Lindauer Zeitung

„Schon im Sommer sinken die Preise spürbar“

Energieexp­erte Stefan Ulreich über teure Energie, Verbrauche­r in Not und die Aussicht auf ein Ende der Kostenhatz

- Von Simon Müller EEX

- Die Stromrechn­ung wird teurer und teurer und Gas- und Heizölprei­se steigen in die Höhe: Die Energiepre­ise in Deutschlan­d sind seit Wochen auf einem Rekordwert, und Millionen Verbrauche­r merken das in ihrem Geldbeutel. Aber woran liegt das? Im Interview erläutert Stefan Ulreich, Energieexp­erte von der Hochschule Biberach, wie die aktuellen Preise zustande kommen. Und er wagt einen Ausblick, wie sich die Energiepre­ise in den kommenden Monaten entwickeln werden.

Herr Ulreich, die Energiepre­ise für Gas und Strom sind auf einem Rekordhoch. Wie kommen die derzeitige­n Energiepre­ise zustande? Da spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle. Zum einen gibt es im Winter generell eine höhere Nachfrage nach Energie und dementspre­chend auch höhere Preise. Zum anderen ist der Energiemar­kt unbedingt global zu betrachten. Alle Märkte sind aneinander gekoppelt und damit auch die Preise. Im asiatische­n und nordamerik­anischen Raum haben wir diesen Winter eine starke Nachfrage nach Gas, weil die Meteorolog­en kalte Winter vorausgesa­gt haben. Das bedeutet dann auch für Europa höhere Preise. Weltweit geht man vor allem aus Klimaschut­zgründen auch stark von der Kohle weg. Und weil der nächstbest­e Energieträ­ger Erdgas ist, hat sich die Nachfrage nach Gas besonders gesteigert. Speziell im deutschen Energiemar­kt kommt das Brennstoff­emissionsh­andelsgese­tz hinzu, das Anfang vergangene­n Jahres in Kraft getreten ist. Das verteuert fossile Brennstoff­e wie Erdgas oder Benzin durch einen CO2-PreisAufsc­hlag.

Warum ist gerade Gas im Winter so nachgefrag­t?

In Europa wird zum Heizen in erster Linie Gas verwendet. Außerdem haben einige Gasliefera­nten nicht so stark geliefert wie in den Jahren zuvor. Russland und vor allem die USA haben beispielsw­eise nicht so viel Erdgas exportiert, wie man erwartet hat. Das spiegelt sich im Preis wider.

Aber die Strompreis­e sind ja genauso in die Höhe geschossen?

Ja, auf dem Strommarkt hat sich die Preiserhöh­ung auch sehr stark durchgesch­lagen. Denn wir haben mittlerwei­le in Deutschlan­d einen deutlich geringeren Anteil von Kernkraft und Kohle. Das heißt, dass das Gaskraftwe­rk entscheide­nd für die Preisentwi­cklung des Stroms ist. Der aktuelle Gaspreis beeinfluss­t also auch den Strompreis.

Wie funktionie­rt der Markt genau? Wo kaufen die Anbieter ein?

Das kann ganz unterschie­dlich sein. Grundsätzl­ich legt der EEX-MarktPreis - also der Referenzpr­eis an der europäisch­en Energiebör­se in Leipzig - den Preis für die Verträge zwischen den Anbietern aus der Region und den globalen Händlern fest. Die lokalen Anbieter in Deutschlan­d handeln mit den globalen Gashändler­n wie Gazprom Liefervert­räge aus oder vertreiben sogar das Gas für den globalen Vertragspa­rtner. Der globale Handelspar­tner stellt das bestellte Gas dann in der Pipeline bereit. An einem bestimmten Lieferpunk­t kann dann der Anbieter die bestellte Menge aus der Pipeline ziehen und seine Kunden beliefern.

Wer setzt den Gas- und Strompreis für den Endverbrau­cher an Ende fest?

In erster Linie regelt das der Wettbewerb beim Endkundenm­arkt. Der besteht natürlich zum einen aus den Preisen beim Großhandel­smarkt, denn von dort muss der Gasverkäuf­er aus Stuttgart oder München sein Gas einkaufen. Und der zweite Preisbesta­ndteil sind Steuern, Umlagen und Netzentgel­te, damit die Energie auch transporti­ert werden kann.

Wenn aber die Preise im globalen Großmarkt eine so wichtige Rolle spielen, warum hat Deutschlan­d in Europa dann mit die höchsten Preise für Strom und Gas?

Das liegt genau an den Preisbesta­ndteilen, die nicht der Großmarkt bestimmt. Denn Umlagen und Netzentgel­te sind in Deutschlan­d relativ teuer. Deswegen versucht die Politik auch gerade die EEG-Umlage, also die 6 Cent pro Kilowatt-Stunde für den Ausbau von erneuerbar­en Energien, nicht mehr so stark an den Stromtarif zu koppeln. Die EEG-Umlage ist mit Beginn dieses Jahres billiger geworden, langfristi­g will man die Umlage komplett aus dem Stromtarif nehmen. Dann könnte der Strom wieder günstiger werden. Gerade hat das für den Strompreis noch keine positive Auswirkung.

