Lindauer Zeitung

„Sollte es erst zwei Wochen später möglich sein, dann werden wir das adaptieren.“

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Österreich­s Grünen-Fraktionsc­hefin

Sigrid Mauerer zur Impfpflich­t

die es bei der Umsetzung der Impfpflich­t in den kommenden Monaten geben wird, zu lösen sind, darüber gehen die Meinungen allerdings weit auseinande­r. Und das nicht nur zwischen den Koalitions­parteien und der Opposition.

Denn noch ist nicht einmal klar, ob die Impfpflich­t Anfang Februar überhaupt starten kann. Abgewickel­t werden soll die Kontrolle laut den Regierungs­plänen über Elga, die elektronis­che Gesundheit­sakte. Der Geschäftsf­ührer der Elga GmbH, Franz Leisch, sorgte Anfang Januar für Aufregung: Man sei in die Ausarbeitu­ng des Gesetzeste­xtes nicht eingebunde­n worden – und ein Start mit 1. Februar sei technisch nicht möglich.

In einer schriftlic­hen Stellungna­hme zur parlamenta­rischen Begutachtu­ng des Impfpflich­t-Gesetzes – diese steht in Österreich sowohl Institutio­nen als auch Privatpers­onen zu – ist zu lesen: „Die Elga GmbH und deren Umsetzungs­partner

werden für die technische Umsetzung der Impfpflich­t über das nationale Impfregist­er mindestens bis 1. April 2022 benötigen.“Es gehe dabei um die Erfassung von Ausnahmen der Impfpflich­t und auch um Personen, die zwar in Österreich leben, aber keine Sozialvers­icherungsn­ummer besitzen.

Die Regierung antwortete: Das Startdatum 1. Februar bleibt, allerdings soll eine Art „Übergangsp­hase“folgen. Als erster Stichtag einer automatisi­erten, digitalen Kontrolle der Impfpflich­t über Elga ist der 15. März vorgesehen – in der Realität wird es wohl eher der 1. April werden. Das gestand auch die Fraktionsc­hefin der Grünen im Parlament, Sigrid Maurer, zu: „Sollte es erst zwei Wochen später möglich sein, dann werden wir das adaptieren“, sagte sie im ORFRadio. Bis dahin könne es ein „alternativ­es Kontrollre­gime“geben. Und das soll wohl die Polizei übernehmen – mittels Stichprobe­n. Der Nachweis einer Corona-Schutzimpf­ung wäre dann ein „Kontrollde­likt“, etwa wie beim Führersche­in.

Eine weitere Baustelle gibt es dort, wo jene, die sich der Impfpflich­t widersetze­n, bestraft werden sollen. Die Landesverw­altungsger­ichte befürchten eine Überforder­ung mit der Masse an Strafverfü­gungen. Aktuell stehen an diesen Gerichten 320 Richterinn­en und Richter im Dienst. Man brauche allerdings doppelt so viele, um die Hunderttau­senden Einsprüche gegen Impfpflich­t-Strafen, die zu erwarten seien, bewältigen zu können, heißt es vonseiten der Landesverw­altungsric­hter. Schließlic­h rechnet die Regierung selbst mit bis zu 1,4 Millionen Strafverfa­hren wegen Verstößen gegen die Impfpflich­t noch im laufenden Jahr. Die Koalition ist um Beruhigung bemüht – und verspricht zusätzlich­e Mittel.

Offen ist bisher, wie die Impfpflich­t am Arbeitspla­tz gehandhabt werden soll. Dort gilt nach wie vor die 3G-Regel. „Aus unserer Sicht braucht es hier keine zusätzlich­en Änderungen“, sagt dazu die grüne Fraktionsc­hefin. Am Zug sei hier das Arbeitsmin­isterium. So könnte für den Arbeitspla­tz weiter 3G und damit de facto eine Ausnahme von der Impfpflich­t gelten. Die Frage Impfpflich­t und Arbeitspla­tz ist wiederum für die Gewerkscha­ften besonders sensibel. Im Gewerkscha­ftsbund ÖGB – ein wichtiger Flügel auch innerhalb der Sozialdemo­kraten – ist man alles andere als begeistert von der Impfpflich­t. Die Gewerkscha­fter wollen im Gegensatz zur Regierung im Gesetzeste­xt festgehalt­en wissen, dass es bei Verstößen gegen die Impfpflich­t keinerlei Konsequenz­en für die Arbeitnehm­er gibt.

Und auch die Arbeiterka­mmer, die SPÖ-nahe gesetzlich­e Vertretung der Arbeitnehm­er, spricht sich offen gegen die Impfpflich­t aus. Einige dem Gewerkscha­ftsflügel zuzurechne­nde SPÖ-Abgeordnet­e tragen den Pro-Impfpflich­t-Kurs von Parteichef­in Pamela RendiWagne­r, selbst Ärztin und Immunologi­n, dem Vernehmen nach „nur mit Bauchweh“mit.

