Die erste Frau im Rettungsdienst
Was Waltraud Mayer in mehr als 30 Jahren Dienst alles erlebt hat - Erinnerungen füllen ein Buch
- Sie wollte Verletzten helfen. Und sie wollte hinter das Steuer des Rettungswagens, auch wenn dort bisher nur Männer saßen: Waltraud Mayer war die erste Frau im Rettungsdienst beim Kreisverband Lindau. LZ-Redakteurin Yvonne Roither hat sich mit ihr über ihre Erlebnisse unterhalten, die sie nun in einem Buch festgehalten hat.
Mit 25 Jahren waren Sie Hausfrau und Mutter von drei Kindern. Trotzdem suchten Sie neue Herausforderungen. Fühlten Sie sich nicht ausgelastet?
(lacht) Eigentlich schon. Aber ich wollte auch mal was anderes machen. Und mein Mann hat ja auch mitgeholfen. Also habe ich den Taxischein gemacht.
Warum wollten Sie Taxi fahren? Ich bin einfach schon immer gern Auto gefahren, konnte mir aber kein eigenes leisten. Also habe ich mir gesagt, wenn ich Taxi fahre, kann ich mir das Auto aussuchen. Die Prüfung war für mich als gebürtige Dornbirnerin gar nicht so leicht, weil ich Ortskenntnisse beweisen musste. Aber ich habe es hingekriegt. Damals gab es noch nicht viele Frauen in Lindau, die Taxi gefahren sind. Der Vorteil war, dass ich mir die Zeit frei einteilen konnte.
Wie sind Sie vom Taxi zum BRK gekommen?
Als ich gehört habe, dass dort Ehrenamtliche gesucht werden, habe ich mich gleich zum Unterricht angemeldet. Ich war damals im Sozialdienst, habe also Menschen betreut und für sie gekocht. Das war das, was Frauen damals im BRK gemacht haben. Aber das hatte ich Zuhause ja auch. Ich wollte in den Rettungsdienst, wollte unbedingt ans Steuer eines Rettungswagens, aber es gab damals noch eine strikte Trennung von Männern und Frauen. Bis mir der Wachleiter einen Tipp gab.
Was für einen?
Er sagte, ich soll bei den Frauen kündigen und mich bei den Männern bewerben. Denn in der Satzung stand nichts vom Geschlecht, sondern nur „alle Personen“. Das habe ich dann gemacht, und ich wurde bei den Männern aufgenommen. Und dann ging’s los mit dem Ärger.
Es gab Widerstand?
Ja, und zwar nicht von den Männern, sondern von den Frauen. Viele meinten, ich gehe nur wegen der Männer dorthin. Dabei hatte ich ja einen zu Hause (lacht). Es wurde mir viel Zeug angedichtet, aber ich habe mich nie verteidigt, sondern einfach weiter meine Arbeit gemacht.
Und die haben Sie offensichtlich sehr gut gemacht...
Als Ehrenamtliche bei den Männern konnte ich für einen Hauptamtlichen einspringen. Als klar war, dass der Kollege nicht mehr kommt, habe ich mich sofort beworben. Im Ausschuss hatten alle Männer für mich und alle Frauen gegen mich gestimmt. Weil die Männer in der Überzahl waren, bekam ich die Stelle. Jetzt war ich hauptamtlich im Rettungsdienst.
Wer das Buch liest, spürt Ihre Begeisterung für diesen Beruf. Was gefällt ihnen so daran?
Ich war mit Leib und Seele Sanitäterin, das war mein Traumberuf. Man kann helfen, lernt viele Menschen und deren Schicksale kennen, der Beruf ist abwechslungsreich und aufregend. Wenn ich bei einem Einsatz mit Blaulicht unterwegs war und es schnell gehen musste, das war genau mein Ding.
Hatten manche Patienten Vorbehalte, weil Sie eine Frau waren? Die meisten waren einfach nur dankbar, Hilfe zu bekommen. Und wenn jemand mit einem Mann besser zudung recht gekommen ist, haben wir einfach getauscht. Aber sehr viele waren froh, dass eine Frau da war.
Wissen Sie, wie viele Einsätze Sie in all den Jahren hatten?
Nein, aber ich glaube, ich hab die Welt schon mit dem Rettungswagen umrundet. Es waren auch viele Fernfahrten dabei, beispielsweise Krankentransporte nach Nizza und Brüssel. Ich hatte nie Angst auf dem Fahrzeug.
