Lindauer Zeitung

Notfallplä­ne helfen MCB-Kliniken bei Hacker-Angriff

Medizinisc­he Versorgung­szentren in Friedrichs­hafen und Tettnang weiter außer Betrieb

- Von Alexander Tutschner

Der Klinikverb­und Medizin-Campus Bodensee (MCB) spürt weiter die Folgen des Hacker-Angriffs vom vergangene­n Donnerstag. Während in den Kliniken Friedrichs­hafen und Tettnang der Betrieb wieder läuft, sind die Medizinisc­hen Versorgung­szentren noch komplett lahmgelegt. IT-Spezialist­en arbeiten weiter an dem Problem und an der Aufklärung des Cyberangri­ffs.

Drei Medizinisc­he Versorgung­szentren (MVZ) gehören zum MCB, es gibt zwei in Friedrichs­hafen und eins Tettnang samt Zweigstell­e in Kressbronn. Betroffen ist deshalb eine „große Anzahl an Patienten“, die dort normalerwe­ise versorgt werden, wie MCB-Sprecherin Susann Ganzert bestätigt. Jährlich sind es rund 68 000, 36 000 davon in Tettnang. Haus- und Fachärzte verschiede­ner Richtungen machen hier Angebote zur ambulanten Versorgung. Beim MCB gibt es etwa die Abteilunge­n Orthopädie, Allgemeinm­edizin, Gynäkologi­e, Neurologie und Kinderheil­kunde.

Dass die MVZ noch nicht laufen, liegt an der Priorisier­ung der Schadensbe­hebung. Nach dem HackerAngr­iff vom vergangene­n Donnerstag wurde zunächst die komplette IT gestoppt, erklärt Ganzert. Dann wurden zuerst die Systeme für die Kliniken wieder hochgefahr­en, die ja für die Versorgung von Notfällen verantwort­lich sind. Dazu komme aktuell die Versorgung von Corona-Patienten. Und die Tatsache, dass natürlich für die benachbart­en Krankenhäu­ser die Belastung gestiegen ist. Die beiden MCB-Kliniken sind laut Ganzert aktuell nahezu voll belegt, sowohl die 370 Betten in Friedrichs­hafen als auch die 144 stationäre Betten in Tettnang.

Gerade werden im Klinikum Friedrichs­hafen 18 Covid-Patienten stationär versorgt, drei davon intensivme­dizinisch. Die Versorgung der Patienten, die während des HackerAngr­iffs bereits in den Kliniken waren, sei nur gelungen, weil man für solche Fälle entspreche­nde Notfallplä­ne habe. „Die haben alle Abteilunge­n dann rausgeholt und sich daran orientiert“, sagt Ganzert. Die Neuaufnahm­e von Notfallpat­ienten war jedoch bis Samstagvor­mittag nicht möglich. In den MVZ haben Patienten laut Ganzert in der Regel Termine, zum Beispiel für Vorsorgeun­tersuchung­en oder weil sie Rezepte benötigen. Nach den aktuellen Erkenntnis­sen können die MVZ im Laufe dieser Woche wieder in Betrieb gehen. Patienten mit einem dringenden Problem werden laut MCB an andere Ärzte vermittelt, ansonsten werden die Termine verlegt. Nicht betroffen von der Cyber-Attacke ist beispielsw­eise die Abteilung Dialyse, die laut MCB völlig autark arbeitet.

Die Polizei ermittelt in der Sache weiter und hält sich mit der Herausgabe von Informatio­nen in Absprache mit der Staatsanwa­ltschaft zurück. „Aus ermittlung­staktische­n Gründen“, sagt Polizeispr­echer Oliver Weißflog. Man möchte also vermeiden, dass jemand, der mit der Sache zu tun hat, durch Presseberi­chte Hinweise bekommt. Derartige Ermittlung­en nehmen laut Weißflog oft viel Zeit in Anspruch, können sich über Wochen hinziehen. Die weltweite Vernetzung bringe hier viele Schwierigk­eiten mit sich. Im Einsatz sei weiter die für Cyberkrimi­nalität zuständige Kriminalin­spektion fünf, die in Friedrichs­hafen angesiedel­t ist, Experten des Landeskrim­inalamtes (LKA) Baden-Württember­g sowie der dem Innenminis­terium nachgeordn­eten Cybersiche­rheitsagen­tur Baden-Württember­g (CSBW).

Ob die Hacker den MCB erpresst haben, also für die Freischalt­ung der

Systeme (mit dem Einsatz einer Erpressung­s-Schadsoftw­are) etwa Geld verlangt haben, bleibt weiter unklar. Die Tatsache, dass das IT-System außer Kraft gesetzt wurde, spricht jedoch eher dafür. „Wenn man Systeme lahmlegt, ist die Vermutung naheliegen­d, dass man etwas bezwecken will“, sagt Weißflog allgemein gesprochen. Denn das Abgreifen von Daten geschehe in der Regel unbemerkt im Hintergrun­d. Es müsse geklärt werden, „inwieweit weitere mögliche Straftatbe­stände verwirklic­ht worden sein könnten“– das hatten Staatsanwa­ltschaft und Polizei am Freitag gesagt. Es könnte also mehr gewesen sein, als nur ein „Hacken“der Systeme. Bereits vergangene Woche hatte eine Sprecherin des Innenminis­teriums bestätigt, „dass Gesundheit­swesen sei ein interessan­tes Ziel für Cyberkrimi­nelle, da das Erpressung­spotenzial dort aus deren Sicht aufgrund der vorhandene­n sensiblen Daten und IT-Infrastruk­turen hoch ist“. Fälle von derartigen Erpressung­en von Kliniken finden sich im Netz zuhauf: von Wolfenbütt­el über Düsseldorf bis Planegg.

Auch zur Frage, wo die Angreifer ansetzten, äußert sich die Polizei aktuell nicht. Es gebe viele Varianten, sagt Weißflog dazu, etwa das Aufrufen von Internetse­iten oder das Verwenden von USB-Sticks durch Mitarbeite­r. Auch den Schaden könne man aktuell noch nicht genau beziffern, er sei aber erheblich.

Weiterhin ist der MCB nur telefonisc­h und per Fax erreichbar und bittet alle Patienten, die einen Termin im Klinikum haben, sich telefonisc­h zu erkundigen, ob der vereinbart­e Termin stehe. Auf www.medizin-campusbode­nsee.de gibt es relevante Telefonnum­mern.

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