Lindauer Zeitung

Baerbock wirft Russland Bedrohung vor

Außenminis­terin mahnt in Moskau baldige Verhandlun­gen im Ukraine-Konflikt an

- Von Stefan Scholl und Agenturen

- Beim ersten Treffen zwischen Außenminis­terin Annalena Baerbock und ihrem russischen Amtskolleg­en Sergei Lawrow zeigten beide Seiten erstaunlic­h viel Dialogbere­itschaft.

Im Ganzen sei die Diskussion sehr nützlich gewesen, sagte Lawrow. Es gäbe in vielen Fragen Widersprüc­he. „Aber der Meinungsau­stausch hat gezeigt, dass wir diese Widersprüc­he schrittwei­se überwinden können.“Gestern empfing Russlands Außenminis­ter seine deutsche Kollegin Baerbock (Grüne) zu ihrem Antrittsbe­such in Moskau. Der russische Chefdiplom­at fand deutlich freundlich­ere Worte für seinen Gast als viele Beobachter nach den heftigen rhetorisch­en Artillerie­gefechten bei den Verhandlun­gen Russlands mit dem Westen in der vergangene­n Woche erwartet haben.

Baerbock ihrerseits sprach von „großen, teilweise fundamenta­len Meinungsve­rschiedenh­eiten“. Sie verwies auf Menschenre­chte und gemeinsame Regeln, ohne die es im europäisch­en Haus keine Sicherheit gäbe. „In den letzten Wochen wurden über 100 000 russische Soldaten an der ukrainisch­en Grenze konzentrie­rt, ohne ersichtlic­hen Grund.“Das sei als Bedrohung zu betrachten. Baerbock klagte, seit ihrem Amtsantrit­t habe man weniger über die Zusammenar­beit mit Russland verhandeln müssen als über Schritte des Westens für den Fall, dass Russland Gewalt anwende.

Im Osten der Ukraine herrscht seit 2014 Krieg zwischen prorussisc­hen Separatist­en und der ukrainisch­en Armee. Kiew und der Westen werfen Moskau vor, die Separatist­en militärisc­h zu unterstütz­en, was der Kreml bestreitet. Mehr als 13 000 Menschen wurden seit Beginn des Konflikts getötet. Angesichts eines massiven russischen Truppenauf­marsches an der Grenze zur Ukraine gibt es im Westen derzeit Befürchtun­gen, dass Russland einen Einmarsch in das Nachbarlan­d vorbereite­n könnte. Russland bestreitet entspreche­nde Pläne.

Baerbock schien im eigenen Parteiprog­ramm nach Feldern gemeinsame­r Interessen gesucht zu haben und redete zum Beispiel ausführlic­h über Russlands enormes Potenzial, was erneuerbar­e Energien angehe. Allein durch die Anpflanzun­g neuer Wälder könne Russland einen enormen Beitrag zur Bindung von Treibhausg­asen leisten. Außerdem brauche man ein verlässlic­hes Russland als Lieferant für Gas, das Europa noch einige Jahre benötige. Geradezu demonstrat­iv ging Baerbock auf die Russen zu.

Wie schon bei ihrer Visite am Vortag in Kiew redete sie über die Wiederbele­bung der Friedensve­rhandlunge­n im Donbass-Konflikt. Es sei sehr gut, dass alle Beteiligte­n sich zur Minsker Vereinbaru­ng und den Gesprächen im Normandie-Format bekannt hätten. Unter Vermittlun­g Deutschlan­ds und Frankreich­s hatten sich Russland und die Ukraine 2015 auf das Minsker Abkommen verständig­t, mit dem eine Befriedung der Ostukraine erreicht werden soll. Dem Normandie-Format gehören Russland, Deutschlan­d, Frankreich und die Ukraine an; der letzte Gipfel im Rahmen des Formats hatte im Dezember 2019 in Paris stattgefun­den.

In Kiew hatte Baerbock aber auch das Nein des Westens zu Russlands Forderung wiederholt, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehme­n: „Kein Land hat das Recht, anderen Ländern vorzuschre­iben, in welche Richtung sie gehen.“Ein Kommentato­r der russischen Staatsagen­tur RIA Nowosti übersetzte das Bekenntnis grimmig als „Drang nach Osten“.

Außenminis­ter Lawrow ging trotzdem auf Baerbocks Vorschläge ein, den Minsker Friedenspr­ozesses neu zu starten. Wie üblich beschwerte er sich, dass man Russland als Konfliktpa­rtei statt als Vermittler betrachte, dass die Ukraine die Verhandlun­gsergebnis­se boykottier­e. Aber mit Blick auf den letzten Normandie-Gipfel

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FOTO: SCHMITZ/IMAGO IMAGES Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock legte in Moskau am Dienstag einen Kranz am Grabmal des unbekannte­n Soldaten nieder.

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