Gutachten zu Missbrauch belastet Benedikt schwer
Laut Studie nahezu 500 Opfer im Erzbistum München – Kritik am emeritierten Papst
(dpa/AFP) - Eine neues Gutachten über sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising erhebt schwere Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger habe in seiner Zeit als Münchner Erzbischof von 1977 bis 1982 Missbrauchstäter „mit hoher Wahrscheinlichkeit“wissentlich in der Seelsorge eingesetzt und darüber die Unwahrheit gesagt. So beurteilt es die vom Bistum beauftragte Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in ihrem am Donnerstag vorgestellten Gutachten.
In insgesamt vier Fällen werfen die Autoren Benedikt Fehlerverhalten vor. Ratzingers direktem Nachfolger als Münchner Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter, wirft das Gutachten Fehlverhalten in 21 Fällen vor. Dem amtierenden Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen.
Mindestens 497 Kinder und Jugendliche sind laut der am Donnerstag vorgestellten Studie zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern oder anderen Kirchenmitarbeitern sexuell missbraucht worden. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es demnach, darunter 173 Priester. Jedoch sei dies nur das sogenannte Hellfeld. Es sei von einer klar größeren Dunkelziffer auszugehen. 40 Kleriker seien auch nach Missbrauchsfällen weiterhin in der Seelsorge tätig gewesen beziehungsweise sei dies geduldet worden. Gutachter Ulrich Wastl sprach von einer „Bilanz des Schreckens“.
Marx, der bei der Vorstellung nicht vor Ort war, äußerte sich am Nachmittag. Der Erzbischof sagte, er sei „erschüttert und beschämt“. Zudem bat der Kardinal „um Entschuldigung für das Leid, das Menschen im Raum der Kirche zugefügt wurde“. Benedikt XVI. bekundete nach der Veröffentlichung „Schock und Scham“. Bis Donnerstagnachmittag habe der 94-Jährige keine Kenntnis über den genauen Inhalt gehabt, teilte sein Privatsekretär Georg Gänswein in Rom mit. Benedikt werde das Papier nun studieren.
Der Missbrauchsbeauftragte des Bundes, Johannes-Wilhelm Rörig, warf der katholischen Kirche nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens „kalten Pragmatismus“vor. Und Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, erklärte: „Auch im Jahr 2022 heißt die bittere Realität: Das System der Vertuschung, des Vergessens und der schnellen Vergebung ist nicht aufgebrochen worden.“