Der Weg zum Ende der Pandemie
Unter gewissen Voraussetzungen könnte die Omikron-Variante alles ändern
- Die Omikron-Welle schwappt über das Land und sorgt täglich für neue Rekorde bei der Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus. „Die Infektiosität der Omikronvariante ist so hoch, dass man ihr quasi nicht entkommen kann“, sagt der Präsident der Gesellschaft für Virologie (GfV), Ralf Bartenschlager. Zugleich werden im Vergleich zur Delta-Variante weniger Infizierte schwer krank. Diese Kombination heizt die Diskussion über den Übergang von der pandemischen in die endemische Lage an. Ein Überblick, was sich in einer Endemie verändert und worauf sich das Gesundheitssystem einstellen muss.
Endemisch – was bedeutet das? Eine Endemie zeichnet sich dadurch aus, dass es regional zwar zu Ausbrüchen kommen kann, aber nicht mehr landes- oder gar weltweit in hoher Zahl, die dem Gesundheitssystem Probleme bereiten. Das beste Beispiel ist das Grippevirus, das saisonal in manchen Regionen zwar stark wüten kann, aber das öffentliche Leben in Deutschland nicht nennenswert beeinträchtigt.Was verändert sich in einer Endemie? Entscheidend ist die Immunisierung der Bevölkerung gegen das Virus. Nahezu jeder werde eine Grundimmunität entwickeln, sei es durch eine Impfung, eine durchgemachte Infektion oder beides, sagt Bartenschlager. Dadurch wird „die Anzahl schwerer Erkrankungen auf ein Maß reduziert sein, wie wir es auch von der Influenza kennen“, so der Virologen-Präsident, weshalb die Restriktionen auch weitgehend entfallen könnten. Keine Restriktionen, das wäre ein weitgehend normales Leben, wie wir es vor dem Ausbruch der Pandemie kannten, ein Zustand, mit dem inzwischen auch der Virologe Christian Drosten rechnet.
Wann erreichen wir die endemische Lage?
Wie schnell sie kommt, „hängt davon ab, wie stark man mit Restriktionen wie Kontaktreduzierungen sowie der Steigerung der Impf- und Boosterquoten die Ausbreitung von Omikron verlangsamt“, sagt GfV-Präsident Bartenschlager. Je mehr Maßnahmen, desto später kommt die endemische Lage. Sollte Deutschland Omikron also einfach durch die Bevölkerung laufen lassen? Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) denkt zwar auch, dass Deutschland noch in diesem Jahr in die endemische Lage kommen könnte, allerdings hält er die Durchseuchung der Bevölkerung für eine „unethische Wette“.Nicht jeder sieht das so eindeutig. So fordert eine Gruppe um den ehemaligen Chef-Virologen der Berliner Charité, Detlev Krüger, in einem offenen Brief eine vorausschauende Strategie der Politik für den Übergang von der Pandemie zur Endemie, die insbesondere Kindern und Jugendlichen schnellstmöglich Normalität im Alltag garantiere.
Wichtig wird sein, wie sich eine Auffrischungsimpfung mit einem an Omikron angepassten Impfstoff auf den Schutz vor einer Erkrankung langfristig auswirken wird, gibt Bartenschlager zu Bedenken. Für die kommenden Jahre rechnet er damit, dass sich Personen aus der Risikogruppe im Winter mit einer Boosterimpfung schützen sollten. Unter dem Strich geht der GfV-Präsident davon aus, dass Deutschland im nächsten Winter in einer endemischen Lage leben wird, wobei sich schon der Sommer wie Normalität anfühlen könnte. Ein fließender Übergang also. Der Virologe Friedemann Weber von der Uni Gießen sagte kürzlich: „Es wird keinen festen Punkt geben, an dem man sagt: Jetzt ist die Pandemie vorbei, und es beginnt die Endemie.“
Braucht es in einer Endemie denn eine Impfpflicht? Gesundheitsminister Lauterbach ist zwar ausdrücklich für eine allgemeine Impfpflicht, sagt aber: „Wenn die Pandemie in eine endemische Lage übergeht, wäre auch die Impfpflicht erloschen.“Wie wird das in anderen Länder gesehen? Mancherorts geht man die von Lauterbach kritisierte unethische Wette ein. Großbritannien und Dänemark verzichten trotz Inzidenzen von teilweise um die 2000 weitgehend auf Maßnahmen und behandeln Omikron damit letztlich endemisch. Spanien rief kürzlich das Ziel einer „Grippalisierung“aus, in Richtung endemische Lage – allerdings erst nach dem Abklingen der aktuellen Welle.
