Lindauer Zeitung

Der wohl aktuellste Klassiker überhaupt

Frankreich feiert 400 Jahre Molière – Er ist bis heute einer der meistgespi­elten Dramatiker der Welt, denn Geizhälse und Hypochonde­r gab und gibt es immer noch

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Von Sabine Glaubitz

(dpa) - In der Komödie „Der Geizige“macht sich Molière über Geldgier lustig, in „Tartuffe“spöttelt er über religiöse Heuchler und im Stück „Der Bürger als Edelmann“verhöhnt er den Wunsch, mehr sein zu wollen als man ist. Mit Molière kam vor 400 Jahren einer der bedeutends­ten Dichter Frankreich­s zur Welt. Und immer noch ist er einer der meistgespi­elten und meistgeles­enen Autoren weltweit. Denn in seinen Werken nimmt er die Schwächen und Laster der Menschen auf die Schippe. Und die haben sich seitdem kaum verändert: Geizhälse, Ideologen und Hypochonde­r gab es damals und gibt es immer noch.

Molière wurde im Januar 1622 in Paris geboren. Gemeinhin gilt der 15. Januar als das Geburtsdat­um des Schauspiel­ers, Theaterdir­ektors und Dramatiker­s. Für einige Biografen soll er an diesem Tag in der Pariser Kirche Saint-Eustache nur getauft worden sein. Ob er nun am 15. Januar als Sohn eines Tapissier du Roi, eines königliche­n Raumaussta­tters und Dekorateur­s, das Licht der Welt erblickte oder auf den Namen JeanBaptis­te Poquelin getauft wurde: Das Pariser Theater Comédie-Française hat das Molière-Jahr am Wochenende mit „Tartuffe“über scheinheil­ige Frömmler und Ideologen begonnen.

Es ist Frankreich­s traditions­reichstes Theater, das auch das Haus Molières genannt wird, obwohl das Allround-Talent – er schrieb die Werke, führte Regie und verkörpert­e die Hauptrolle­n – sieben Jahre vor der Gründung gestorben ist. Die Schauspiel­stätte entstand 1680 auf Wunsch von Ludwig XIV. durch die Vereinigun­g zweier Truppen, darunter die des am 17. Februar 1673 gestorbene­n Dramatiker­s.

In Frankreich ist Molière sowas wie ein Nationalhe­ld. Als Synonym für Französisc­h hat sich ab dem 18. Jahrhunder­t die Bezeichnun­g die Sprache Molières eingebürge­rt. Seine Werke wurden schon damals weit über die Grenzen Frankreich­s aufgeführt. Er machte die Komödie, die als untergeord­netes Genre galt, zu einer der Tragödie gleichwert­igen Gattung. Molières Ziel, durch Ironie und Witz die Menschen aufzukläre­n, brachte ihm aber auch viele Feinde ein.

Warum funktionie­ren Molières Komödien bei Zuschauern aller Herkunft und aus allen Epochen? Molière sei der coolste Klassiker überhaupt, behauptet Didier Sénécal. Für den Schriftste­ller, Historiker und Literaturk­ritiker bringt Molière nicht nur zum Lachen. Seine Stücke müssten auch keinem zeitlichen Kontext angepasst werden. Jeder verstehe seine Sprache und die Ironie seiner Dialoge, meint er in einer Analyse über die Bedeutung von Molière heute. Und: Heuchler sowie Machtund Geldgierig­e gibt es wohl, solange es Menschen gibt. Dieser Meinung war auch schon vor mehr als 100 Jahren der Psychiater Prosper Despine. Für den Mediziner war Molière ein Psychologe. Wie er in seiner Abhandlung „Die Wissenscha­ft des menschlich­en Herzens, oder die Psychologi­e der Gefühle und Leidenscha­ften nach den Werken von Molière“aus dem Jahr 1884 schrieb, zog er seine Lehren aus der genauen Beobachtun­g

der Menschen und machte diese durch Originalit­ät und Genialität populär. Dabei hat Despine (1812-1892) Molières Werke eingehend studiert, darunter „Der Menschenfe­ind“und „Der Arzt wider Willen“.

Die Werke von Molière sind weltbekann­t. Über ihn persönlich weiß man nur wenig, angefangen beim Geburtsdat­um. So wird sein Werk nicht nur als Spiegel der damaligen Gesellscha­ft interpreti­ert, sondern streckenwe­ise auch als autobiogra­fisch.

In der Komödie „Die Schule der Frauen“aus dem Jahr 1662 tritt er für das Recht junger Frauen auf eine Liebesheir­at ein. Zufall oder nicht? Am 20. Februar desselben Jahres heiratete er mit 40 die rund 20 Jahre jüngere Armande Béjart. Die Verbindung galt nicht nur wegen des Altersunte­rschieds als skandalös. Armande war die Schwester von Madeleine Béjart, der Geliebten von Molière. Böse Zungen behauptete­n sogar, sie sei seine eigene Tochter gewesen.

Molière sollte in die königliche­n Dienste treten wie sein Vater. Doch das interessie­rte ihn ebenso wenig wie sein Jurastudiu­m und seine Zulassung als Anwalt. 1643 gründete er seine eigene Theatergru­ppe mit der Schauspiel­erin Madeleine Béjart und nahm kurze Zeit später den Namen Molière an. Früher benutzten Komiker oft Pseudonyme, um ihren Familien Schande zu ersparen. Die katholisch­e Kirche exkommuniz­ierte zu dieser Zeit Schauspiel­er, die sie als „verkommen“betrachtet­e.

Über zwölf Jahre tourte Molière mit seiner Truppe durch Frankreich. Im Jahr 1658 kehrte er wieder nach Paris zurück. Dort wurde König Ludwig XIV. auf ihn aufmerksam und zu seinem Gönner.

Mit „Der eingebilde­te Kranke“schrieb Molière sein letztes Stück, das am 10. Februar 1673 in Paris uraufgefüh­rt wurde. Ironie des Schicksals: Darin spielte er die Hauptrolle des Hypochonde­rs Argan, der sich einbildet, krank zu sein. Doch Molière war wirklich krank. Er litt an Tuberkulos­e. Bei der vierten Aufführung am 17. Februar erlitt er einen Blutsturz, an dem er kurz danach starb.

Weil Molière als Schauspiel­er von der Kirche exkommuniz­iert war, hätte sein Leichnam in einem Massengrab beigesetzt werden sollen. Doch mit Hilfe des Königs wurde der Leichnam von Molière am 21. Februar heimlich ohne Zeremonie bei Dunkelheit auf dem Friedhof SaintJosep­h begraben. Im Jahr 1817 wurden die Überreste auf den 1804 angelegten berühmten Friedhof Père Lachaise gebracht.

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