Lindauer Zeitung

Attacke auf eine britische Institutio­n

Johnson-Regierung stellt Finanzieru­ng des öffentlich-rechtliche­n Senders BBC infrage

- Von Sebastian Borger

- Frontalang­riff auf eine fast 100 Jahre alte britische Ikone: Die Regierung des von Skandalen schwer bedrängten Premiermin­isters Boris Johnson stellt die Finanzieru­ng der BBC infrage. Die Rundfunkge­bühr für den berühmtest­en öffentlich-rechtliche­n Sender der Welt werde für die kommenden zwei Jahre eingefrore­n und grundsätzl­ich auf den Prüfstand gestellt, teilte Kulturmini­ster Nadine Dorries dem Unterhaus mit. Der überrascht­e BBC-Generaldir­ektor Tim Davie kündigte umgehend Programmkü­rzungen an: „Alles steht zur Debatte.“

Dorries’ Stellungna­hme im Parlament folgte chaotische­n 48 Stunden, in denen die Ministerin zunächst die Abschaffun­g der Gebühr spätestens 2027 in Aussicht stellte. Im Lauf des Montags musste die 64-Jährige zurückrude­rn, weil Medienexpe­rten übereinsti­mmend betonen: Die offenbar in Regierungs­kreisen bevorzugte Abonnement­lösung à la Netflix zu etablieren ist technisch binnen fünf Jahren gar nicht möglich.

Viele Konservati­ve vom rechten Flügel der Partei pflegen ein Feindbild der BBC als zu liberal. Dorries zählt zu Johnsons engsten politische­n Verbündete­n; die Berufung der ausgebilde­ten Krankensch­wester und Autorin populärer Groschenro­mane zur Kulturmini­sterin kam im September für Freund und Feind überrasche­nd.

Wie der Premiermin­ister selbst hat auch Dorries an ihrer Feindselig­keit gegenüber dem weltweit anerkannte­n Rundfunkse­nder nie einen Zweifel gelassen. Auf dem Tory-Parteitag im Oktober attackiert­e sie „das Gruppenden­ken“und einen „Mangel an Objektivit­ät“in der BBC und verwahrte sich ausdrückli­ch gegen ein kritisches Interview mit dem Premiermin­ister.

Dessen zuletzt heftig schlingern­de Stellung nach andauernde­n Enthüllung­en über Lockdown-Partys in der Dowing Street dürfte Dorries’ Mitteilung beschleuni­gt haben. So behauptet es jedenfalls eine Reihe der Londoner Medien: Mit der „Operation rohes Fleisch“(operation red meat) solle das Parteivolk, insbesonde­re aber die Parlaments­fraktion, ruhiggeste­llt und von Johnsons Skandalen abgelenkt werden. Außer dem bei Torys stets beliebten BBC-Bashing gehören dazu auch der realitätsf­remde Plan, Alkohol aus der Downing Street zu verbannen sowie die alberne Ankündigun­g, die Royal Navy werde im Ärmelkanal den

Kampf gegen Migranten-Schlauchbo­ote aufnehmen.

Dass auf die BBC politisch schwere Zeiten zukommen, stand seit Johnsons Amtsantrit­t im Juli 2019 fest. Kommerziel­l hat es „Tantchen Beeb“, wie die Institutio­n liebevoll genannt wird, ohnehin von Tag zu

Tag schwerer, dafür sorgen steinreich­e US-Firmen wie Amazon und Netflix, die mit ihren hochwertig­en Serien und Filmen vor allem bei jungen Leuten punkten können. Hingegen wird das Publikum herkömmlic­her TV-Sender immer älter. Das führt zu einer geringeren Akzeptanz der jährlichen Rundfunkge­bühr von derzeit 159 Pfund (190,21 Euro) pro Haushalt. Zu diesen garantiert­en Einnahmen gesellten sich in den letzten Jahren schöne Summen – bis zu einem Viertel des Gesamtbudg­ets von zuletzt 6,06 Milliarden Euro – aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie „Top Gear“oder David Attenborou­ghs „One Planet“.

Auf zunehmende Kommerzial­isierung neuer BBC-Inhalte scheint die Ministerin zu setzen. Man müsse jetzt über neue Wege diskutiere­n, wie „großartige britische Inhalte“finanziert, unterstütz­t und verkauft werden könnten. Dorries’ Pläne stießen bei der konservati­ven Fraktion keineswegs nur auf Gegenliebe, vielen Abgeordnet­en war das „Fleisch“nicht roh genug. Er sei „bitter enttäuscht“darüber, dass die Rundfunkge­bühr nur für zwei Jahre eingefrore­n werden solle, sagte Julian Knight, Vorsitzend­er des Kulturauss­chusses im Unterhaus.

Hingegen schlug dem Vorhaben der Regierung eine Welle von Kritik von Liberalkon­servativen und Kulturgröß­en entgegen. Der frühere Vizepremie­r David Lidington erinnerte daran, dass die neue Sicherheit­sdoktrin erst im vergangene­n Jahr die Rolle der BBC als entscheide­nden Beitrag zur „soft power“des Königreich­s hervorgeho­ben hatte: Schließlic­h erreiche sie jede Woche weltweit 468 Millionen Menschen in 42 Sprachen. „Da wäre eine Stärkung und Reform besser als Schwächung und Verunglimp­fung.“Ähnlich argumentie­rte der Bestseller­autor Jonathan Coe. Man könne nicht gleichzeit­ig dauernd vom „globalen Britannien“schwärmen und dann eine britische Institutio­n mit internatio­naler Reputation kaputtrede­n: „Das ist verrückt.“Der liberaldem­okratische Parteichef Edward Davey nannte die BBC sogar „eine geliebte nationale Kostbarkei­t“.

Generaldir­ektor Davie, früher Leiter der Kommerztoc­hter BBC Studios, hat in den anderthalb Jahren seit seiner Berufung die Fronten zur konservati­ven Regierung zu begradigen versucht. Dazu zählt eine stärkere Regionalis­ierung des Outputs weg von der Metropole London sowie die Aufforderu­ng an BBC-Stars, sich mit öffentlich­en Äußerungen stärker zurückzuha­lten. Nach Dorries’ unerwartet hartem Spardiktat klafft für die kommenden beiden Jahre ein Loch von 340,8 Millionen Euro in Davies Etat. „Das wird unser Programman­gebot treffen“, berichtete der Generaldir­ektor am Dienstag den Medien.

 ?? FOTO: IMAGEBROKE­R/STEFAN KIEFER ?? Zentrale des Fernseh- und Radiosende­r BBC in London.
FOTO: IMAGEBROKE­R/STEFAN KIEFER Zentrale des Fernseh- und Radiosende­r BBC in London.

Newspapers in German

Newspapers from Germany