Welche Erlebnisse werden Sie nie vergessen?
Den Fall Kalinka (Anm. der Redaktion: Die Tötung von Kalinka Bamberski im Jahr 1982 war ein grenzübergreifender Kriminalfall, der über mehrere Jahrzehnte großes Aufsehen erregte). Damals war ich die erste am Geschehen. Als die Melkam „bewusstlose Person“, wusste ich, dass das die Adresse meines Hausarztes Dr. Krombach war. Als ich kam, sagte er zu mir. „Ach, ich glaube, es ist schon zu spät.“Als ich das Mädchen dann sah, wunderte ich mich. Die Leichenstarre war schon voll ausgeprägt. Viele Jahre später, als ich schon in Rente war, musste ich nach Paris, um eine Zeugenaussage zu machen. Ich wurde vereidigt, es war richtig aufregend.
Sie haben damals aber auch Probleme mit ihrem Vorgesetzten bekommen...
Der junge Notarzt entschied, dass wir das tote Mädchen im Krankenwagen mitnehmen sollen. Das war gegen die Vorschriften, aber der Notarzt hat gesagt, er nimmt es auf seine Kappe. Ich habe mich breitschlagen lassen und dann später von meinem Chef eine Rüge bekommen, die sich gewaschen hat. Dabei habe ich gelernt: Ich allein bin für mein Fahrzeug verantwortlich.
Gab es auch schöne Erlebnisse, die unvergessen sind?
Viele. Ich werde nie vergessen, wie glücklich eine junge Krebspatientin war, der wir zu ihrem Geburtstag einen Besuch bei ihren Eltern ermöglicht haben. Ein paar Tage später ist sie gestorben. Ich war froh, dass wir sie hingefahren haben.
Als Rettungssanitäterin bekamen Sie viel Leid mit. Wie sind Sie damit klargekommen?
Man braucht ein dickes Fell. Ich habe mit meinen Kollegen bei der Arbeit darüber gesprochen, so konnte ich es verarbeiten. Man darf es nicht mit nach Hause nehmen.
Wie hat sich die Arbeit über die Jahre verändert?
Damals gab es noch kein Tablet, kein Navi, wir hatten noch nicht einmal eine Klimaanlage im Wagen. Wir mussten alles von Hand schreiben und die Zettel dann später in ein Buch eintragen. Es gab keine Rampen für die Tragestühle, auch die Tragen waren andere. Es war schon viel Knochenarbeit damals. Das merke ich heute an meinem Kreuz.
Ihre Karriere als Rettungssanitäterin liest sich wie eine steile Erfolgsgeschichte. Hatten Sie auch mal mit Rückschlägen zu kämpfen?
Ich hatte große Probleme mit einem Vorgesetzten, der mir Knüppel zwischen die Füße geworfen hat, wo es nur ging. Auch wenn mir da einiges sehr weh getan hat, ich habe mich durchgebissen.
Nun werden Ihre Erinnerungen veröffentlicht. Wie ist die Idee zu dem Buch entstanden?
Ich habe oft gesagt, ich hab so viel erlebt, ich könnte ein Buch schreiben. Meine Tochter, die bereits zwei Romane verfasst hat, nahm das dann tatsächlich in Angriff. Ich gab ihr meinen silbernen Koffer, da waren alle interessanten Erinnerungen drin. Da sie 600 Kilometer entfernt lebt, haben wir viel telefoniert. Im Urlaub hat sie dann ihren Laptop nach Lindau mitgenommen und hier weiter geschrieben. Dadurch wurden meine Erinnerungen aufgefrischt.
Wenn Sie zurückblicken: Worauf sind Sie stolz?
Dass ich alles unter einen Hut bekommen habe trotz meiner hauptamtlichen Tätigkeit. Aus allen meinen Kindern ist etwas geworden. Ich kann mit Stolz sagen, dass es ihnen nicht geschadet hat, dass ich so viel gearbeitet habe.
Was würden Sie heute jungen Frauen raten?
Ich würde ihnen raten, mutig zu sein.
Waltraud Mayer hat ihre Erlebnisse in einem Buch zusammengefasst, das am 4. Februar im Verlag Eden Books erscheint. Es kostet 16,95 Euro und ist unter der ISBN-Nr. 978-3-95910-339-8 in allen Buchhandlungen bestellbar.