Sie sind die „Feuerwehr“der Allgäuer Polizei
Warum Corona-„Spaziergänge“belastend für die Beamten der Zentralen Einsatzdienste sind
- Egal ob Vermisstensuche, Durchsuchungen, Amokalarm oder Kundgebung: Wenn die Polizei im Allgäu eine schwierige Situation meistern muss, kommen die Zentralen Einsatzdienste (ZED) ins Spiel. Ihre Mitglieder sind meist nach kurzer Zeit vor Ort und können auf ein vielseitiges Repertoire zurückgreifen. Neben besonderen Schusswaffen gehören auch Elektroschocker (Taser) und Drohnen zur Ausrüstung. Im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West mit seinen 1850 Beamten gibt es zwei dieser Einheiten mit jeweils etwa 55 Kräften – eine in Kempten, eine in Neu-Ulm. Michael Feistl leitet die Kemptener Dienststelle. Wie die Teams arbeiten, beschreibt er zusammen mit den Kollegen Daniel Martin und Silke Weiß (alle Fotos: Ralf Lienert) im Interview mit Markus Raffler.
Polizeieinsätze in heiklen Situationen verbindet man automatisch mit einem schwer bewaffneten Spezialeinsatzkommando. Sind Ihre Beamtinnen und Beamten auch eine Art SEK?
Feistl: Mit den SEK-Kollegen sind wir nicht vergleichbar. Denn die kommen ausschließlich in außergewöhnlichen Lagen zum Einsatz. Wir dagegen haben viele Gemeinsamkeiten mit den regulären Streifendiensten. Wenn nichts Besonderes anliegt, unterstützen wir die Dienststellen und sind ganz normal im Einsatz. Der Unterschied liegt darin, dass wir in einigen Bereichen besonders qualifiziert sind und etwa bei einer akuten Bedrohungslage sehr oft in der ersten Reihe stehen. Dafür sind wir auch speziell ausgerüstet. Man könnte uns darum als die Feuerwehr der Polizei bezeichnen.
Martin: In manchen Situationen muss man schnell intervenieren und kann nicht warten, bis Spezialkräfte anrücken. In kurzer Zeit als erste vor Ort sein zu können, ist eine der Stärken der Zentralen Einsatzdienste. Und letztendlich sind wir ja auf alle Lagen vorbereitet.
Sie sind auch bei den Corona-„Spaziergängen“im Einsatz, die letztendlich nichts anderes sind als Demonstrationen. Jüngst gab es im Bereich des Präsidiums an einem Abend 16 „Spaziergänge“mit über 4500 Teilnehmern. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Feistl: Die Zahl dieser Aktionen hat innerhalb von wenigen Wochen extrem zugenommen. Früher wurden solche Proteste angemeldet, inzwischen ist nichts mehr planbar. Wir müssen deshalb gerade angesichts der vielen Orte, an denen die Corona-Aktionen stattfinden, immer in Hab-Acht-Stellung sein. Für die Kollegen ist es zudem schwierig, dass sie immer Prellbock zwischen den verschiedenen Meinungen sind. Dabei wollen wir Polizisten ja ordnungsgemäß ablaufende Versammlungen schützen, egal wer sie veranstaltet.
Martin: Über längere Zeit jedes Wochenende, jeden Feiertag im Einsatz zu sein und wenig Zeit für die Familie zu haben, das ist eine massive Belastung für alle Beamte.
Michael Feistl (55) leitet seit vier Jahren die Zentralen Einsatzdienste (bis Oktober 2021 „operative Ergänzungsdienste“) für den südlichen Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/ West. Der Erste Polizeihauptkommissar gehört seit 40 Jahren zur Polizei.
In anderen Regionen Bayerns oder in Ostdeutschland kam es bei Corona-Protesten zu Gewaltauswüchsen. Ist auch bei den Aktionen im Allgäu deutlich mehr Aggressivität zu spüren?
Feistl: Eine ernsthafte Zunahme von Gewalt ist bei uns bislang nicht erkennbar – die Aktionen hier sind kein Vergleich zu dem, was zuletzt in anderen Regionen abgelaufen ist.
Martin: Bei den „Spaziergängen“waren auch viele vernünftige Leute dabei. Wir sind aber auch bewusst nicht offensiv eingeschritten, sondern haben uns eher im Hintergrund gehalten.
Die Proteste werden über Messengerdienste und Social-Media-Kanäle kurzfristig gesteuert. Kann die Polizei da schnell genug reagieren?
Feistl: Wir nutzen alle zulässigen Quellen, um rechtzeitig präsent zu sein. Daher wissen wir recht genau, was wo in der Region passiert und können frühzeitig vor Ort sein.
