Attacke auf eine britische Institution
Johnson-Regierung stellt Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Senders BBC infrage
- Frontalangriff auf eine fast 100 Jahre alte britische Ikone: Die Regierung des von Skandalen schwer bedrängten Premierministers Boris Johnson stellt die Finanzierung der BBC infrage. Die Rundfunkgebühr für den berühmtesten öffentlich-rechtlichen Sender der Welt werde für die kommenden zwei Jahre eingefroren und grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt, teilte Kulturminister Nadine Dorries dem Unterhaus mit. Der überraschte BBC-Generaldirektor Tim Davie kündigte umgehend Programmkürzungen an: „Alles steht zur Debatte.“
Dorries’ Stellungnahme im Parlament folgte chaotischen 48 Stunden, in denen die Ministerin zunächst die Abschaffung der Gebühr spätestens 2027 in Aussicht stellte. Im Lauf des Montags musste die 64-Jährige zurückrudern, weil Medienexperten übereinstimmend betonen: Die offenbar in Regierungskreisen bevorzugte Abonnementlösung à la Netflix zu etablieren ist technisch binnen fünf Jahren gar nicht möglich.
Viele Konservative vom rechten Flügel der Partei pflegen ein Feindbild der BBC als zu liberal. Dorries zählt zu Johnsons engsten politischen Verbündeten; die Berufung der ausgebildeten Krankenschwester und Autorin populärer Groschenromane zur Kulturministerin kam im September für Freund und Feind überraschend.
Wie der Premierminister selbst hat auch Dorries an ihrer Feindseligkeit gegenüber dem weltweit anerkannten Rundfunksender nie einen Zweifel gelassen. Auf dem Tory-Parteitag im Oktober attackierte sie „das Gruppendenken“und einen „Mangel an Objektivität“in der BBC und verwahrte sich ausdrücklich gegen ein kritisches Interview mit dem Premierminister.
Dessen zuletzt heftig schlingernde Stellung nach andauernden Enthüllungen über Lockdown-Partys in der Dowing Street dürfte Dorries’ Mitteilung beschleunigt haben. So behauptet es jedenfalls eine Reihe der Londoner Medien: Mit der „Operation rohes Fleisch“(operation red meat) solle das Parteivolk, insbesondere aber die Parlamentsfraktion, ruhiggestellt und von Johnsons Skandalen abgelenkt werden. Außer dem bei Torys stets beliebten BBC-Bashing gehören dazu auch der realitätsfremde Plan, Alkohol aus der Downing Street zu verbannen sowie die alberne Ankündigung, die Royal Navy werde im Ärmelkanal den
Kampf gegen Migranten-Schlauchboote aufnehmen.
Dass auf die BBC politisch schwere Zeiten zukommen, stand seit Johnsons Amtsantritt im Juli 2019 fest. Kommerziell hat es „Tantchen Beeb“, wie die Institution liebevoll genannt wird, ohnehin von Tag zu
Tag schwerer, dafür sorgen steinreiche US-Firmen wie Amazon und Netflix, die mit ihren hochwertigen Serien und Filmen vor allem bei jungen Leuten punkten können. Hingegen wird das Publikum herkömmlicher TV-Sender immer älter. Das führt zu einer geringeren Akzeptanz der jährlichen Rundfunkgebühr von derzeit 159 Pfund (190,21 Euro) pro Haushalt. Zu diesen garantierten Einnahmen gesellten sich in den letzten Jahren schöne Summen – bis zu einem Viertel des Gesamtbudgets von zuletzt 6,06 Milliarden Euro – aus dem weltweiten Verkauf populärer Programme wie „Top Gear“oder David Attenboroughs „One Planet“.
Auf zunehmende Kommerzialisierung neuer BBC-Inhalte scheint die Ministerin zu setzen. Man müsse jetzt über neue Wege diskutieren, wie „großartige britische Inhalte“finanziert, unterstützt und verkauft werden könnten. Dorries’ Pläne stießen bei der konservativen Fraktion keineswegs nur auf Gegenliebe, vielen Abgeordneten war das „Fleisch“nicht roh genug. Er sei „bitter enttäuscht“darüber, dass die Rundfunkgebühr nur für zwei Jahre eingefroren werden solle, sagte Julian Knight, Vorsitzender des Kulturausschusses im Unterhaus.
Hingegen schlug dem Vorhaben der Regierung eine Welle von Kritik von Liberalkonservativen und Kulturgrößen entgegen. Der frühere Vizepremier David Lidington erinnerte daran, dass die neue Sicherheitsdoktrin erst im vergangenen Jahr die Rolle der BBC als entscheidenden Beitrag zur „soft power“des Königreichs hervorgehoben hatte: Schließlich erreiche sie jede Woche weltweit 468 Millionen Menschen in 42 Sprachen. „Da wäre eine Stärkung und Reform besser als Schwächung und Verunglimpfung.“Ähnlich argumentierte der Bestsellerautor Jonathan Coe. Man könne nicht gleichzeitig dauernd vom „globalen Britannien“schwärmen und dann eine britische Institution mit internationaler Reputation kaputtreden: „Das ist verrückt.“Der liberaldemokratische Parteichef Edward Davey nannte die BBC sogar „eine geliebte nationale Kostbarkeit“.
Generaldirektor Davie, früher Leiter der Kommerztochter BBC Studios, hat in den anderthalb Jahren seit seiner Berufung die Fronten zur konservativen Regierung zu begradigen versucht. Dazu zählt eine stärkere Regionalisierung des Outputs weg von der Metropole London sowie die Aufforderung an BBC-Stars, sich mit öffentlichen Äußerungen stärker zurückzuhalten. Nach Dorries’ unerwartet hartem Spardiktat klafft für die kommenden beiden Jahre ein Loch von 340,8 Millionen Euro in Davies Etat. „Das wird unser Programmangebot treffen“, berichtete der Generaldirektor am Dienstag den Medien.