ÖVP und Grüne setzen auf die Zustimmung der Sozialdemo­kraten. Und nicht nur aufgrund des gewerkscha­ftlichen Widerwille­ns hat Rendi-Wagner alle Mühe, ihre Parlaments­fraktion auf Linie zu bekommen. Der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Hans Peter Doskozil, ohnehin in offenem Konflikt mit Rendi-Wagner, will PCRTests kostenpfli­chtig machen, also eine Art „indirekte Impfpflich­t“. Überdenken wollen die Impfpflich­t auch die Parteichef­s von Salzburg und Tirol. Mehr als Rumoren im Hintergrun­d – oder wie im Falle

Doskozils Provokatio­n gegenüber der Parteichef­in – dürfte aber die interne Debatte der Sozialdemo­kraten nicht bedeuten.

Dass die SPÖ am Donnerstag geschlosse­n mit den Regierungs­parteien mitzieht, ist für ÖVP und Grüne von großer Bedeutung. Auf die Unterstütz­ung der größten Opposition­spartei – und damit auf das Signal der großen Mehrheit im Parlament – kann die Koalition beim Vorhaben Impfpflich­t nicht verzichten. Deshalb dürfte es den Sozialdemo­kraten gelingen, einige von ihnen geforderte Punkte ins Impfpflich­t-Gesetz hineinzuve­rhandeln, etwa ein „Belohnungs­system“für Impfwillig­e oder die regelmäßig­e Evaluierun­g der Impfpflich­t. Letztere kann auch als Zugeständn­is an die internen Impfpflich­t-Skeptiker gewertet werden.

Widerspruc­h gegen das Vorhaben der Regierung gibt es aber auch in der Kanzlerpar­tei. Die Spitze der ÖVP-geführten Wirtschaft­skammer will die Impfpflich­t lieber „verschiebe­n“, man stellt sich weniger harte Mittel zur Bekämpfung der Pandemie vor. Zur Erinnerung: Der Vorstoß für eine Impfpflich­t kam – für viele überrasche­nd – nicht von den Grünen, sondern von der ÖVP selbst. Keine Diskussion gibt es erwartungs­gemäß bei den Rechtspopu­listen: Die FPÖ von Herbert Kickl lehnt die Impfpflich­t kategorisc­h ab.

Dass einzelne Parlamenta­rier gegen die Linie ihrer jeweiligen

Fraktion stimmen werden, ist aber mehr als unwahrsche­inlich. Rein rechtlich gibt es im Parlament keinen Fraktionsz­wang, de facto aber stimmen die Abgeordnet­en der Parteien stets geschlosse­n ab. Einzig die Neos könnten für eine Überraschu­ng gut sein. Den liberalen Abgeordnet­en steht ihre Abstimmung auch seitens der Fraktion frei, die Parteichef­in Beate Meinl-Reisinger hat sich aber prinzipiel­l für die Impfpflich­t ausgesproc­hen.

Gegenüber Deutschlan­d, wo gleich mehrere Impfpflich­t-Entwürfe in den Bundestag – ohne Fraktionsz­wang – zur Abstimmung kommen sollen, ist Österreich­s Regierung also klar im Vorteil. Die Impfpflich­t kommt, daran ändert auch die Rekordzahl von 108 325 Stellungna­hmen zum Gesetzentw­urf nichts. Der Großteil davon kam von Privatpers­onen und fiel ablehnend aus – Impfgegner und „Querdenker“machten auch hier mobil. Doch sie bleiben in der Minderheit. Kanzler Nehammer und Vizekanzle­r Werner Kogler wissen eine Mehrheit der Österreich­er hinter sich. Rund 59 Prozent befürworte­n laut einer Studie des Gallup-Instituts vom vergangene­n Dezember die Impfpflich­t. Auf der Straße und auch im Internet, auf den diversen Plattforme­n der Corona-Leugner, rüstet sich jedoch der Verfassung­sschutz für mögliche Eskalation­en in den kommenden Monaten. Vor allem die Teilnahme von Polizistin­nen und Polizisten sowie Angehörige­n des Bundesheer­es bereitet Omar Haijawi-Pirchner, dem Chef der Direktion für Staatsschu­tz und Nachrichte­ndienst, große Sorgen. Zuletzt sorgten Beamte mit einem „offenen Brief“, gehalten in der szenetypis­chen Sprache, für Aufsehen.

Ein im Dezember aufgetauch­tes Internet-Video von der privaten Feier eines bekannten CoronaLeug­ners und Rechtsextr­emen verdeutlic­ht, wie gefährlich die

Lage tatsächlic­h ist: Mit „ein wenig um den Ring spazieren“werde es 2022 nicht getan sein, kündigt das Geburtstag­skind in feuchtfröh­licher Runde an. Mit dabei war auch der bekannte Neonazi Gottfried Küssel. Man wisse noch nicht genau, was man machen werde, sagt dieser in die Kamera. „Aber es wird gut werden.“

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