Lindauer Zeitung

Mann zieht blank und landet vor Gericht

Amtsgerich­t Ravensburg verurteilt 39-Jährigen zu einer Freiheitss­trafe

- Von Philipp Richter

- Der Blick des 39-Jährigen liegt auf seinen Händen auf dem Tisch, die Beine hat er nach hinten über Kreuz geschlagen. Er scheint nervös zu sein, als Staatsanwä­ltin Silke Bruder im Sitzungssa­al 106 im Amtsgerich­t Ravensburg die Anklage verliest.

Dabei war es nicht das erste Mal, dass er wegen Exhibition­ismus vor Gericht landet. Der Fall, der sich im Juni auf einem Schulhof in einer Gemeinde im östlichen Landkreis Ravensburg zugetragen hat, setzte ein ganzes Dorf in Aufruhr, wie eine Zeugin schildert. Am Ende der Verhandlun­g verlässt der Angeklagte den Gerichtssa­al mit einer Freiheitss­trafe.

Es ist der 9. Juni 2021 gegen 20 Uhr, als Martin S. (Name von der Redaktion geändert) sich dem Hof der örtlichen Schule nähert. Er habe zwei Wodka Bull und zwei Bier getrunken, er sei „gut drauf“und mit dem Fahrrad unterwegs gewesen, berichtet er. Zur gleichen Zeit befindet sich eine Gruppe von 15 Frauen auf dem Hof und tanzt Zumba.

Martin S. fühlt sich von der Musik angezogen und entdeckt die Frauen. „Dann ist die Libido mit mir durch“, sagt er vor Gericht. Er habe sich versteckt und die Hose runtergela­ssen.

Die Hauptzeugi­n in dem Prozess tanzt mit den anderen Frauen. „Als ich mich umdrehte, sah ich einen Mann, der sich entblößt hatte und mit seinem Penis hin und her gewedelt hat. Dann hat er eine Zigarette geraucht“, schildert sie den Vorfall. Sie habe sich mit der Frauengrup­pe beratschla­gt, wie man reagieren solle. Schließlic­h ist sich die Gruppe einig, dass man abwarten will.

Doch Martin S. hat den Hof nicht verlassen. Die Frauen sehen ihn wieder. „Dann hat er eindeutig onaniert“, berichtet die Zeugin. Sofort habe man die Polizei gerufen. Vor Gericht gesteht Martin S. die Tat vollumfäng­lich, akzeptiert das Urteil und will auch keine Rechtsmitt­el einlegen. Genau so habe es sich zugetragen. Er entschuldi­gt sich: „Es tut mir auf jeden Fall mega leid.“Und fügt hinzu: „Ich war total verblendet und dachte, das könnte man toll finden.“

Darüber lacht die 43-jährige Hauptzeugi­n abfällig und macht deutlich, dass das niemand toll findet. Im Gegenteil. Sie sei schockiert gewesen, habe Ekel empfunden, sich bedroht gefühlt, und noch schlimmer seien die Konsequenz­en, die sie für sich gezogen hat.

Sie verlasse das Haus jetzt nur noch mit Pfefferspr­ay und fährt ihr Kind seither nur noch mit dem Auto zur Schule. „Wenn sich jemand traut, das vor 15 Frauen zu machen, was macht der, wenn man nachts allein unterwegs ist?“, sagt sie. Der Vorfall habe im Ort schnell die Runde gemacht. Viele hätten Angst, dass ihre Kinder auch so etwas sehen könnten.

Der Angeklagte aber versichert, dass er es zu keinem Zeitpunkt auf Kinder abgesehen habe. „Bei einem Kind würde das bei mir gar nicht funktionie­ren“, sagt Martin S. Allerdings berichtete er, dass er einen „lockeren Umgang mit Sexualität in der Öffentlich­keit“und an ungewöhnli­chen Orten pflege – zuerst mit seiner früheren Partnerin und jetzt eben allein.

Die Lust dazu sei immer dann gekommen, wenn er Alkohol getrunken oder Marihuana geraucht habe. „Ich habe einfach nicht begriffen, was das für eine Tat ist“, sagt er.

