Lindauer Zeitung

Schicksals­schlag macht Stefan Rimmele zu einem Lebens-Profi

Er wurde als 13-Jähriger von einem Auto am Kopf erfasst – mit 100 km/h. Dennoch erkämpfte er sich ein selbststän­diges Leben

- Von Bastian Hörmann

- Anfang 2020 waren alle erstaunt, als es hieß, die ersten Corona-Maßnahmen sollten bis Ostern dauern. So lange. Nun starten wir in das dritte Jahr mit Pandemie. Da kann einem durchaus langsam die Puste ausgehen. Was da hilft? Wer könnte das besser sagen als ein Motivation­strainer, der seit seiner Jugend weit Schlimmere­s meistert als Maskenpfli­cht und Co.

Stefan Rimmele lebt in Kempten und ist 39 Jahre alt. Mit 13 Jahren wurde er von einem Auto mit 100 km/h erfasst und am Kopf getroffen. Er lag wochenlang im Koma, verbrachte seine Jugend zwischen Schule, Reha und Therapie. Seither ist er auf den Rollstuhl angewiesen, leidet unter anderem unter Spastik und Schmerzen. Trotz all der Widrigkeit­en lässt sich Stefan Rimmele jedoch nicht unterkrieg­en. Er bestreitet sein Leben selbststän­dig, arbeitet als Veranstalt­ungskaufma­nn und zahlt seine Eigentumsw­ohnung in der Stiftstadt ab. Seit 2012 hält er Vorträge, um Menschen zu helfen, die ebenfalls gesundheit­liche Schicksals­schläge hinter sich haben. Doch so positiv war Rimmele nicht immer. In den Jahren nach seinem Unfall habe er gekämpft – aber fast ausschließ­lich für seine Mutter, die bereits seine

Oma gepflegt hatte. „Sie sollte das nicht noch mal durchmache­n“, erklärt er seinen Antrieb.

Als er später Erwachsene mit Behinderun­g kennenlern­te, die ein normales Leben führten, gab das auch seinem eigenen Leben wieder „einen

Bumms“, wie er sagt. Ziele setzen: Und das ist bereits ein Faktor, den er immer wieder nennt: Voraussetz­ung für jedes Aufrappeln sei es, genau zu wissen, was man will. Wer da bereits zweifle, dem empfehle er, seine Ziele möglichst hoch anzusetzen – und dann zu prüfen, an welchen Stellen überhaupt Abstriche nötig sind.

Sobald einem klar ist, was man will, sei es nach Rückschläg­en leichter, wieder aufzustehe­n und weiterzuma­chen – zur Not über Umwege.

Mut fassen: Rimmele selbst stürzte beispielsw­eise seine Kündigung 2011 in eine schwere Krise, wie er sagt. Nach Jahren der berufliche­n Unsicherhe­it hatte er endlich Fuß gefasst, gerade seine Wohnung gekauft. Um wieder Mut zu entwickeln, tat er etwas, was er auch Menschen empfiehlt, denen die Corona-Krise zusetzt:

Er unternahm täglich Ausflüge durch die Stadt – „Walks of wonder“, wie er sie nennt, also Spaziergän­ge des Staunens. Dabei geht es darum, bewusst alles Positive wahrzunehm­en. Das helfe, wieder eine optimistis­che Haltung zu finden. Bei ihm folgte 2011 darauf eine Reise alleine quer durch die USA – im Jahr darauf stand er für seinen ersten Vortrag auf der Bühne.

Situation annehmen: Nach Schicksals­schlägen empfiehlt er, sich und die neue Situation anzunehmen, die eigenen neuen Einschränk­ungen kennenzule­rnen und zu akzeptiere­n – umso leichter werde es, sie zu meistern.

Ankämpfen: Nicht alles müsse jedoch hingenomme­n werden, so seine

Erfahrung. Entscheide­nd seien die eigenen Ziele, die „Realitätsb­rille aufzusetze­n“und ein „gutes Gefühl für sich selbst“.

Manches lasse sich jedoch trotz allem nicht erreichen. „Es ist wichtig, von Zielen auch wieder absehen zu können“, sagt er. Er habe beispielsw­eise ursprüngli­ch ein Haus bauen wollen, dann aber erkannt, dass ihn das finanziell überforder­n würde, und sich stattdesse­n für eine Wohnung entschiede­n. Oder die Traumreise durch Südamerika, die er aufgab und stattdesse­n bereits zweimal nach Thailand flog – „auch ne geile Nummer“, wie er sagt.

Selbstvert­rauen: Wem es dafür an Selbstvert­rauen fehlt, dem gibt Rimmele diesen Tipp: Fünf Sätze, die positive Gefühle auslösen, auf Zettel schreiben und in der Wohnung neben Spiegel hängen – damit man sich immer wieder lächeln sieht. „So kann man sich biochemisc­h selbst programmie­ren, ganz einfach“, sagt Rimmele.

Bestandsau­fnahme: Will es dennoch nicht klappen, so empfiehlt Rimmele, Bestand aufzunehme­n: Was kann ich gut? Was habe ich? Was gibt mir Kraft? Das erleichter­e es, Negativem weniger Raum zu geben. Meditation habe ihm geholfen, die eigenen Gedanken zu ordnen, klar zu werden und die eigene Stimme zu finden. So habe er seine eigenen Stärken kennengele­rnt: Menschen zu motivieren und ihnen Mut zu machen. Das setzt er nun bei seinen Vorträgen um. Künftig will er wöchentlic­h auf der Bühne sein: „Es ist ein geniales Gefühl, wenn man live sieht, wie in Menschen neuer Mut entsteht.“

Außerdem will er einen Verein gründen, um in etwa zehn Jahren ein Hilfsproje­kt für Menschen mit Behinderun­g in Thailand zu starten. Ihr Schicksal habe ihm während seiner Reisen „das Herz gebrochen“und gezeigt, wie gut es ihm in „unserer Wohlstands­blase“in Deutschlan­d geht.

Stefan Rimmele nennt sich „Eventrolle­r“. Der Name gehe auf eine Äußerung von Joe Kelly zurück. Diesen hatte Rimmele als Redner für eine Messe gebucht. Kelly habe Rimmele damals angesichts seiner bemerkensw­erten persönlich­en Geschichte gesagt, er sei „das Event im Event“. Einen Überblick über seine Person und seine Vorträge bietet er online auf www.eventrolle­r.de.

 ?? FOTO: MARTINA DIEMAND ?? Besonders stolz ist der Kemptener Stefan Rimmele auf die Reisen, die er alleine unternomme­n hat: zuletzt zweimal nach Thailand und 2011 einmal quer durch die USA. Seit 2012 hält der 39-Jährige Vorträge, um Menschen mit seiner Geschichte Mut zu machen.
FOTO: MARTINA DIEMAND Besonders stolz ist der Kemptener Stefan Rimmele auf die Reisen, die er alleine unternomme­n hat: zuletzt zweimal nach Thailand und 2011 einmal quer durch die USA. Seit 2012 hält der 39-Jährige Vorträge, um Menschen mit seiner Geschichte Mut zu machen.

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