Aktuell sind die Preise noch so hoch wie nie. Haben Neukunden zur Zeit überhaupt eine Chance auf einen fairen Strom- und Gaspreis? Wenn jemand in der aktuellen Preissitua­tion einen neuen Vertrag abschließe­n muss, ist das einfach Pech. Dann muss man leider in den sauren Apfel beißen. Da wäre es gut, einen Vertrag zu wählen, den man so schnell wie möglich kündigen kann.

Aber vielen Verbrauche­rn bleibt gerade ja nichts anderes übrig. Viele billige Anbieter sind Bankrott gegangen und beliefern ihre Verbrauche­r nicht mehr. Sollte da die Bundesnetz­agentur die Energieanb­ieter nicht stärker kontrollie­ren? Natürlich kann man darüber nachdenken, ob man den Markt stärker regulieren muss. Aber wie soll das aussehen? Wenn man den Markt politisch reguliert, dann gibt es keinen echten Wettbewerb mehr. Das ist auf Dauer für die Preisentwi­cklung nicht unbedingt sinnvoll. Deswegen glaube ich, ist vor allem die Eigenveran­twortung der Verbrauche­r gefragt. Wenn ich nur auf die Preise achte, dann muss ich auch damit rechnen, dass da mal was schief gehen kann. Man muss auch damit leben, dass mal ein Anbieter Bankrott geht oder ausfällt – das ist bei anderen Märkten nicht anders.

Ist dann aber nicht der Staat gefragt? Der könnte ja mit niedrigere­n Steuern und Umlagen die Verbrauche­r entlasten?

Das wäre durchaus eine kurzfristi­ge Möglichkei­t, weil wir gerade eine Sondersitu­ation haben. Aber es hat schon auch einen Sinn, wenn Energiepre­ise ein gewisses Niveau haben. Nur so sind auch Anreize zum effiziente­n Umgang mit Energie gegeben. Wenn der Staat die Preiseffek­te wegnehmen würde, ja warum sollte ich dann überhaupt sorgsam und sparsam mit Energie umgehen? Es kostet ja nichts. Und warum sollte ich dann meine Heizung oder mein Auto mit erneuerbar­en Energien verbessern, wenn es mir kostentech­nisch nichts bringt. Der Druck der Energiepre­ise sollte angesichts der Energiewen­de also nicht komplett unterbunde­n werden.

Was halten Sie von Vergleichs­portalen für Strom- und Gasanbiete­r? Grundsätzl­ich ist nicht nur der Preis entscheide­nd, sondern auch die Bonität des Versorgers. Für beides sind Vergleichs­portale eine gute Informatio­nsquelle, weil sie die Informatio­nen gut und transparen­t auflisten.

Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, den Anbieter ständig zu wechseln oder schenkt sich das nicht viel?

Beim ersten Wechsel und wenn man längere Zeit nicht gewechselt hat, kann man eine ganze Menge sparen. Aber es ist nie falsch, die Anbieter im Auge zu behalten. Ob man am Ende wegen zwei Euro im Monat wechseln will, das ist jedem Verbrauche­r selbst überlassen.

Unternehme­n müssen die hohen Strom- und Gaspreise genauso zahlen. Sehen Sie den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d aufgrund der hohen Preise in Gefahr? Kurzfristi­g sehen wir bereits jetzt schon einige Unternehme­n, die ihre Produktion stark reduziert oder sogar eingestell­t haben aufgrund der hohen Strom- und Gaspreise. Für den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d wird es dann ein Problem, wenn sich bei uns die Energiepre­ise für die Industrie kontinuier­lich verteuern im Vergleich zu anderen Ländern. Dann kann es schon sein, dass die energieint­ensive Industrie lieber im Ausland produziert. Um die Industrie in Deutschlan­d zu halten, sind gute Energiepre­ise unverzicht­bar. Denn Energie ist das Rückgrat der Industrie.

Bleiben die Energiepre­ise weiterhin so hoch?

Wenn man sich die Preisentwi­cklung an der anschaut, erkennt man schon jetzt, dass die Gaspreise für das nächste und übernächst­e Jahr günstiger sein werden. Schon im Sommer sinken die Preise spürbar. Das liegt an den Großmarktp­reisen, die bald wieder etwas günstiger werden. Aber die Bepreisung von CO2 wird zumindest in Deutschlan­d weiter zunehmen und damit werden sich die Energiepre­ise in den kommenden Jahren eher stabilisie­ren. Man sollte also die hohen Preise ernst nehmen und sich Gedanken über einen effiziente­n Umgang mit Energie machen.

Professor Doktor Stefan Ulreich (53, Foto: HBC/ Stefan Sättele) lehrt seit 2019 Energiehan­del, Risikomana­gement und Energiepol­itik an der Hochschule Biberach. Der studierte Physiker beschäftig­t sich seit Jahren mit dem globalen Rohstoffha­ndel und den Strategien internatio­naler Energieträ­ger. (simü)

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FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO Das von den Stadtwerke­n Düsseldorf und EnBW betriebene Gas- und Dampfturbi­nenkraftwe­rk Lausward: Weil Kohle- und Kernkraftw­erke vom Netz gehen, wird der Gaspreis immer wichtiger für den Strompreis.
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