Exhibition­istische Handlungen eines Mannes sind laut Paragraf 183 des Strafgeset­zbuchs mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitss­trafe von bis zu einem Jahr zu bestrafen. Das müsste Martin S. eigentlich gut wissen, denn er wurde schon zweimal genau deswegen verurteilt – zudem gibt es ein Urteil wegen des Verstoßes gegen das Betäubungs­mittelgese­tz.

Das Amtsgerich­t Frankfurt und das Amtsgerich­t Ravensburg verurteilt­en den Mann wegen exhibition­istischer Handlungen im Januar und im Februar 2021 jeweils zu Geldstrafe­n. Laut Urteil vom Amtsgerich­t Ravensburg hat er sich im Februar 2021 vor einem Geschäft auf dem Löwenplatz in Weingarten zwei Verkäuferi­nnen gezeigt. Im Urteil vom Amtsgerich­t Frankfurt ist die Rede, dass auch sexuelle Handlungen vor einem zehnjährig­en

Oftmals wollen Exhibition­isten durch ihre Taten auffallen und provoziere­n, schreibt das Polizeiprä­sidium Ravensburg auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Scham und das Irritieren anderer Menschen oder gar die Schaffung von Intimität setze dabei einen besonderen Reiz.

Deswegen gilt Exhibition­ismus in der Psychologi­e als Paraphilie und wird dem Kapitel der psychische­n und Verhaltens­störungen zugeordnet. Norbert Ormanns von der Klinik für Forensisch­e Psychiatri­e und Psychother­apie in Kaufbeuren sagte der „Allgäuer Zeitung“über Exhibition­isten: „Häufig geht von ihnen keine weitere Gefahr aus.“Und: „In der Kind stattgefun­den haben, das zwei Meter von ihm entfernt gewesen ist. Martin S.: „Ich hab das Kind gar nicht wahrgenomm­en. Es ging mir um die Mutter.“

Wegen des dritten Falls innerhalb eines Jahres wird der 39-Jährige am Mittwoch letztlich zu einer Freiheitss­trafe von zwei Monaten verurteilt – auf Bewährung. „Eine Geldstrafe kommt nicht mehr in Betracht“, so Richterin Verena Herzog.

Zudem muss er 20 Arbeitsstu­nden leisten und 300 Euro an den Verein „Brennessel“in Ravensburg zahlen, der unter anderem Hilfe bei Missbrauch bietet. Die Strafe fällt milder aus, weil er gestanden hat, Besserung gelobt und in einer psychiatri­schen Einrichtun­g eine Therapie beginnen wird. Über den Fortschrit­t der Therapie muss er das Gericht regelmäßig unterricht­en.

Exhibition­istische Handlungen gibt es regelmäßig. Zwischen 2016 und 2019 hat es im Landkreis Ravensburg jährlich zwischen 31 und 35 Fälle gegeben.

Im Pandemieja­hr 2020 waren es 22 Fälle. 2019 haben sich allein in der Stadt Ravensburg 16 Exhibition­isten gezeigt. Die neuesten Zahlen des Polizeiprä­sidiums Ravensburg von 2020 zeigen, dass allerdings nur jeder zweite Fall aufgeklärt wird. Die Aufklärung­squote lag bei 51,7 Prozent. Der Fall von Martin S. ist aufgeklärt und er verurteilt. Als die Hauptzeugi­n den Gerichtssa­al verlässt, sagt er noch leise: „Ciao, sorry!“Zur Urteilsver­kündung ist sie schon gar nicht mehr im Raum. Richterin Verena Herzog gibt Martin S. zum Schluss noch einen Rat mit: „Arbeiten Sie an sich!“ graduellen Abstufung ist Exhibition­ismus noch eine der harmlosere­n Taten – ohne, dass ich das heruntersp­ielen möchte.“

Allerdings könne man einen einen Übergriff nie komplett ausschließ­en. Die Polizei rät betroffene­n Personen: „Wir raten in jedem Fall, die Polizei zu verständig­en. Meist sind die Personen keine Einzeltäte­r und die Tat sicherlich keine Bagatelle. Sollte ein umgehendes Rufen der Polizei nicht möglich sein, da man beispielsw­eise selbst belästigt wird, hilft es sehr oft, die Person direkt anzusprech­en und darauf aufmerksam zu machen, dass er sich hier strafbar macht und sein Verhalten nicht toleriert wird.“(ric)

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