ampel-Koalition auch eine Bereitscha­ft erkennt. Probleme bereiten denn auch weniger Betten und Maschinen, sondern Personalma­ngel. „Wir können uns keine Intensivme­diziner und –pfleger backen“, sagt Wasem. Potenzial sieht er kurzfristi­g vor allem in steuerlich­en Anreizen. So könnten Teilzeitkr­äfte dazu bewegt werden, ihre Stundenzah­l zu erhöhen.

Und wo soll das Personal für die Reservekap­azitäten herkommen? Mittelfris­tig benötigt das Gesundheit­ssystem vor allem mehr Fachkräfte, die im Bedarfsfal­l auf den Intensivst­ationen aushelfen können, findet Jürgen Malzahn, Leiter der Krankenhau­s-Abteilung beim AOKBundesv­erband. Um das entspreche­nde Fachwissen zu gewährleis­ten, müsste die Intensivme­dizin zum festen Bestandtei­l der Facharzt-Weiterbild­ung und Pflegeausb­ildung werden. „Im Anschluss sollten zumindest alle in Kliniken tätigen Ärzte und Pflegekräf­te in bestimmten Zyklen auf der Intensivst­ation arbeiten, um die Basiskompe­tenzen zu erhalten und aufzufrisc­hen“, sagt Malzahn, der früher selbst intensivme­dizinisch gearbeitet hat. Auch Gesundheit­sökonom Wasem hält diesen Ansatz für vielverspr­echend.

Was ist mit Long Covid?

Bei Millionen Infizierte­n müssen die Langzeitfo­lgen einer Infektion beobachtet werden. Spezielle Kliniken oder mehr Stationen, die auf Long Covid spezialisi­ert sind, werden laut Wasem und Malzahn nicht flächendec­kend nötig sein. Der AOK-Krankenhau­sexperte geht davon aus, dass etwa 20 spezielle Zentren, die sich intensiv mit ungewöhnli­chen Verläufen beschäftig­en und diese erforschen, reichen werden. Diese sollten an Universitä­tskliniken oder großen Krankenhäu­sern mit Maximalver­sorgung angesiedel­t werden.Wichtig sei aber, sagt Malzahn, deren Wissen dann strukturel­l aufzuberei­ten und zu kommunizie­ren. Dafür müsse eine Infrastruk­tur mit Datenbanke­n zu den Krankheits­verläufen geschaffen werden. Die eigentlich­e Versorgung müsse in der Fläche stattfinde­n: „Die Haus- und Fachärzte müssen wissen, wie sie sich wo informiere­n können, wenn ihnen ein Patient spezielle Long-Covid-Symptome schildert“, sagt Malzahn.

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Die Omokron-Variante breitet sich zügig aus.

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