Wie wirken sich die veränderten Anforderungen auf die Ausbildung aus?
Martin: Seit den Terroranschlägen von 2015 gehen wir allgemein von einer höheren Bedrohungslage aus. Seitdem gibt es etliche Neuerungen bei unserer Ausrüstung. Die ZED verfügen beispielsweise über Elektroschocker und ein schlagkräftigeres Gewehr für die Mitteldistanz. Aber auch die Taktik in bestimmten Lagen hat sich geändert. All das hat die Ausbildung anspruchsvoller gemacht,
Silke Weiß (46) ist seit zwölf Jahren Hundeführerin. Die Diensthundegruppe in Kempten leitet die Polizeioberkommissarin seit 2018. Hundeführer sind Polizeibeamte mit zweijähriger Zusatzausbildung. Die Dienstzeit der Tiere dauert in der Regel zehn Jahre. von der Schießausbildung bis hin zur Selbstverteidigung.
Welchen Anteil haben dabei psychologische Aspekte?
Martin: Die Psychologie spielt bei fast jedem Einsatz eine Rolle, entsprechend hoch ist ihr Anteil bei Ausbildung und Training. In bestimmten Situationen kann ein falsches Wort oder die falsche Körperhaltung etwas auslösen. Das ist für unsere Beamten gerade in Stresssituationen nicht einfach. Unser Ziel ist immer die Deeskalation. Es gibt aber auch Lagen, wo man hart eingreifen und klare Ansagen treffen muss. Dass die Kollegen bei manchem Einsatz von Außenstehenden permanent gefilmt werden, ist für viele eine zusätzliche Belastung.
Wer gehört neben den Einsatztrainern zu den Zentralen Einsatzdiensten?
Feistl: In Kempten und Neu-Ulm sind das je ein Einsatzzug, die Diensthundeführer, eine zivile Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität sowie die technische Einsatzunterstützung.
Können Sie das näher beschreiben? Feistl: Die Einsatzzüge bestehen aus mehreren Gruppen, die einzeln oder bei größeren Lagen geschlossen eingreifen können. Sie sind im Kernbereich rund um die Uhr verfügbar und unterstützen die Dienststellen nicht nur in kritischen Situationen, sondern auch bei größeren Kontrollmaßnahmen, Durchsuchungen oder Sportereignissen wie der Vierschanzentournee. Die Kollegen der technischen Einsatz-Komponente bieten anderen Dienststellen umfassenden Support. Das reicht von Standscheinwerfern, Wärmebildkameras und Metalldetektoren bis zum Schnelleinsatzboot. Auch Drohnen gehören dazu, etwa um Unfallstellen zu dokumentieren oder in schwierigem Gelände Vermisste zu suchen.
Die Einsatzzüge verfügen auch über Elektroschocker. Aus welchem Grund?
Martin: Taser werden in Ausnahmesituationen eingesetzt, um Angreifer durch einen gezielten Stromstoß kampfunfähig zu machen. Sie sind, anders als viele glauben, keine tödlichen Einsatzmittel, können aber helfen, den Gebrauch der Schusswaffe zu vermeiden. Bislang mussten wir die Distanz-Elektro-Impuls-Geräte, wie sie offiziell heißen, kaum scharf einsetzen. Der Respekt davor ist so groß, dass es genügt hat, ihre Benutzung anzudrohen.
Wie wichtig sind die Diensthunde? Weiß: Wenn es drauf ankommt, stehen sie mit dem Einsatzzug in der ersten Reihe. Meist sind das Gebrauchshunderassen wie Schäferhunde und ihre Mischlinge, die für spezielle Aufgaben ausgebildet wurden. Manche sind darauf getrimmt, Vermisste, Sprengstoff oder Drogen zu finden. Andere haben einen Riecher für Banknoten oder Datenträger. Wir haben in Kempten 13 Diensthundeführer, die betreuen ihre Tiere rund um die Uhr.
Sie haben zahlreiche Einsätze erlebt. Welche sind Ihnen besonders unter die Haut gegangen?
Feistl: Da gehört sicher das ermordete 16-jährige Mädchen in Memmingerberg dazu. Auch die tödliche Messerattacke, bei der ein Mann in einem Linienbus im Ostallgäu vor etlichen Mitfahrern auf seine Ehefrau einstach, war extrem. Da waren wir mit fast allen Kräften beteiligt.
Martin: Bei mir ist die Zugschießerei im Alex zwischen München und Kempten besonders hängen geblieben. Dabei gab es mehrere Verletzte. Einer der beiden Täter sprang bei der Flucht aus dem fahrenden Zug und wurde tödlich verletzt. Diesen Einsatz im März 2014 wird man als Beteiligter wohl nie vergessen.