Wie muss sich das Gesundheitssystem der Endemie anpassen?
Im Zentrum der Frage stehen die Intensivkapazitäten. Deutschland hatte vor der Pandemie eine durchschnittliche Auslastung der Intensivbetten von 80 Prozent. Im internationalen Vergleich ist das niedrig. Der Wert liegt beispielsweise in Großbritannien 15 Prozentpunkte höher. Dafür müssen sich die Briten jeden Winter Sorgen machen, wie sie alle Grippepatienten, die schwer erkranken, versorgen können. In der Pandemie waren die vielen Intensivbetten ein Segen, aber: „Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die 80 Prozent ein Luxus sind, den wir uns auf Dauer nicht leisten können“, sagt der Gesundheitsökonom und Politikberater Jürgen Wasem von der Uni Duisburg-Essen im Gespräch.
Ist das System im Winter dann nicht überlastet?
Um trotzdem auf regionale Ausbrüche und saisonal hohe Infektionszahlen mit dem Coronavirus vorbereitet zu sein, braucht es Reservekapazitäten, die bei Bedarf zum Einsatz kommen können. Diese müssen allerdings ins Finanzierungssystem eingearbeitet werden. Bisher werden die Krankenhäuser nur nach erbrachter Leistung bezahlt. „Wir brauchen einen Kurswechsel“, sagt Wasem, der dazu im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition auch eine Bereitschaft erkennt. Probleme bereiten denn auch weniger Betten und Maschinen, sondern Personalmangel. „Wir können uns keine Intensivmediziner und –pfleger backen“, sagt Wasem. Potenzial sieht er kurzfristig vor allem in steuerlichen Anreizen. So könnten Teilzeitkräfte dazu bewegt werden, ihre Stundenzahl zu erhöhen.
Und wo soll das Personal für die Reservekapazitäten herkommen? Mittelfristig benötigt das Gesundheitssystem vor allem mehr Fachkräfte, die im Bedarfsfall auf den Intensivstationen aushelfen können, findet Jürgen Malzahn, Leiter der Krankenhaus-Abteilung beim AOKBundesverband. Um das entsprechende Fachwissen zu gewährleisten, müsste die Intensivmedizin zum festen Bestandteil der Facharzt-Weiterbildung und Pflegeausbildung werden. „Im Anschluss sollten zumindest alle in Kliniken tätigen Ärzte und Pflegekräfte in bestimmten Zyklen auf der Intensivstation arbeiten, um die Basiskompetenzen zu erhalten und aufzufrischen“, sagt Malzahn, der früher selbst intensivmedizinisch gearbeitet hat. Auch Gesundheitsökonom Wasem hält diesen Ansatz für vielversprechend.
Was ist mit Long Covid?
Bei Millionen Infizierten müssen die Langzeitfolgen einer Infektion beobachtet werden. Spezielle Kliniken oder mehr Stationen, die auf Long Covid spezialisiert sind, werden laut Wasem und Malzahn nicht flächendeckend nötig sein. Der AOK-Krankenhausexperte geht davon aus, dass etwa 20 spezielle Zentren, die sich intensiv mit ungewöhnlichen Verläufen beschäftigen und diese erforschen, reichen werden. Diese sollten an Universitätskliniken oder großen Krankenhäusern mit Maximalversorgung angesiedelt werden.Wichtig sei aber, sagt Malzahn, deren Wissen dann strukturell aufzubereiten und zu kommunizieren. Dafür müsse eine Infrastruktur mit Datenbanken zu den Krankheitsverläufen geschaffen werden. Die eigentliche Versorgung müsse in der Fläche stattfinden: „Die Haus- und Fachärzte müssen wissen, wie sie sich wo informieren können, wenn ihnen ein Patient spezielle Long-Covid-Symptome schildert“, sagt Malzahn.