Baerbock wirft Russland Bedrohung vor
Außenministerin mahnt in Moskau baldige Verhandlungen im Ukraine-Konflikt an
- Beim ersten Treffen zwischen Außenministerin Annalena Baerbock und ihrem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow zeigten beide Seiten erstaunlich viel Dialogbereitschaft.
Im Ganzen sei die Diskussion sehr nützlich gewesen, sagte Lawrow. Es gäbe in vielen Fragen Widersprüche. „Aber der Meinungsaustausch hat gezeigt, dass wir diese Widersprüche schrittweise überwinden können.“Gestern empfing Russlands Außenminister seine deutsche Kollegin Baerbock (Grüne) zu ihrem Antrittsbesuch in Moskau. Der russische Chefdiplomat fand deutlich freundlichere Worte für seinen Gast als viele Beobachter nach den heftigen rhetorischen Artilleriegefechten bei den Verhandlungen Russlands mit dem Westen in der vergangenen Woche erwartet haben.
Baerbock ihrerseits sprach von „großen, teilweise fundamentalen Meinungsverschiedenheiten“. Sie verwies auf Menschenrechte und gemeinsame Regeln, ohne die es im europäischen Haus keine Sicherheit gäbe. „In den letzten Wochen wurden über 100 000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze konzentriert, ohne ersichtlichen Grund.“Das sei als Bedrohung zu betrachten. Baerbock klagte, seit ihrem Amtsantritt habe man weniger über die Zusammenarbeit mit Russland verhandeln müssen als über Schritte des Westens für den Fall, dass Russland Gewalt anwende.
Im Osten der Ukraine herrscht seit 2014 Krieg zwischen prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee. Kiew und der Westen werfen Moskau vor, die Separatisten militärisch zu unterstützen, was der Kreml bestreitet. Mehr als 13 000 Menschen wurden seit Beginn des Konflikts getötet. Angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches an der Grenze zur Ukraine gibt es im Westen derzeit Befürchtungen, dass Russland einen Einmarsch in das Nachbarland vorbereiten könnte. Russland bestreitet entsprechende Pläne.
Baerbock schien im eigenen Parteiprogramm nach Feldern gemeinsamer Interessen gesucht zu haben und redete zum Beispiel ausführlich über Russlands enormes Potenzial, was erneuerbare Energien angehe. Allein durch die Anpflanzung neuer Wälder könne Russland einen enormen Beitrag zur Bindung von Treibhausgasen leisten. Außerdem brauche man ein verlässliches Russland als Lieferant für Gas, das Europa noch einige Jahre benötige. Geradezu demonstrativ ging Baerbock auf die Russen zu.
Wie schon bei ihrer Visite am Vortag in Kiew redete sie über die Wiederbelebung der Friedensverhandlungen im Donbass-Konflikt. Es sei sehr gut, dass alle Beteiligten sich zur Minsker Vereinbarung und den Gesprächen im Normandie-Format bekannt hätten. Unter Vermittlung Deutschlands und Frankreichs hatten sich Russland und die Ukraine 2015 auf das Minsker Abkommen verständigt, mit dem eine Befriedung der Ostukraine erreicht werden soll. Dem Normandie-Format gehören Russland, Deutschland, Frankreich und die Ukraine an; der letzte Gipfel im Rahmen des Formats hatte im Dezember 2019 in Paris stattgefunden.
In Kiew hatte Baerbock aber auch das Nein des Westens zu Russlands Forderung wiederholt, die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen: „Kein Land hat das Recht, anderen Ländern vorzuschreiben, in welche Richtung sie gehen.“Ein Kommentator der russischen Staatsagentur RIA Nowosti übersetzte das Bekenntnis grimmig als „Drang nach Osten“.
Außenminister Lawrow ging trotzdem auf Baerbocks Vorschläge ein, den Minsker Friedensprozesses neu zu starten. Wie üblich beschwerte er sich, dass man Russland als Konfliktpartei statt als Vermittler betrachte, dass die Ukraine die Verhandlungsergebnisse boykottiere. Aber mit Blick auf den letzten Normandie-Gipfel