Der ganz große Budenzauber
Bradley Cooper brilliert in „Nightmare Alley“von Guillermo del Torro als ambitionierter Schwindler
KVon Stefan Rother
leine, unabhängige Filmproduktionen haben sicher ihren Reiz, aber nicht unbedingt für Guillermo del Toro. Bei dem mexikanischen Filmemacher („Pan’s Labyrinth“) kann es meist nicht opulent genug zugehen. Diese Devise gilt auch für seinen jüngsten Film „Nightmare Alley“, der mit nicht weniger als acht oscarnominierten Darstellern, aufwendigen Kulissen und einer Spielzeit von stolzen zweieinhalb Stunden aufwarten kann.
Doch was nach der filmischen Achterbahnfahrt am meisten haften bleibt, ist die brillante schauspielerische Leistung von Bradley Cooper, der sich mit der Rolle des Stanton „Stan“Carlisle berechtigte Hoffnungen auf eine weitere Nominierung, wenn nicht gar Auszeichnung, machen kann.
Als Stan nimmt der Schauspieler mit der beachtlichen Bandbreite – von „Hangover“über „American Sniper“bis hin zu „A Star Is Born“– den Zuschauer auf eine wendungsreiche Reise mit. Dabei vergeht einige Zeit, bis man seine Figur überhaupt sprechen hört, ein Charakterzug, der sich mit fortschreitender Filmhandlung ins klare Gegenteil verkehrt.
Zu Beginn des im Amerika der späten 1930er-Jahre spielenden Films sieht man Stan sein heruntergekommenes Elternhaus im Mittleren Westen abbrennen. Ziellos bricht er auf und landet bei einem Jahrmarkt, der in der Nähe gastiert. Der lockt Zuschauer mit möglichst schaurigen Attraktionen, darunter ein Freak – „halb Mann, halb Bestie“– der in einem Käfig lebt und einem lebenden Huhn den Kopf abbeißt. Schaudernd will Stan weiterziehen, doch da ergibt sich ein Aushilfsjob für ihn auf dem Jahrmarkt. Dessen Betreiber Clement „Clem“Hoately (Willem Dafoe) findet Gefallen an dem so schweig- wie arbeitsamen Mann. Und ehe er sich versieht, ist Stan Teil der schrägen Schaustellergemeinde geworden.
Mittelfristig hat er aber größere Pläne und saugt alles auf, was er an Lektionen lernen kann. So bringt ihm das Zaubererpaar Zeena (Toni Collette) und Pete (David Strathairn) ihre ausgeklügelten Tricks bei, mit denen sie scheinbar die Gedanken der Zuschauer erraten können. Der bei ihren Auftritten unter Starkstrom stehenden jungen Molly (Rooney Mara) hilft Stan, ihre Nummer zu verbessern – nicht ohne Hintergedanken, denn mit ihr will er eines Tages zu einem prunkvolleren Leben aufbrechen. Nach dem Tod Petes ist es dann tatsächlich so weit, die beiden verlassen gegen den anfänglichen Widerstand von Mollys väterlichem Freund Bruno (del Torros Stammschauspieler Ron Perlman) den Jahrmarkt.
Hier setzt nun mit einem zweijährigen Zeitsprung das zweite Kapitel des Films ein. Nach ausgiebiger Vorbereitung ist aus Stan „The Great Stanton“geworden, der mit Molly als Assistentin in den wohlhabenden Kreisen New Yorks auftritt. Mit verbundenen Augen kann er Gegenstände erraten, sieht scheinbar in das tiefste Innere der Gäste hinein und hat vielleicht sogar eine Kontaktebene zu den Verstorbenen. Mit solchen wundersamen Fähigkeiten lässt sich ordentlich Geld machen. Die nächste Stufe scheint erreicht, als die Psychiaterin Lilith Ritter (Cate Blanchett) auf den Plan tritt. Sie besitzt Zugang zur absoluten Oberschicht der Stadt. Aber kann Stan in dieser Liga mitspielen?
Der Film basiert auf einem Roman von William Lindsay Greshams, der bereits im Jahr 1947 verfilmt wurde und in Deutschland in den 1950erJahren als „Der Scharlatan“in die Kinos kam. Anleihen beim zeitgenössischen „Film noir“-Genre und den damals populären Groschenheften finden sich auch in del Toros Adaption. Diese geht allerdings noch ein gutes Stück kompromissloser an das Material heran, vor allem das Ende dürfte einigen Zuschauern an die Nieren gehen.
Der Regisseur stürzt sich mit sichtlicher Begeisterung in die Szenerie des Jahrmarkts mit seiner Gemeinschaft der Freaks und Ausgestoßenen. Entsprechend aufwendig sind die Bilder hier komponiert, setzen auf Düsternis und Schatten, die im starken Kontrast zur hell ausgeleuchteten Hochglanzwelt der zweiten Filmhälfte stehen. Auch an Symbolik wird nicht gespart, Spiegel spielen an mehreren Stellen eine wichtige Rolle und beschreiben auch das Verhältnis vieler Figuren untereinander. Die Kniffe der Mentalisten, die ihre Klientel gekonnt manipulieren, tragen einen guten Teil zur Faszination des – trotz seiner langen Spielzeit – kurzweiligen Films bei. Vor allem ist „Nightmare Alley“aber eine Geschichte von Gier und Macht und der Frage, ob es ein vorbestimmtes Schicksal gibt, auf das man zielstrebig zumarschiert.
Größere Lichtblicke sollte man bei einem solchen Arrangement nicht erwarten, und so blieb der Film in Amerika an den Kinokassen auch hinter den Erwartungen zurück. Vielleicht bot er zuviel Düsternis in Zeiten der Pandemie.
Doch gerade für solche überbordenden Filme lohnt auch weiterhin ein Kinobesuch – selbst wenn die Bilder der Traumfabrik einen erschauern lassen.
Nightmare Alley. Regie: Guillermo del Toro. Mit Bradley Cooper, Cate Blanchett, Toni Collette, Rooney Mara. USA 2021. 150 Minuten. FSK ab 16.