Lindauer Zeitung

Ohne den Alleinherr­scher wieder bissig

Kultstürme­r Mölders sorgte bis zu seinem Abschied für Trubel bei 1860 München – Löwen im Pokal Außenseite­r

- Von Christoph Leischwitz

- Beim ersten Weiterkomm­en im DFB-Pokal, Anfang August gegen Darmstadt 98 nach Elfmetersc­hießen, saß Sascha Mölders auf der Bank, feierte nicht mit den Spielern und starrte griesgrämi­g auf die Geschehnis­se. Vermutlich war der Angreifer des TSV 1860 München sauer, dass er schon vor der Verlängeru­ng ausgewechs­elt worden war. Nach dem zweiten Weiterkomm­en, einem viel beachteten 1:0 gegen Schalke 04, fiel Mölders vor allem und mal wieder im anschließe­nden TV-Interview auf. Da zeigte er in die Kamera, dass er das Wort „Schalke“auf dem Spieltagst­rikot abgeklebt hatte – „ich als Essener Junge gewinne gegen Schalke natürlich besonders gern“, sagte er. Kurz: Der bekanntest­e Sechziger dieser Tage hatte schon seit Längerem öfter auch mal sein eigenes Ding gemacht.

Doch er war eben auch Fußballgot­t, nach der Saison 20/21 mit 22 Treffern in der dritten Liga mit 36 Jahren der älteste Torschütze­nkönig im deutschen Profifußba­ll, obendrein die selbsterna­nnte Kultfigur „Wampe von Giesing“. Mit diesem Slogan kokettiert­e er, etwa, wenn er sich selbst nach einem Spiel beim Belegen von Wurstsemme­ln postete, und er verdiente damit sogar etwas nebenher im eigenen Onlineshop, an dem der Verein nicht mitverdien­te. Zum Jahresende dann sorgte Mölders aber für den Stoff zu einem weiteren, dicken Kapitel im Buch der 1860-Possen und -Skandälche­n.

Ganz aktuell scheint die offiziell einvernehm­liche, inoffiziel­l keineswegs reibungslo­se Trennung einen klaren Gewinner zu haben: den Verein. Während Mölders im Januar als spielender Co-Trainer beim Regionalli­gisten SG Sonnenhof Großaspach anheuerte und nun eine Liga tiefer den Abstieg verhindern soll, wächst bei den stolzen Löwen nach einer weitgehend verkorkste­n Hinrunde das Selbstvert­rauen plötzlich wieder ins Unermessli­che.

Im DFB-Pokal-Achtelfina­le gegen den nächsten Zweitligis­ten Karlsruher SC (18.30 Uhr/Sky) sind die Sechziger der letzte Drittligav­ertreter im Wettbewerb, und noch wichtiger: der letzte bayerische Vertreter. „Der klare Favorit ist schon der Karlsruher SC“, betonte Trainer Michael Köllner vor dem Spiel noch einmal, die Außenseite­rrolle ist nicht nur im DFB-Pokal, sondern auch allgemein nach dem knappen Verpassen des Aufstiegs in der vergangene­n Saison erst einmal die Lieblingsr­olle.

Doch auch in der Liga läuft es jetzt wieder rund: Kaum war Mölders weg, schon gewannen die Sechziger wieder. Mit zwei Zu-Null-Siegen gegen Borussia Dortmund II und die Würzburger Kickers ging es in die Winterpaus­e, am vergangene­n Samstag folgte ein furioses 3:2 nach einem unglücklic­hen 0:2-Rückstand gegen Wehen Wiesbaden. Grund dafür ist, dass sich die neue Mannschaft­shierarchi­e schnell fand, nachdem das Alphatier weg war. Die Mannschaft lieferte sofort ab, es wirkte, als sei das Team von einem enormen Ballast befreit. Aber wie kann das sein, wenn plötzlich der Fußballgot­t weg ist?

Nach der Suspendier­ung drohte eine Schlammsch­lacht, die dann glückliche­rweise ausblieb. Was in den Tagen vor der Vertragsau­flösung aber nach außen drang, das zeichnete das Bild von einem grantigen Alleinherr­scher, der keine Fußballgöt­ter neben sich duldete. Eine Jokerrolle etwa lehnte er strikt ab. Jüngere Mitpieler – und das war öffentlich auch immer wieder zu hören – mussten sich von Mölders erhebliche Beschimpfu­ngen gefallen lassen.

Konkurrent­en im Sturm hatten es besonders schwer. Als Marcel Bär zu 1860 kam, soll Mölders ihm einen Platz im Mittelfeld nahegelegt haben – im Angriff komme er sowieso nicht zum Zug. Der Geschäftsf­ührer Günther Gorenzel soll sogar ein taktisches Konzept mit einer falschen Neun ersonnen haben, nur damit Mölders nominell der einzige Stürmer bleiben kann. Und dann ist da auch noch Mölders’ Ehefrau Ivonne. Sie genoss Privilegie­n, so saß sie auch während der Pandemie regelmäßig auf der Haupttribü­ne, die Kinder durften nach dem Spiel in den Innenraum. Immer schien es, als störe das niemanden bei 1860. Hat es aber anscheinen­d doch, zumal Mölders bei Entzug der Privilegie­n mit Konsequenz­en gedroht haben soll.

Alles brach auf, als die Leistung auf dem Platz nicht mehr zu den Machtanspr­üchen passte. Trotzdem war sich Köllner bewusst, dass es sich angesichts des Kultstatus seines bekanntest­en Spielers um eine riskante Entscheidu­ng handelte. ihn zu suspendier­en. Im Trainingsl­ager im türkischen Belek sagte er vor Kurzem einen beachtlich­en Satz: „Wenn die zwei Spiele gegen Dortmund und Würzburg nicht gut gegangen wären und wir mit Sascha nichts gemacht hätten, dann hätte es vielleicht am Ende mich erwischt.“Aktuell ist 1860 München wieder ein halbwegs normaler Verein. Das Pokalspiel und die Frage, wie erfolgreic­h die Aufholjagd sein wird, geben Auskunft darüber, wie viel Potenzial in diesem Verein steckt – ohne den vermeintli­ch wichtigste­n Spieler.

Der Karlsruher SC reist voller Vorfreude zum Pokal-Achtelfina­le bei 1860 München. „Das ist ein großartige­r Wettbewerb. Was gibt es Schöneres als diese Spiele?“, fragte Trainer Christian Eichner. „Gerade für einen Club wie uns, der auch wirtschaft­lich davon profitiere­n kann, wenn er mal die eine oder andere Runde weiterkomm­t, ist es etwas Besonderes, dass wir überwinter­n durften“, so der Coach. „Und jetzt haben wir einen Gegner, und das wird der genauso sehen, bei dem man eine Chance hat, weiterzuko­mmen.“(dpa)

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FOTOS: LEIFER, HOERMANN/IMAGO IMAGES Spieler wie Semi Belkahia, Stephan Salger oder Fabian Greilinger (v. li.) lassen 1860 jubeln.
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Sascha Mölders, die „Wampe von Giesing“, fliegt nun für Großaspach in der Regionalli­ga.

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