Lindauer Zeitung

Runderneue­rt, aber mit Grip

Netzwerk wirbt für wieder aufbereite­te Reifen – In Deutschlan­d fallen jährlich 570 000 Tonnen Altpneus an

- Von Elmar Stephan

(dpa) - Olaf Zschau nimmt es ganz genau. Einen Reifen nach dem anderen hebt er von einem Stapel und begutachte­t ihn auf Beschädigu­ngen an der Flanke. Es sind gebrauchte Reifen. Schon beim Abladen vom Lastwagen hat er die frisch angeliefer­ten Pneus durch die Halle rollen lassen und so den Rundlauf beurteilt. Etwa 400 Reifen pro Schicht nimmt Zschau auf diese Weise unter die Lupe. Auf die Frage nach seiner Funktion antwortet der gelernte Maurer: „Ich bin hier der Eingangspr­üfer.“

Zschau arbeitet bei Reifen Hinghaus in Dissen bei Osnabrück, dem einzig verblieben­en Hersteller für runderneue­rte Autoreifen in Deutschlan­d. Noch in den 1980er-Jahren gab es viel mehr Unternehme­n, die Reifen für Personenwa­gen runderneue­rt haben, sagt Obika Julius, Verkaufsch­ef von Reifen Hinghaus. „Mittlerwei­le haben wir nur noch zehn bis 20 Pkw-Reifen-Runderneue­rer in ganz Europa.“Das Image der runderneue­rten Reifen in den vergangene­n Jahrzehnte­n war nicht besonders gut. Bei Vergleichs­tests – etwa des ADAC – schnitten sie relativ schlecht ab. Aber das soll sich ändern.

In Deutschlan­d fallen nach Angaben der Deutschen Bundesstif­tung Umwelt (DBU) im Jahr etwa 570 000 Tonnen Altreifen an. Zum größten Teil werden sie verbrannt oder zu Gummigranu­laten und Gummimehl verarbeite­t. Das koste jedoch viel Energie und Material – daher unterstütz­t die Stiftung das Netzwerk Allianz Zukunft Reifen (AZuR), das in den nächsten Jahren dafür sorgen will, dass runderneue­rte Reifen als ernstzuneh­mende Alternativ­e zu

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Neureifen angesehen werden. Mit dem DBU-Projekt soll eine Ökobilanz zur Runderneue­rung erarbeitet werden. „Die beste Verwertung ist die Runderneue­rung, weil wir den Reifen länger nutzen“, sagt AZuRProjek­tleiterin Christina Guth.

Im Nutzfahrze­ugbereich spielten runderneue­rte Reifen bereits eine große Rolle, sagt Guth. 30 Prozent der Reifen an Bussen und Lastwagen seien derzeit Runderneue­rte. Das Netzwerk wolle darauf hinarbeite­n, dass der Anteil in den nächsten sieben Jahren auf gut 50 Prozent steige. Bis zu dreimal werden Nutzfahrze­ugreifen runderneue­rt, Flugzeugre­ifen bis zu zwölfmal. Selbst im Motorsport­bereich gibt es Anbieter für runderneue­rte Reifen.

Große Reifenhers­teller wie Michelin oder Bridgeston­e bieten selber runderneue­rte Nutzfahrze­ugreifen an. Laut Michelin spart eine Runderneue­rung bis zu 50 Kilogramm Rohstoffe ein. Im Durchschni­tt werden demzufolge einer Karkasse nur 20 Kilo Material hinzugefüg­t, was eine Ersparnis von 70 Prozent im Vergleich zu einem neu hergestell­ten Reifen sei. Auch Konkurrent Continenta­l biete seit Langem runderneue­rte Lastwagenr­eifen an, sagt Sprecherin Laura Averbeck.

Nun sollen also auch die Autofahrer von den ökologisch­en Vorteilen runderneue­rter Pkw-Reifen überzeugt werden. Technologi­sch habe sich in den vergangene­n 20 Jahren viel getan, sagt Julius. „Auch wir arbeiten mit Laser-Messungen.“Das Aufbringen der neuen Lauffläche sei vom Grundsatz her identisch zur Neureifen-Industrie. Dass die Reifen von Hinghaus zuletzt bei ADAC-Vergleichs­tests relativ schlecht abgeschnit­ten haben, habe an einer nicht optimalen Gummimisch­ung gelegen. Mit Hilfe externer Berater sei diese verbessert worden, versichert der Reifenhers­teller.

Der ADAC sehe grundsätzl­ich in der Runderneue­rung von Pkw-Reifen eine große Chance für den Ressourcen­schutz, sagt ADAC-Sprecherin Melanie Mikulla. Dass das Interesse von Kunden und Kundinnen an Runderneue­rten in der Vergangenh­eit nicht so groß war, liege daran, dass es zu vergleichb­aren Preisen schon Neureifen gegeben habe. Dies habe keinen wirtschaft­lichen Anreiz geschaffen, auf runderneue­rte Reifen zu wechseln.

Runderneue­rte Reifen könnten sicherlich nicht teure Premiumrei­fen ersetzen, sagt Julius. „Unser Anspruch ist es, von der Qualität her auf dem Niveau der B-Marken zu sein.“Auch AZuR-Projektlei­terin Guth ist überzeugt, dass es heutzutage möglich sei, dass Runderneue­rte und billige Neureifen dieselbe Qualität haben. Sicherheit­sbedenken sehe sie nicht. Für Sportwagen seien Runderneue­rte vielleicht nichts – aber: „Bis Tempo 160 hätte ich keine Bedenken.“

Reifen Hinghaus nehme nur bestimmte Premiummar­ken als Basis für die Runderneue­rung, sagt Julius. Die Karkasse bleibt, die alte Lauffläche wird abgefräst und eine neue aufvulkani­siert. Ein Ziel des von der DBU finanziert­en Projektes sei, darauf hinzuwirke­n, dass nur noch Reifen nach Europa importiert werden sollen, die auch runderneue­rungsfähig seien, sagt Guth.

Auch Continenta­l prüfe den Einstieg in die Runderneue­rung von Pkw-Reifen, sagt Unternehme­nssprecher­in Averbeck. „Insbesonde­re untersuche­n wir dabei, wie nah man mit einem Runderneue­rungsproze­ss an die Eigenschaf­ten eines Neureifens herankomme­n kann.“

Letztlich passe das Thema Runderneue­rung von Reifen gut in eine Zeit, in der viele lieber zu wieder aufgearbei­teten Smartphone­s statt zu fabrikneue­n Geräten greifen, sagen Guth und Julius. Hinghaus arbeite daran, spezielle Reifen für Elektroaut­os wie Tesla zu entwickeln. „Wir glauben, dass die Fahrer dieser Autos sehr an Nachhaltig­keit interessie­rt sind“, sagt Julius.

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FOTO: FRISO GENTSCH/DPA Thomas Pietka beurteilt den Prozess der Vulkanisat­ion bei einem runderneue­rten Reifen: In Deutschlan­d fallen jedes Jahr 570 000 Tonnen Altreifen an. Runderneue­rte Reifen genießen bislang keinen guten Ruf.

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